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Kinder und Jugendliche bräuchten nach Ansicht von Experten mehr Bildung in Finanzfragen. Bildrechte: IMAGO / Westend61

WeltspartagKinder und Jugendliche mit Wissenslücken bei Geld und Finanzen

28. Oktober 2022, 05:08 Uhr

Viele junge Menschen wissen wenig über Geld, Sparanlagen oder wirtschaftliche Zusammenhänge. Fachleute fordern daher mehr Schulunterricht zu diesen Themen. Banken und Sparkassen versuchen derweil, Kinder und Jugendliche auch abseits des heutigen Weltspartages mit digitalen Angeboten in Finanzfragen aufzuklären.

Merle ist erst sieben Jahre alt, im Sparen aber schon eine Große: "Ich spare richtig viel", sagt das Mädchen. Zwei Euro Taschengeld bekommt Merle pro Woche. "Und das spare ich so lange, bis ich etwas sehe, was mir gefällt", erzählt sie. Die jüngste Anschaffung ist ein kleiner glänzender Kuschel-Oktopus zum Preis von vier Euro. "Aber ansonsten geben ich so gut wie nie etwas aus", versichert die Kleinsparerin.

Merles Bruder Leander hält es ähnlich: "Das Taschengeld kommt auf mein Konto und weil ich wenig ausgebe, spare ich automatisch." Der Zwölfjährige bekommt sechs Euro Taschengeld pro Woche.

Die Leipziger Geschwister, Nachbarkinder des Autors, haben also mindestens das Grundprinzip des Sparens verinnerlicht – weniger ausgeben, als man eingenommen hat. Leander kann darüber hinaus passabel erklären, was ein Zins ist. Und sogar Inflation ist für ihn kein Fremdwort. "Überall steigen die Preise und Geld ist weniger Wert", erklärt er.

Defizite beim Finanzwissen

Derart gut ist das Wissen über Sparen, Geld und Finanzen bei weitem nicht bei allen Kindern und Jugendlichen. Darauf deuten die wenigen verfügbaren Befragungen und Studien hin, die zumeist jedoch ältere Teenager und junge Erwachsene in den Blick nehmen. So bewerteten in einer Umfrage des Deutschen Sparkassen- und Giroverbandes (DSGV) nur rund ein Viertel der Eltern (26 Prozent) die Finanzkompetenz ihrer Kinder als gut. Für die Umfrage wurden repräsentativ über 1.400 Menschen befragt, die Kindern im Alter zwischen 16 und 25 haben.

Die Jugendlichen und jungen Erwachsenen selbst sehen bei sich ebenfalls Wissenslücken. In einer Befragung vom Mai bewerteten 16- bis 25-Jährige ihr Wissen zu Finanzthemen im Durchschnitt mit der Schulnote 3,3 – also zwischen befriedigend und ausreichend. Die repräsentative Umfrage erstellte Forsa im Auftrag der Schufa.

Und auch direkte Befragungen zum Finanzwissen decken Lücken auf. In einer Studie des Deutschen Bankenverbandes von 2021 gaben zum Beispiel 56 Prozent der 14- bis 24-Jährigen an, den Begriff Inflationsrate nicht erklären zu können. 86 Prozent der Befragten konnte damals die ungefähre Höhe der Rate nicht benennen.

Fehlende Verankerung in den Lehrplänen

Fachleute bestätigen die Befunde. Robert W. Jahn, Professor für Didaktik der ökonomischen Bildung an der Universität Magdeburg, sagt: "Wir wissen, dass es in der ökonomischen Bildung Defizite gibt." Er verweist auf mehrere Untersuchungen zu den Lehrplänen in den Schulen. "Finanz- und Wirtschaftsthemen sind in den Lehrplänen nicht ausreichend tief oder verbindlich für alle verankert."

Der Vorsitzende des Verbandes Deutscher Realschullehrer, Jürgen Böhm, sieht das genauso: "Wir haben Defizite", sagt der im thüringischen Hirschberg geborene Pädagoge. Es werde in den Familien relativ wenig über Wirtschaft vermittelt. "Es geht nicht allein ums Sparen, sondern um ökonomische Zusammenhänge, Verbraucherschutz bis hin zum wirtschaftlichen Agieren in bestimmten Situationen", erläutert Böhm.

