Nachrichten & Themen
Mediathek & TV
Audio & Radio
SachsenSachsen-AnhaltThüringenDeutschlandWeltLeben

EnergiekriseNord Stream 2 öffnen?

16. September 2022, 12:04 Uhr

Der andauernde Ukraine-Konflikt belastet die Wirtschaft in Mitteldeutschland. Unternehmer und Verbände fordern von der Politik praktikable Lösungen – zum Beispiel Nord Stream 2 aufzudrehen.

von Jonas Grünwald, MDR Wirtschaftsredaktion

Sorge bei mitteldeutschen Unternehmen

Laut Ifo-Geschäftsklima-Index schätzen die mitteldeutschen Unternehmer ihre Lage so schlecht ein, wie sie es seit Beginn der Corona-Krise nicht mehr taten. Das liegt nicht zuletzt daran, dass die Betriebe bisher keine Chance zur Erholung hatten. Dort hat man das Gefühl von Krise zu Krise zu navigieren. Dadurch wird auch die Liste ihrer Herausforderungen immer länger. Sie reicht von Lieferproblemen, steigenden Preisen beim Einkauf von Rohstoffen und Vorleistungen, bis hin zum zurückgegangenen Konsum der Bevölkerung. Die Energiekrise könnte nun der Tropfen sein, der das Fass zum Überlaufen bringt.

Zwar zeigt sich die mitteldeutsche Wirtschaft noch resilient, aber der Präsident der Industrie- und Handelskammer zu Leipzig, Kristian Kripal warnt:" Der Wirtschaft geht sprichwörtlich die Puste aus. Die Anzahl der Insolvenzen von Personen- und Kapitalgesellschaften in Deutschland ist kräftig gestiegen. Sie lag im August 2022 bei 718 und somit um 26 % über dem Vorjahresmonat. Diese Entwicklung muss die Politik ernst nehmen. Ansonsten laufen wir in den nächsten Monaten in eine Rezession mit einem Ausmaß, welches wir sehr lange nicht gesehen haben." Bundesweit lässt sich ein leichter Abwärtstrend bereits feststellen. Allein im Juli 2022 ist die Produktion des produzierenden Gewerbes im Vergleich zum Vormonat bereits um 0,3 Prozent gesunken, obwohl das BIP um 0,1 Prozent zulegte. Belastbare Zahlen auf Länderebene gibt es für den aktuellen Zeitraum noch nicht

.

Das fehlende Russlandgeschäft ist verkraftbar

Durch die zahlreichen Einschränkungen des Handels mit Russland ging das Geschäft zurück. Besonders betroffen waren die Maschinenbau-Branche und Betriebe, die Produkte für die ölverarbeitende Industrie herstellten. Aber auch andere Sektoren wie die Saatgutindustrie hatten Probleme ihre Waren nach Russland zu exportieren. Laut sächsischem Wirtschaftsministerium ist "in den ersten fünf Monaten von 2022 der sächsische Warenexport nach Russland gegenüber dem Vorjahreszeitraum um 38% auf knapp 170 Millionen EUR zurückgegangen."  So entscheidend das für einzelne Unternehmen sein kann, muss man anerkennen, dass das Russlandgeschäft seit 2014 mit Beginn der Krimkrise bereits zurückgegangen ist. "Russland war mit einem Anteil von nur noch ca. 1,3% an den Gesamtexporten im Jahr 2021 rein volkswirtschaftlich gesehen bereits vor dem Krieg für Sachsen kein besonders wichtiger Markt mehr".

Außerdem stieg das sächsische Exportvolumen dennoch an. "Insgesamt ist der sächsische Außenhandel gut diversifiziert – 2021 wurde mit 44,8 Milliarden Euro ein neuer Rekordwert beim Export erreicht. Und auch im ersten Quartal 2022 sind die sächsischen Exporte um 5% gegenüber dem Vergleichszeitraum gestiegen", berichtet das sächsische Ministerium. Was allerdings auch stieg: Die Importe aus Russland. Allein die sächsischen Einkäufe aus Russland wuchsen vom Januar bis Mai 2022 um 50% und liegen bei ca. 366 Millienen Euro. Diese Entwicklung bei den Importen ist vor allem auf die Einfuhr von Energieträgern und deren Preisentwicklung rückzuführen, denn Russland ist für Deutschland ein wichtiger Lieferant von Energieträgern, Rohstoffen und Vorprodukten. Während Sachsen-Anhalt und Thüringen im Vergleich zu Sachsen ein geringeres Exportgeschäft nach Russland betrieben haben, sind alle drei Länder gleichermaßen abhängig vom russischen Gas.

