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Blick über den Tagebau Nochten auf das Braunkohlekraftwerk Boxberg in der Lausitz Bildrechte: IMAGO / Steffen Unger

MDRfragtStrukturwandel: Zwei Drittel befürchten Nachteile für Kohleregionen

02. September 2022, 05:00 Uhr

Der Kohleausstieg - für die Braunkohle-Gebiete in Sachsen und Sachsen-Anhalt wird er weitgehende Veränderungen mit sich bringen. Mit Strukturwandelprojekten soll beispielsweise die Lausitz zukunftsfähig gemacht werden. Die MDRfragt-Gemeinschaft ist jedoch eher pessimistisch, ob das gelingen kann: Knapp zwei Drittel befürchten eher Nachteile und wirtschaftliche Einschnitte für die Regionen. Das zeigt die aktuelle MDRfragt-Befragung mit rund 28.000 Teilnehmern.

von MDRfragt-Redaktionsteam

Der Strukturwandel wird eher Nachteile und Einschnitte für die Braunkohle-Regionen bringen – davon sind 60 Prozent der MDRfragt-Mitglieder überzeugt, die sich an dieser nicht repräsentativen, aber gewichteten und wissenschaftlich begleiteten Befragung beteiligt haben. Ein Fünftel jedoch sieht in dem Wandlungsprozess eher Vorteile und Chancen für die Regionen.
Für Deutschland schätzen die Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer die Nachteile zwar geringer ein als für die Braunkohleregionen, allerdings überwiegt auch hier die Anteil derer, die Einschnitte befürchten.


Mehr als drei Viertel befürchten mehr Arbeitslosigkeit in den Kohleregionen

Es ist vor allem die mögliche, steigende Arbeitslosigkeit in den Kohleregionen, die die MDRfragt-Mitglieder vor Augen haben: Mehr als drei Viertel befürchten, dass der Kohleausstieg dazu führen könnte. Daneben gibt es weitere Aspekte, um die sich die Befragten sorgen:

  • 77 % denken, dass Deutschland durch den Kohleausstieg mehr Strom importieren muss
  • 66 % fürchten, dass der Ausstieg vor Ort in den Kohleregionen wirtschaftlich nicht zu verkraften ist
  • 62 % denken, dass der Wirtschaftsstandort Deutschland dadurch geschwächt wird

In ihren Kommentaren haben uns viele MDRfragt-Mitglieder geschrieben, warum sie glauben, dass der Strukturwandel in den Kohleregionen nicht gelingen wird:

Die Illusion, eine ganze Region zum Museum zu machen und mit Kultur und Instituten zu retten, ist hirnrissig. Die Ideen zum Strukturwandel sind bisher dünn.

Peter V., 80 Jahre, Chemnitz

Man suche in der ehemaligen Kohleregion südlich von Leipzig nach Industrie?! Dort ist keine mehr entstanden in den letzten 30 Jahren!

Klaus H., 70 Jahre, Altenburger Land

Ich lebe in der Oberlausitz und habe bereits einen sehr gravierenden Strukturwandel erlebt. Jetzt, nach 30 Jahren, beginnt sich die Region langsam zu erholen. Ein neuer Strukturwandel, der auch die letzten verbliebenen großen Unternehmen verschwinden lässt - und mit diesen viele Unternehmen, die dort Partner sind - das wirft die Region wieder zurück.

Angelika V., 69 Jahre, Landkreis Görlitz

Es gibt aber auch viele Stimmen, die sich zuversichtlich zeigen:

Meine Heimat, die Lausitz, kann vom Strukturwandel profitieren. Die Gelder vom Bund müssen jedoch zielgerichtet eingesetzt werden. Mir fehlt ein klares Ziel, das gemeinsam vom Bund sowie Sachsen und Brandenburg verfolgt wird. Die Region sollte ihre Nähe zu den Halbleiter- bzw. Innovationszentren Dresden und Berlin nutzen.

Stephan B., 30 Jahre, Dresden

Hier im Raum Leipzig sieht man, dass man aus den Tagebauen Erholungsgebiete machen kann. Natürlich nicht über Nacht.