Tatsächlich zeigen Untersuchungen, dass Wirtschaftsthemen in den Lehrplänen nicht ausreichend vorkommen. Eine vergleichende Studie der Universität Tübingen in Zusammenarbeit mit der Bundesbank kam jüngst etwa zu dem Ergebnis, dass an Haupt- und Realschulen nur rund 28 Prozent der Inhalte abgedeckt werden, die eine Empfehlung der Organisation für Wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung in Europa vorsieht. An Gymnasien seien es sogar nur 16 Prozent. Untersucht wurden zehn Bundesländer, darunter Sachsen.

Ministerien: Fächerübergreifendes Thema

Die Kultusministerien der drei mitteldeutschen Länder sehen sich hingegen gut aufgestellt. "Das Lernfeld Wirtschaft ist in den Schulen fest verankert und wird in verschiedenen Formen in schulische Lehr- und Lernprozesse einbezogen", schreibt etwa das Bildungsministerium in Sachsen-Anhalt auf Anfrage. Und das sächsische Ministerium teilt mit: "Die Ökonomische Bildung ist übrigens schon lange ein fester Bestandteil im sächsischen Lehrplan – und zwar über die Grundschule hinaus in allen weiterführenden Schularten."

Eine konkrete Zahl von Unterrichtsstunden, die direkt auf ökonomische Bildung abzielen, nennen die Kultusministerien nicht. In allen drei Ländern verweisen die Verantwortlichen darauf, dass es sich um ein fächerübergreifendes Thema handele. Auch etwa die Bildung zum Sparen oder zur Geldanlage knüpfe "gemäß didaktischen Standards in allen Fächern, am Alter und den Vorerfahrungen der Schüler*innen an", heißt es aus Thüringen.

Außerdem weisen die Verantwortlichen auf Projekte hin. In Sachsen etwa kommen Vertreter aus den Finanzämtern in die Schulen. In Thüringen können sich Schulen auch an die Fachberatung Schuldenprävention widmen. In Sachsen-Anhalt gibt es ein Modellprojekt für "Duales Lernen in Form von Praxislerntagen".

Das Ministerium in Sachsen macht darüber hinaus darauf aufmerksam, "dass die Schule nicht alle gesellschaftlichen Probleme lösen und nicht die ganze Erziehungsaufgabe übernehmen kann."

Sparkassen setzen weiter auf Weltspartag

Banken und Sparkassen sehen sich beim Thema Finanzbildung schon lange in der Pflicht. Dafür steht der heutige Weltspartag, dessen Geschichte immerhin bis ins Jahr 1925 zurückreicht. Wie der DSGV sowie der Verband der Volks- und Raiffeisenbanken mitteilen, findet der Termin auch dieses Jahr am 28. Oktober in gewohnter Form statt. Üblicherweise werden Kinder in den Filialen mit Geschenken belohnt, wenn sie das Geld aus ihrem Sparschwein einzahlen. Was wo genau stattfindet, sei aber regional verschieden.

Andere Banken haben sich allerdings von der Tradition verabschiedet. So hat die Postbank alle Aktionen zum Weltspartag eingestellt. "Grund ist die schwindende Bedeutung des Weltspartages im öffentlichen Bewusstsein", schreibt die Postbank. Auch Commerzbank und Deutsche Bank planen nichts.

Alle Institute geben indes an, Kinder und Jugendliche inzwischen auf andere Art an Finanzthemen heranführen zu wollen. Ein paar Beispiele:

  • Ergänzend zu einem "Knax"-Konto, dem Kinder-Konto der Sparkassen, gibt es inzwischen eine "Knax"-Taschengeld-App, in der Kinder und Eltern gemeinsam Ein- und Auszahlungen festhalten können. In der App gibt es außerdem Erklärfilme.
  • Die Volksbanken bietet eine ähnliche App an, die mit dem smarten Sparschwein "myPiggy" verbunden werden kann. Das Sparschwein mit USB-Anschluss zeigt außerdem centgenau den Inhalt an.
  • Interaktive Stories zu verschiedenen Finanzthemen können sich Kinder und Jugendliche bei "So geht Geld" auf dem Handy ansehen, einem Angebot der Deutschen Bank.
  • Schülerinnen und Schüler haben im Rahmen des Projekts "FinanzTuber" bei Youtube Videos zu verschiedenen Finanzthemen für andere Kinder und Jugendliche veröffentlicht.
  • Ebenfalls bei YouTube veröffentlicht die Sparkasse wöchentlich im jugendlichen Stil Videos zu Finanz- und Wirtschaftsthemen. Titel: "Mehr als Geld".
  • Zwar nicht von einer Bank, aber empfehlenswert: Finanztip ist mit einem Kanal bei Tiktok.