Kostenfaktor Energieversorgung

Die "Metallgießerei Chemnitz" unter der Leitung von Michael Neubert fertigt Metallgussformen aus Aluminium. Durch die Sanktionen hat sich der Preis für Aluminium seit Beginn der Krise bereits fast verdoppelt, da der russische Markt nicht mehr zu Verfügung steht. Aber das sieht man hier vergleichsweise gelassen. Zwar musste Michael Neubert seine Preise erhöhen, aber noch kann er die gestiegenen Preise weitestgehend problemlos an die Kunden weitergeben. Auf der anderen Seite bezweifelt er, dass sich das bei explodierenden Energiepreisen ähnlich verhält.

Um das Metall in den Öfen zu schmelzen, muss das erstmal erhitzt werden und das geschieht durch die Verbrennung von Erdgas. Noch bekommt er das Gas zu einem vertretbaren Preis, da sein aktueller Vertrag erst 2023 ausläuft, aber: "Sollte sich an der Notfallsituation irgendetwas verschlimmern, dann hat auch der eventuell keinen Bestand mehr. Wenn sich da die Kosten verfünf- oder versechsfachen, dann glaube ich nicht, dass wir noch wirtschaftlich sinnvoll hier arbeiten und produzieren können." Im Falle dessen, dass die dritte Stufe des Energie-Notfallplans in Kraft treten sollte, besteht sogar die Möglichkeit, dass Betriebe wie seiner vom Netz genommen werden müssen, um die Versorgung der Privathaushalte und essenziellen Infrastruktur zu gewährleisten.

Alternative Versorgung ist keine Option

Auf andere Formen der Energie umzusteigen, ist für viele Betriebe keine Option. Auch die "Metallgießerei Chemnitz" arbeitet vorrangig mit Gas. Zwar können einige der Schmelzöfen auch über Strom betrieben werden, aber das ist laut Geschäftsführer Michael Neubert weder effektiv noch kosteneffizient. Andere Energieträger wie Wasserstoff oder Öl sind nicht die Lösung. Dafür habe man weder die Speicher- noch Anlieferkapazität. Hier haben die Energieversorger und Politik die Möglichkeit vertan vorzusorgen. Aktuell ist deutsche Energienetz nicht in der Lage Gas für Industrie zu ersetzten.

Über die Art der Maßnahmen ist man sich unschlüssig

Doch was können Politik und Wirtschaft unternehmen, um diesen Entwicklungen entgegenzuwirken? Die Verbände fordern immer wieder ein klares Bekenntnis der Politik zur lokalen Wirtschaft. Aber wie soll die aussehen? Eine klare Forderung gibt es laut Prof. Dr. Thomas Brockmeier, Hauptgeschäftsführer von der IHK Halle-Dessau, nicht: "Welche Maßnahmen die Unternehmen bevorzugen, dazu liegen uns keine Umfrageergebnisse vor. Auch die Vollversammlung der IHK Halle-Dessau, die gewählte Interessenvertretung der regionalen Unternehmerschaft, hat in dieser Frage bisher keinen Beschluss zu einer politischen Handlungsempfehlung gefasst."

Thomas Brockmeier weist außerdem darauf hin, dass besonders viel Handlungspotential in der Energiepolitik steckt: "Nicht unerwähnt bleiben soll indes, dass die deutsche Politik genug Stellschrauben hat, um die Preise für Unternehmen ebenso wie für Verbraucher zu senken: Der Staat könnte noch stärker auf Energiesteuern und -abgaben verzichten, wie etwa den geplanten nationalen CO2-Aufschlag." Eine andere Möglichkeit wäre außerdem die Priorisierung der Notfallversorgung neu zu denken. Nur eine starke Wirtschaft könne sich solidarisch mit der Ukraine zeigen. Deshalb fordern viele Unternehmer, dass auch Industrien mit hoher Gasdependenz nicht vom Netz genommen werden, sollte die Notfallstufe ausgerufen werden.

Nord Stream 2 einschalten?

Eine andere Möglichkeit, der Energiekrise zu begegnen, bestehe darin, Nord Stream 1 abzuschalten und auf Nord Stream 2 auszuweichen, sagt Prof. Steffen Keitel, Präsident der IHK Halle-Dessau: "Wenn Nord Stream 1 angeblich so anfällig ist, dann soll Gazprom doch über die nagelneue Pipeline Nord Stream 2 liefern." Russland könne dann nicht mehr technische Probleme als Grund für die verringerten Lieferkapazitäten vorschieben. "Ein 'Pipeline-Switch' wäre also ein guter Lackmustest", so Prof. Keitel. Ob das wirklich einen praktischen und nicht nur einen symbolischen Charakter hätte, wird sich wohl erst zeigen, sollte die Politik sich für diesen Weg entscheiden. Aktuell scheint es noch keine Überlegungen in der Politik zu geben, die neue Pipeline ans Netz zu nehmen.

MDR Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR aktuell | 15. September 2022 | 17:45 Uhr