Auszubildende feilen im Rahmen der Grundausbildung im MAN Ausbildungszentrum.
Ist das Gymnasium daran schuld, dass viele junge Menschen erstmal lieber studieren wollen, anstatt eine Ausbildung zu machen? Bildrechte: IMAGO / Rupert Oberhäuser

Ausbildung statt Studium Gewerkschaftsbund wünscht sich bessere Berufsberatung am Gymnasium

12. September 2023, 07:38 Uhr

Es ist nicht selten der Fall, dass junge Menschen ihr Studium abbrechen, um doch eine Berufsausbildung zu beginnen. Häufig können sie die sogar verkürzen. Doch warum nicht gleich für die Ausbildung entscheiden, statt erstmal zu studieren? Für den Deutschen Gewerkschaftsbund liegt das Problem an den Gymnasien und welches Bild dort von beruflichem Erfolg und finanzieller Absicherung vermittelt wird.

Ralf Geißler, Wirtschaftsredakteur
Bildrechte: MDR/Isabel Theis

Felix Herrmann hat nochmal von vorn angefangen. Der 25-Jährige besitzt bereits ein Diplom in der Immobilienwirtschaft, er hat zwei Jahre lang Häuser bewertet. Doch so richtig glücklich war er damit nicht. Nun hat er eine Lehre zum Maler begonnen. Schon als Student jobbte er nebenbei als Maler, was ihm stets gefiel. "Dieses Rauskommen, selber was mit den Händen machen. Nicht zu 100 Prozent vorm Rechner nur zu sitzen. Und auf der anderen Seite bezogen aufs Malerhandwerk einfach die Abwechslung. Das ist ja bei weitem nicht so, dass es nur Wände und Wohnungen weiß streichen ist. Und man sieht halt jeden Tag, was man geschafft hat", sagt Herrmann.

Er ist kein Einzelfall. Immer wieder sitzen auch Quereinsteiger in den Berufsschulen. Es sind zumeist Mittzwanziger, die bereits ein Studium abgeschlossen oder – deutlich häufiger – abgebrochen haben.

Dass diese Lehrlinge mitunter zehn Jahre älter sind als klassische Berufsschüler, findet Gert Ziener von der IHK Leipzig unproblematisch. "Da gibt es keinerlei Berührungsängste. Sicherlich werden die am Anfang schon etwas verwundert beäugt, aber im Endeffekt befruchtet sich das eher. Vielleicht können die jungen Leute, die mit 16 oder 17 in die Berufsschule einsteigen von den Älteren ein Stück weit etwas lernen, wie man bestimmte im alltäglichen Leben meistert. Und vielleicht auch umgekehrt."

Verkürzte Ausbildung für Quereinsteiger

Auch Felix Herrmann hat mit seinen 25 Jahren nun noch mal Matheunterricht und Sport. Allerdings locken die Kammern Quereinsteiger wie ihn mit der Möglichkeit, die Ausbildung zu verkürzen.

Der Geschäftsführer des Sächsischen Handwerkskammertages, Andreas Brzezinski, sagt: Wer schon Erfahrungen und Wissen mitbringe, könne um ein Jahr reduzieren. "Wenn jemand sagt, er bricht ein Ingenieurstudium ab und macht dann eine Ausbildung im Bereich Sanitär, Heizung, Klima oder Elektro, dann kann man ja vielleicht auch mal auf Studieninhalte schauen und auch die vielleicht mit anrechnen. Das funktioniert schon sehr gut und wird dann auch sehr individuell gestrickt."

IHKs werben gezielt um Studienabbrecher

Weil Azubis fehlen, werben die Kammern ganz gezielt um Studienabbrecher. Rund 80.000 gibt es jedes Jahr. Ein kleiner Teil lässt sich auf die zweite Chance Berufsausbildung ein. Dabei stellt sich die Frage, warum die Abiturienten nicht von vornherein diesen Karriereweg gefunden haben, sondern erst ein Studium aufnehmen.

Die Ursachen liegen für Vincent Drews in den Gymnasien. Der Jugendsekretär des DGB Sachsen kritisiert, dort finde zwar eine Studienberatung statt, aber oft keine Berufsberatung. "Wir müssen einfach bildungspolitisch die Struktur schaffen, dass es Berufsberatung an jedem Gymnasium gibt. Und dann würde sich dort schon ein Stück weit die Perspektive verändern."

Gymnasien vermitteln bestimmtes Bild

Aus Drews' Sicht ist das Narrativ des Gymnasiums in der Gesellschaft ein grundsätzliches Problem. Dort werde suggeriert: Wer etwas werden will, muss studieren. "Wenn man ein ausreichendes Einkommen haben will, das auch die Rente sichert, dann muss man studieren. Und das stimmt ja nun wirklich nicht", sagt der Gewerkschafter.

Gäbe es an allen Gymnasien eine Berufsberatung, würden sich womöglich mehr Abiturienten von vornherein für eine Lehre entscheiden, meint Drews. Die Universitäten könnte das entlasten. Und vielleicht fänden ein paar mehr Abiturienten in Berufe, in denen Nachwuchs so dringend gesucht wird.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 12. September 2023 | 06:47 Uhr

4 Kommentare

Sebas am 12.09.2023

Die Beamtenlaufbahn im mittleren Dienst ist mit Realschulabschluss möglich und eigentlich sogar für Realschüler vorgesehen, obwohl sich Abiturienten auch darauf bewerben können. Es gibt sogar die Möglichkeit während der Laufbahn vom mittleren in den gehobenen Dienst aufzusteigen, wenn es dafür zugegebenermaßen immer nur sehr wenige Stellen gibt.

kleinerfrontkaempfer am 12.09.2023

Den Kommentaren von 123.. + elbuffo kann man nur recht geben.
Woher sollen junge Menschen Einblicke und Vorstellungen von der realen Berufswelt bekommen!? Durch Praktika, Berufsbildungsmessen, Speeddating mit Unternehmen? Viele ehemalige DDR-Bürger kennen es noch: ESP + UTP.
Über längere Zeit gab es Einblicke in verschiedene Produktionszweige. Man arbeitete in Betrieben, auf Baustellen mit. Das war schon entscheidend bei einer Vorauswahl der weiteren Laufbahn. Und die Lehrer unterstützten zusätzlich. Einsätze in den Ferien zur Kartoffel/Rübenernte haben uns auch nicht geschadet.
P.S.Alles ohne Blauhemd und Pionierhalstuch, falls ein Experte oder Medienmensch etwas Arges dahinter vermutet.

FlotteBiene am 12.09.2023

Ich sehe die Problematik im gesamten Schulsystem. Die Entscheidung, ob ein Kind nach der 4.Klasse aufs Gymnasium soll oder nicht, ist zu diesem Zeitpunkt viel zu früh! Das Gesamtschulkonzept (gemeinsames Lernen bis Klasse 10) ist ein Schritt in die richtige Richtung und leider noch viel zu wenig verbreitet.
Außerdem sollten vielleicht die Zugangsvoraussetzungen für manche Berufe überdacht werden. Warum kann z.B. ein sehr guter Realschüler keine Beamtenlaufbahn einschlagen ?
Ach ja und in der DDR gab es den Beruf mit Abitur nach der 10.Klasse ….. war auch nicht schlecht😉

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