Sparen für Kinder - Trend geht zum AktiendepotViele Eltern und Großeltern möchten für die Kinder oder Enkel langfristig Geld sparen. Dabei geht der Trend weg von konservativen Anlageformen wie einem Sparbuch hin zu Aktiendepots, wie Banken und Sparkassen bestätigen. "Die Zahl der Depots für Kinder erhöht sich stetig", teilt etwa die Commerzbank mit.

Zahlen und Daten zu dieser Entwicklung stellen die Banken und Sparkassen nicht zur Verfügung. Genau wissen es die Geldhäuser oft auch selbst nicht, weil viele der Aktiendepots nicht auf den Namen der Kinder laufen.

In jedem Fall empfehlen mehrere angefragte Banken börsengehandelte Indexfonds (ETF) oder andere Fondsparpläne als langfristige Gelanlage für Kinder. Kursschwankungen ließen sich über einen längeren Zeitraum von zehn oder 20 Jahren ausgleichen, erklärt der Sparkassen- und Giroverband: "Dieser lange Anlagehorizont ist bei Kindern, die fürs Erwachsenwerden sparen, meist gegeben."

Zum Teil bieten Banken und Sparkassen die Depots für Kinder zu Sonderkonditionen an. Die Depotführung ist dann oft kostenfrei, die Orderentgelte reduziert. Finanztip empfiehlt aktuell die Depots der Direktbanken ING, Consorsbank, DKB und Comdirect.

Forderungen nach Schulfach Wirtschaft

Fachleute sehen dessen ungeachtet vor allem die Schulen in der Pflicht. Der Chef des Realschullehrerverbandes, Jürgen Böhm, fordert, dass Wirtschaft zu einem eigenständigen Schulfach wird. "Ökonomische Bildung kann nicht nur eine Randerscheinung sein", sagt er.

Wie hoch das Wissen in finanziellen Fragen ist, hängt laut Studien auch von der sozialen Herkunft der Kinder ab. Bildrechte: picture alliance/dpa | Philipp von Ditfurth

Der Bildungswissenschaftler Robert W. Jahn von der Uni Magdeburg hat in den vergangenen Jahren einige Verbesserungen in den Lehrplänen festgestellt. Er hält es aber trotzdem für "fraglich, ob Aspekte wie Geldanlage, Vorsorge oder Geldpolitik jeweils wirklich in der hinreichenden Breite und Tiefe behandelt werden können". Er schließt sich der Forderung nach einem eigenständiges Fach Wirtschaft an – auch mit Blick auf die unterschiedlichen Voraussetzungen in den Familien. "Am Ende muss es die Schule richten, damit trotz unterschiedlicher Startchancen alle Kinder eine gute Ausgangsposition bekommen"

Sammelkarten als Wertanlage

Merle und ihr Bruder Leander geben an, bislang in der Schule nichts über Geld und Finanzen gelernt zu haben. Ihr Interesse an Finanzthemen ist ebenfalls gering. Vielleicht wissen die beiden aber noch gar nichts von den Talenten, die in ihnen schlummern. Leander jedenfalls scheint bereits ein Verständnis für den Aktienhandel entwickelt zu haben: "Ich habe mehrere Pokémon-Sammelkarten mit Seltenheitswert. Die behalte ich noch lange und verkaufe die dann mit einem richtig großen Gewinn", erklärt der Zwölfjährige lachend und faltet dabei wie ein Filmschurke die Hände zu einer Pyramide.

Hintergründe, Schicksale, Spartipps

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL | MDR AKTUELL | 22. Oktober 2022 | 10:00 Uhr

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