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PiesteritzStickstoff-Mangel kann zu eklatanten Ausfällen bei der Lebensmittelproduktion führen

26. September 2022, 20:50 Uhr

Seit etwa drei Wochen stehen bei einem der größten deutschen Produzenten von Düngemitteln in Piesteritz die Anlagen still. Auch andere Werke arbeiten nicht. Der Stopp kann im nächsten Frühjahr Landwirte hart treffen – und dann auch die Verbraucher.

  • Die Preise für Stickstoff-Dünger sind derzeit besonders hoch.
  • Landwirte haben deshalb ein Kostenproblem.
  • Wenn weniger Stickstoff in der Landwirtschaft verwendet werden kann, geht das auf Kosten der Erträge.

Die Turbulenzen rund um die Produktion von Stickstoff und die damit einhergehenden starken Preisanstiege von Düngemitteln könnten die Landwirte spätestens im Frühjahr eklatant zu spüren bekommen. Das ist die Zeit, in der sie einen Großteil des Düngers auf den Feldern ausbringen müssen. Die Preise für die auf Stickstoff basierenden Düngemittel waren bereits Ende des vergangenen Jahres vergleichsweise hoch. Sie haben sich allerdings innerhalb dieses Jahres mehr als verfünffacht. Konnte ein Landwirt vor einem Jahr noch für rund 60 Cent ein Kilogramm Stickstoff kaufen, muss er aktuell bis zu 3 Euro aufwenden.

Die Gründe für diesen enormen Preisanstieg sind vielfältig, haben ihren Ursprung jedoch meist in den gestiegenen Energiepreisen. Für die Herstellung von Stickstoff ist Wärme notwendig, die oft durch das Abbrennen von Gas erzeugt wird. Steigt der Gaspreis, wird die Produktion teurer. Genau aus diesem Grund hat einer der größten deutschen Hersteller, die SKW Piesteritz bei Lutherstadt Wittenberg, vor etwa drei Wochen die Produktion gestoppt. Das Unternehmen fordert von der Politik unter anderem, von der beschlossenen Gasumlage befreit zu werden. Monatlich 30 Millionen Euro zusätzliche Kosten seien nicht zu stemmen.

Landwirte wollen jetzt fürs Frühjahr ihre Düngerlager füllen

Auch wenn es aktuell so aussieht, dass sich die Politik und das Chemieunternehmen aus Sachsen-Anhalt annähern, hat der Produktionsstopp zu einem weiteren Preisdruck bei Stickstoffdünger geführt. Denn auch andere Unternehmen in Europa drosselten laut Deutschem Bauernverband aufgrund der hohen Energiepreise ihre Herstellung. Das bekommen auch die Landwirte unmittelbar zu spüren. Denn sie bestellen oder kaufen jetzt den Dünger, den sie im Frühjahr auf die Felder aufbringen möchten. Sie haben bereits Anfang dieses Jahres die Erfahrung von Knappheit und hohen Preisen gemacht und möchten ihre Lager füllen.

Einer von ihnen ist Phillip Krainbring aus Wanzleben. Er beackert in der Börde rund 440 Hektar Land. Abhängig vom Boden und der Pflanzensorte benötigt der Landwirt zwischen 120 und 200 Kilogramm Stickstoff pro Hektar – und das jedes Jahr. Dünger ist für ihn zu einem erheblichen Kostenfaktor geworden. Der Stickstoff spielt da eine wichtige Rolle. Der Ertrag und die Qualität des Getreides hingen davon ab, Stickstoff sei für den Proteingehalt im Korn mitverantwortlich, aber auch für die Menge der Ernte überhaupt. Den benötigten Stickstoff führt Phillip Krainbring auch in organischer Form, etwa durch Gülle oder Gärgerste, dem Boden zu. Ein Teil müsse jedoch immer mineralisch sein.

Händler weichen auf Alternativen aus, um Landwirte noch beliefern zu können

Auch Krainbring versucht, schon jetzt genug Dünger für das nächste Jahr zu bekommen. Doch das ist nicht nur teuer, sondern auch schwierig. "Wir haben eine wirkliche Warenverknappung bei Stickstoffdüngern", sagt der Chef vom Agrarhandelsunternehmen Agravis aus Münster, Dirk Köckler, dem MDR. Das gelte für alle klassischen Produkte, wie etwa Kalkammonsalpeter, Ammonsulfatsalpeter und Piamon. Derzeit könne der Händler weder Preise noch Liefertermine nennen. Die Branche könne zwar auf Alternativprodukte wie Harnstoff ausweichen, doch diese müssten teuer aus Nordamerika, dem Nahen Osten und Osteuropa importiert werden.

Hoher Getreidepreis rettet Landwirte derzeit noch

Aktuell gleichen die Landwirte ihre hohen Kosten mit gestiegenen Erträgen aus der Ernte etwas aus. Sie profitieren vom Weizen, der derzeit mit bis zu 40 Prozent Aufschlag im Vergleich zum vergangenen Jahr gehandelt wird. Sollte dieser Vorteil wegfallen, fasst das Andreas Jahnel vom Sächsischen Landesbauernverband mit vier Worten zusammen: "Das. Ist. Der. Albtraum." Er sehe diese Gefahr für das nächste Jahr kommen. Geringere Einnahmen bei höheren Kosten und weniger Erträge aufgrund von Düngemittelknappheit. Bei diesem Szenario dürfte es vielen Landwirten schwerfallen, Gewinne zu erwirtschaften.

Steigen deswegen die Preise für Nudeln und Brot? Werden möglicherweise im Sommer Lebensmittel in den Regalen fehlen? Die ganz konkreten Folgen der Probleme beim Stickstoffdünger für Verbraucher können derzeit weder Landwirte noch Bauernverbände abschätzen.

Das sei derzeit schwer vorherzusagen, sagt auch Bruno Görlach von der Deutschen Landwirtschafts-Gesellschaft. "Die Versorgung mit Dünger ist ein wichtiger Faktor, aber eben nur einer von mehreren. Dazu gehören der Ukraine-Konflikt, Wetter und Wasserversorgung und die Entwicklung der Energiepreise", sagt der Experte für Pflanzenproduktion. Offen sei auch, wie gut oder schlecht Landwirte Lücken bei den Düngerlieferungen noch ausgleichen könnten. "Grundsätzlich gilt aber: Wenn weniger Stickstoff in der Landwirtschaft verwendet werden kann, geht das auf Kosten der Erträge. Dann hat beispielsweise Weizen nicht mehr den Proteingehalt, den Mühlen für optimale Backqualität fordern." Bruno Görlach verweist auf das Beispiel Dänemark. Im Nachbarland konnte nach strengen Stickstoff-Quoten zunächst kein Qualitätsweizen mehr produziert werden.

Dieses Thema im Programm:MDR AKTUELL RADIO | 12. September 2022 | 12:34 Uhr

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