Kernkraftwerk Emsland
Das Atomkraftwerks Neckarwestheim 2 ist eines der letzten drei noch laufenden Atomkraftwerke. Bildrechte: IMAGO / Rupert Oberhäuser

Energieversorgung Deutschland schaltet Atomkraftwerke ab – Was machen die Nachbarn?

13. April 2023, 09:45 Uhr

"Emsland", "Isar 2" und "Neckarwestheim 2" heißen die letzten noch in Deutschland betriebenen Atomkraftwerke. Am 15. April sollen sie vom Netz gehen und der Atomausstieg damit vollzogen werden. Kritiker warnen, die Energiekrise sei noch nicht vorbei. Befürworter sprechen von einem "richtigen Schritt". Und wie stehen unsere europäischen Nachbarn zu Atomstrom?

Debatte um gefährdete Energiesicherheit in Deutschland

Am 15. April sollen die letzten drei Atomkraftwerke in Deutschland vom Netz gehen. Dies sollte eigentlich schon zum Jahreswechsel passieren, wurde aber aufgeschoben, um die Energiesicherheit nicht zu gefährden und unabhängiger von russischem Öl und Gas zu bleiben. Knapp sechs Prozent des Stroms hierzulande wurden zuletzt noch mit Kernenergie erzeugt. Michael Beckmann, Experte für Energietechnik an der TU Dresden, kritisiert den geplanten Schritt zum endgültigen Atomausstieg. "In der gegenwärtigen Situation halte ich die Entscheidung nicht für richtig", sagt er. Die Energiekrise sei noch keineswegs überwunden, die Abschaltung käme viel zu früh. Er halte das "für eine sehr kurzfristige Entscheidung".

In der Stuttgarter Erklärung forderten bereits im Juli 2022 zahlreiche Wissenschaftler, den Automausstieg rückgängig zu machen. Ihr Vorwurf: Die Energie-Notlage habe sich weit vor dem Ukraine-Krieg abgezeichnet. Alle Spielräume, die es für eine Verringerung von Kohlenstoff-Ausstößen im Energiesystem gebe, müssten genutzt werden. Einer der Hauptinitiatoren der Petition war Energie-Experte André Thess. "Der wichtigste Punkt war für mich, dass Deutschland sich verpflichtet hat, seine CO2-Emissionen signifikant zu reduzieren. Und das funktioniert nach meiner Überzeugung nur mit Sonne, Wind und Kernen", sagt der Direktor des Instituts für Technische Thermodynamik in Stuttgart. 60.000 Menschen unterstützten die Petition der Wissenschaftler.

Antje Nötzold von der Technischen Universität Chemnitz hält Bedenken, die Energielücke können nicht geschlossen werden, für unbegründet. Was die drei Reaktoren an Energie besteuern, könnte ihrer Ansicht nach problemlos durch andere Kraftwerke kompensiert werden. "Vermutlich über Kohle hauptsächlich", sagt sie, "da wir hier noch die größten Reserven haben. Die Versorgungssicherheit mit Kohle sei weniger angespannt als mit Gas, schätzt sie ein. Klimafreundlicher ist das aber nicht. Klimaaktivistin Greta Thunberg erklärte im Oktober vergangenen Jahres im Interview mit Sandra Maischberger , die Atomkraftwerke abzuschalten und auf Kohlekraft zu setzen, halte sie für "eine schlechte Idee", "solange die AKW noch laufen".

Bundesregierung bleibt bei Atomausstieg am 15. April

"Der Atomausstieg, der nach Fukushima in Deutschland in einem breiten gesellschaftlichen Konsens getroffen worden ist, ist richtig", bekräftigt Christian Kühn (Bündnis 90/Die Grünen), Parlamentarischer Staatssekretär beim Bundesministerium für Umwelt, Naturschutz, nukleare Sicherheit und Verbraucherschutz gegenüber der "Umschau". Damit verabschiede man sich von einer Hochrisikotechnologie. Am Atomausstieg festzuhalten, sei auch in Zeiten multipler Krisen geboten. "Wir sollten die Risiken nicht erhöhen, sondern verringern", betont Kühn.

Reaktorunglück in Fukushima vom 11. März 2011 Am 11. März 2011 hatte ein Tsunami die Reaktorkatastrophe im japanischen Fukushima ausgelöst. In Deutschland wurde die Debatte um Atomenergie neu entfacht und schließlich von der Bundesregierung der Atomausstieg beschlossen. Nur wenige Tage nach dem Unfall in Japan entschied die Bundesregierung, sieben der ältesten Atomkraftwerke in Deutschland bereits vom Netz zu nehmen.