Corinna B., 51 Jahre, Leipzig

Einfach neue Technologien nutzen und Vorreiterrolle einnehmen. Nicht quatschen, einfach machen und nichts zerreden.

Mario W., 50 Jahre, Mittelsachsen


Drei Viertel der Braunkohle-Beschäftigten haben Zukunftsängste

Das Thema Arbeitslosigkeit und Jobwechsel beschäftigt auch diejenigen, deren Beruf aktuell von der Braunkohle abhängig ist:

  • In unserer Befragung haben 64 Prozent von ihnen angegeben, dass sie schlechte Chancen sehen, nach dem Kohleausstieg einen passenden Job in der Region zu finden.
  • 14 Prozent sind aktuell bereits aktiv auf Jobsuche.
  • 72 Prozent haben persönlich Zukunftsängste durch den geplanten Kohleausstieg und den Strukturwandel.

Einige Menschen, die aktuell beruflich mit der Braunkohle verbunden sind, haben uns geschrieben, wie sie auf den Strukturwandel blicken:

Ich habe im Mai diesen Jahres in den Tagebau gewechselt, um in der Region einen gut bezahlten Job zu haben. Ich hoffe, dass ich es bis zur Rente schaffe.

Jens S., 38 Jahre, Burgenlandkreis

In Zeitz und Umgebung sind viele Unternehmen mit der Kohle verbunden. Fällt die Kohle zu früh weg, stirbt die Region, weil die Jungen wieder weggehen werden.

Katja W., 46 Jahre, Burgenlandkreis

Momentan wird ja noch Kohle gefördert. Wenn sich bereits jetzt alle Arbeitskräfte aus dem Sektor in neuen Bereichen Arbeit suchen, wer produziert dann in den nächsten Jahren den Strom?

Ines K., 54 Jahre, Landkreis Görlitz


Deutliche Mehrheit hat kein Vertrauen in die Bundesregierung in Hinblick auf den Strukturwandel

81 Prozent aller MDRfragt-Mitglieder, die sich an der Befragung beteiligt haben, fehlt es an Vertrauen in die aktuelle Bundesregierung, dass sie den Strukturwandel in den Kohleregionen ausreichend begleitet. 16 Prozent vertrauen der Regierung diesbezüglich.


9 von 10 halten Strukturwandel für notwendig

Dabei zieht die deutliche Mehrheit nicht die Notwendigkeit des Strukturwandels an sich in Zweifel. Die finanzielle Unterstützung dieses Prozesses befürworten 88 Prozent der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer.


Mehr als die Hälfte will Kohleausstieg nach 2038 oder gar nicht

Zusammengerechnet die Mehrheit der Befragten spricht sich dafür aus, erst nach 2038 aus der Kohle auszusteigen (33 %) – oder überhaupt nicht (21 %). Den bislang geplanten Ausstiegstermin 2038 bevorzugt knapp ein Viertel; den früheren, von der derzeitigen Bunderegierung angestrebten Termin 2030 knapp ein Fünftel.

Noch deutlicher ist die Zustimmung beim Thema Atomkraftwerke: 65 Prozent sprechen sich für einen langfristigen Weiterbetrieb aus.

Uns haben viele Kommentare der MDRfragt-Mitglieder erreicht, die sich für längere Laufzeiten aussprechen:

Solange der steigende Energiebedarf nicht durch erneuerbare Energie gedeckt ist, kann es keinen Kohleausstieg geben. Genauso sehe ich das auch bei Atomkraftwerken.

Conny K., 52 Jahre, Jena

Kohle wird jetzt und immer gebraucht, weil die Menschen sich bald nichts anderes mehr leisten können. Jetzt werden doch schon wieder Kamine angeschafft. Warum wohl?!

Annett S., 58 Jahre, Weimarer Land

Wir kaufen aus umliegenden Länder Atomenergie zu. Dort werden neue Atomkraftwerke gebaut, z.B. Frankreich! Es erfolgt lediglich eine Verlagerung des Standortes. Die Atomkraftwerke sollten zwingend am Netz bleiben, um die Energiekosten der Bevölkerung in unserem Land in Zukunft wieder zu senken.