Die Leipziger Technik-Historikerin Anna Veronika Wendeland stellt den mit auf die Ereignisse in Japan begründeten Atomausstieg in Frage. Die Situation sei nicht auf Deutschland übertragbar, kritisiert sie: "An der Isar gibt es keine Tsunamis." Deutsche Kernkraftwerke seien so aufgestellt, dass sie Vorkehrungen getroffen hätten, um im Ernstfall Katastrophen wie in Fukushima zu verhindern, "selbst wenn ein Tsunami an der Isar gekommen wäre". Ein Restrisiko sei aber immer vorhanden und dieses habe die Regierung ihrer Meinung nach nicht mehr tragen wollen. Dies sei aber vor allem "eine politische Entscheidung" gewesen, so die Technik-Historikerin.

Am 15. April soll den Kernkraftwerken "Emsland", "Isar 2" und "Neckarwestheim 2" nun endgültig der Stecker gezogen werden. Eine Umfrage des Meinungsbarometers "MDR-fragt"* vom Januar ergab, dass viele Menschen in Mitteldeutschland das allerdings für falsch halten: Rund drei Viertel lehnten den Atomausstieg ab. Nur rund jeder Vierte begrüßte die Entscheidung. 26.000 Personen hatten sich an der Erhebung beteiligt.

*Einordnung der Befragung

Das MDR-Meinungsbarometer "MDRfragt" ist eine gewichtete Online-Befragung, an der sich Einwohner aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen beteiligen können.

2022 in der EU rund 24 Prozent des Stroms mit Kernenergie erzeugt

In Deutschland wurden zuletzt rund sechs Prozent des Stroms durch Kernenergie erzeugt, in der EU im Durchschnitt allerdings laut Verband Europäischer Übertragungsnetzbetreiber zu 23,6 Prozent.

Frankreich nutzt zu über 70 Prozent Strom aus Atomenergie. Damit ist Frankreich die Atomnation Nr. 1 in der EU. In Belgien und in der Slowakei macht Atomstrom jeweils mehr als die Hälfte am Strom-Mix aus.

Ausbaupläne von europäischen Nachbarn

Wie stehen andere europäische Länder zu Atomstrom? Welche Pläne gibt es da? Dazu haben wir Stimmen einiger ARD-Korrespondenten eingefangen.

Die tschechische Regierung will den Anteil des Atomstroms deutlich erhöhen. "Derzeit kommt ein Drittel des Stroms in Tschechien aus Atomkraftwerken. In den nächsten Jahren soll es mehr als die Hälfte sein. Kleine modulare Reaktoren sollen gebaut werden – da wo bislang Kohlekraftwerke stehen", berichtet Danko Handrick, ARD-Korrespondent in Prag.

In Belgien war der Atomausstieg bereits beschlossene Sache, bis 2025 sollten eigentlich alle Kernkraftwerke abgeschaltet werden. Im Zuge der Energie-Krise wurde das Vorhaben um zehn Jahre verschoben. Mindestens zwei Reaktoren sollen noch bis 2025 laufen. "Insofern ist der Atomausstieg hier in Belgien noch länger nicht abgeschlossen", sagt Tobias Reckmann, ARD-Korrespondent in Brüssel.

Polen hat jetzt sogar den Atom-Einstieg beschlossen. Schon in den 1980er-Jahren gab es Überlegungen, ein Atomkraftwerk zu errichten. Nach dem Reaktorunglück von Tschernobyl 1986 wurde der Bau abgebrochen. Damit lagen auch die Pläne brach. Nun soll das erste Atomkraftwerk im Land errichtet werden, im Dorf Choczewo an der Ostsee. Damit will Polen sauberer werden und die EU-Klimaziele einhalten können. "Momentan werden ungefähr 80 Prozent des in Polen erzeugten Stroms aus Kohle gewonnen. Viele Polen heizen auch noch mit Kohle. All das passt nicht zusammen mit dem Klimaziel der EU, bis 2050 klimaneutral zu werden", sagt Kristin Joachim, ARD-Korrespondentin in Warschau.

Klimaneutral zu werden, also weg zu kommen von Kohle und Gas, dazu hat sich auch Deutschland verpflichtet. Die selbstgesteckten Ziele zu erreichen, dürfte allerdings noch schwerer werden – wenn am Sonnabend der Abschaltknopf für die Kernenergie gedrückt wird.

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Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | Umschau | 11. April 2023 | 20:15 Uhr

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