Dorit S., 51 Jahre, Erfurt

Aber auch diejenigen, die sich für den Ausstieg aus Kohle oder Atomkraft aussprechen, haben uns ihre Sichtweise beschrieben:

Im dritten Jahr ohne Wasser und bei ausgetrockneten Flüssen über eine Verlängerung oder Verschiebung des Ausstiegs zu diskutieren, ist für mich nicht mehr nachvollziehbar.

Manfred V., 58 Jahre, Landkreis Leipzig

Es gibt allein in Deutschland tausende Tonnen Atommüll und weltweit kein einziges Endlager. Eine Hypothek für Millionen Jahre.

Arno H., 59 Jahre, Magdeburg

Wir können uns komplett unabhängig von Despoten machen, wenn wir es jetzt umsetzen können, die Energie erneuerbar zu erzeugen. Gleichzeitig können wir damit auch Vorreiter sein und so wirtschaftlich unabhängiger.

Christiane F., 42 Jahre, Leipzig


Mehr als ein Drittel für späteren Ausstieg wegen Energiekrise

Die Energiekrise der letzten Wochen hat den Blick auf den Zeitpunkt des Kohleausstiegs bei mehr als einem Drittel der Befragungsteilnehmerinnen und -teilnehmer geändert: 39 Prozent sind nach eigenen Angaben mittlerweile für einen späteren Kohleausstieg als noch vor ein paar Wochen. Für die Mehrheit (55 %) hat sich an der Einstellung zum Kohleausstieg jedoch nichts geändert.


Deutliche Mehrheit befürchtet Spaltung der Gesellschaft durch Energiekrise

85 Prozent der MDRfragt-Mitglieder, die sich an dieser Befragung beteiligt haben, haben Sorgen, dass die Energiekrise zu einer Spaltung der Gesellschaft führen wird. Dafür sorgt vielleicht auch die Bewertung der Energiepolitik der Bundesregierung: Mit ihr zeigen sich 87 Prozent aktuell unzufrieden oder eher unzufrieden. Fast jeder - 95 Prozent - geht davon aus, dass Proteste und Demonstrationen in den kommenden Wochen zunehmen werden.


Über diese BefragungDie Befragung vom 26. - 29.08.2022 stand unter der Überschrift:
Kohleausstieg - festhalten oder verschieben?

Insgesamt sind bei MDRfragt 62.519 Menschen aus Mitteldeutschland angemeldet (Stand 29.08.2022, 11 Uhr).

27.906 Menschen aus Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen haben online an dieser Befragung teilgenommen. Nach eigenen Angaben leben 21 Prozent davon selbst in einer Region, die vom Kohleausstieg und dem Strukturwandel betroffen ist - also rund um die Lausitz oder das Mitteldeutsche Revier. Zudem gaben 2 % an, aktuell selbst beruflich von der Braunkohle abhängig zu sein. 4 Prozent haben früher in diesem Bereich gearbeitet.

Verteilung nach Altersgruppen:
16 bis 29 Jahre: 303 Teilnehmende
30 bis 49 Jahre: 4.052 Teilnehmende
50 bis 64 Jahre: 11.823 Teilnehmende
65+: 11.728 Teilnehmende

Verteilung nach Bundesländern:
Sachsen: 14.574 (52 Prozent)
Sachsen-Anhalt: 6.741 (24 Prozent)
Thüringen: 6.591 (24 Prozent)

Verteilung nach Geschlecht:
Weiblich: 11.785 (43 Prozent)
Männlich: 16.058 (57 Prozent)
Divers: 63 (0,02 Prozent)

Die Ergebnisse der Befragung sind nicht repräsentativ. Wir haben sie allerdings in Zusammenarbeit mit dem wissenschaftlichen Beirat nach den statistischen Merkmalen Bildung, Geschlecht und Alter gewichtet. Das heißt, dass wir die Daten der an der Befragung beteiligten MDRfragt-Mitglieder mit den Daten der mitteldeutschen Bevölkerung abgeglichen haben.

Aufgrund von Rundungen kann es vorkommen, dass die Prozentwerte bei einzelnen Fragen zusammengerechnet nicht exakt 100 ergeben.

Hintergründe zum Thema Kohleausstieg

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | MDR Aktuell | 02. September 2022 | 21:45 Uhr