Ostdeutsches Wirtschaftsforum Kann der Osten Transformation?

15. Juni 2022, 09:52 Uhr

"Ostdeutsche Standorte spielen in der Weltliga mit", erklärte Bundeskanzler Olaf Scholz beim 7. Ostdeutschen Wirtschaftsforum. Doch ist Ostdeutschland auch für die Energiewende und den kommenden Strukturwandel gerüstet?

Experten aus Wirtschaft, Wissenschaft, Verbänden und Politik haben sich vom 12. bis 14. Juni zum 7. Ostdeutschen Wirtschaftsforum im brandenburgischen Bad Saarow getroffen. Die diesjährige Konferenz stand unter dem Motto "Tranformation gestalten". Zentral dabei: Ist Ostdeutschland 32 Jahre nach der Wiedervereinigung bereit für eine erneute wirtschaftliche Veränderung?

Wichtig sei, die verschiedenen Facetten der Transformation im Blick zu haben, so Sachsens Wirtschaftsminister Martin Dulig: "Unsere Aufgabe ist es, industrielle, ökologische und digitale Transformationsprozesse – und nicht zuletzt den Wandel in der Arbeitswelt – zugleich zu denken." Unter den Teilnehmern waren auch Bundeswirtschaftsminister Habeck, die Wirtschaftsminister von Thüringen und Brandenburg sowie der Ostbeauftragte der Bundesregierung. Bundeskanzler Olaf Scholz (SPD) hatte am Sonntagabend die Eröffnungsrede gehalten.

Maria und Christian Piechnick, zwei der Gründer des Dresdner Startups WANDELBOTS. 89 min
Maria und Christian Piechnick, zwei der Gründer des Dresdner Startups WANDELBOTS. Bildrechte: MDR

Der Osten – eine der attraktivsten Wirtschaftsregionen Europas

"Inzwischen gibt es hier nicht mehr nur einzelne wirtschaftliche Leuchttürme mit regionaler oder bundesweiter Strahlkraft", spielte der Bundeskanzler beim 7. Ostdeutschen Wirtschaftsforum auf die Ansiedlung internationaler Großindustrie wie Tesla in Grünheide oder Intel in Magdeburg an. "Ostdeutsche Standorte spielen in der Weltliga mit", so Scholz weiter. "Der Osten Deutschlands ist inzwischen in vielerlei Hinsicht eine der attraktivsten Wirtschaftsregionen Europas geworden." Schon jetzt würden höhere Investitionssummen in den Osten fließen als zum Beispiel in den Süden Deutschlands.

Ostdeutsche Standorte spielen in der Weltliga mit.

Bundeskanzler Olaf Scholz

Transformationsbarometer zeigt Stimmung im Osten

Doch reichen Investitionen allein für die notwendige Energiewende und den kommenden Strukturwandel? Unter anderem diese Fragen versuchte ein Transformationsbarometer zu beantworten. Befragt worden waren 500 Entscheidungsträger aus der ostdeutschen Wirtschaft – und das im April und Mai, also nach dem Einmarsch Russlands in die Ukraine. Die Kernaussage: Beinahe 60 Prozent sehen positives Potential in der ostdeutschen Wirtschaft – davon rund 22 Prozent sehr positiv.

Stärke: Engagierte und anpassungsfähige Mitarbeiter

Als treibende Standortfaktoren im Osten werden von vielen die Verfügbarkeit von erschwinglichen Grundstücken und die gute Verkehrsinfrastruktur genannt. Kleiner Seitenhieb an die anwesende Politprominenz von Janina Mütze, deren Meinungsforschungsunternehmen CIVEY das Barometer erstellt hat: Die Zufriedenheit mit der politischen Planungssicherheit liegt nur bei 7,5 Prozent. Als Stärken der ostdeutschen Unternehmen werden das Engagement der Mitarbeitenden (62,8 Prozent) und die Anpassung an den Wandel (39,1 Prozent) aufgeführt.  

Herausforderungen: Fachkräftemangel und Rohstofflieferungen

Die größte derzeitige Herausforderung ist es für die Wirtschaftsbosse, neue Arbeits- und vor allem Fachkräfte zu finden (59,1 Prozent) und diese auch zu halten (33,6 Prozent). Darüber hinaus machen sich 36,8 Prozent der Befragten Sorgen über Rohstofflieferungen oder benötigte Importe – vor allem als Folge des Ukrainekriegs und der Corona-Pandemie. Die digitale Transformation (9,5 Prozent) und die nachhaltige Transformation (5 Prozent) sehen die meisten Unternehmen hingegen als eher kleine Herausforderungen.

Hoffnungen: Infrastruktur und Forschung stärken und Bürokratie abbauen

Während an den Nachschubsorgen von politischer Seite aus gearbeitet wird, bleibt die Frage, wie man dem Arbeits- und Fachkräftemangel im Osten begegnen will. Die Befragten wünschen sich von der Politik vor allem Investitionen in die digitale Infrastruktur und in die Forschung.  Und ein Thema brennt den Wirtschaftsbossen auf den Nägeln: 62,2 Prozent fordern einen Bürokratieabbau. Bundeskanzler Olaf Scholz sagte dazu mit Blick auf die Planungs- und Genehmigungsprozesse beim Ausbau von erneuerbaren Energien: "Wir müssen die Dauer von Verwaltungsverfahren mindestens halbieren."

Zukunft der ostdeutschen Raffinerien

Beim Ostdeutschen Wirtschaftsforum ging es auch um die Energiewende und die Zukunft der Öl-Raffinerien in Schwedt und Leuna. Während die westdeutschen Raffinerien über die Ost- und Nordseehäfen und dann über den Landweg versorgt werden, fließt das Öl in die beiden ostdeutschen Standorte durch die Druschba-Pipeline aus Russland. "Wir sehen die ostdeutsche Wirtschaftsgeschichte in den Energiestrukturen, die wir vorfinden. Man sieht die Teilung Deutschlands in der Öl-Infrastruktur", sagte Bundeswirtschaftsminister Robert Habeck (B´90/Grüne). Das mache die Konsequenzen für ein mögliches Öl-Embargo regional sehr unterschiedlich und benachteilige den Osten. Hingegen würde das schon bestehende Steinkohle-Embargo eher den Westen treffen und ein Gas-Embargo wäre für den Südwesten problematisch.

Scholz: "Unabhängig werden von russischen Energieimporten"

Bundeskanzler Scholz betonte nochmals: "Wir müssen unabhängig werden von russischen Energieimporten – und zwar so schnell wie möglich. Dabei haben wir immer auch Ostdeutschland im Blick.“ Ein Öl-Embargo dürfe nicht zu massiven regionalen Preisunterschieden an den Zapfsäulen und zu einer Schwächung der ostdeutschen Wirtschaft führen. Dennoch kritisierte Robert Habeck den derzeit geltenden Tankrabatt: "In die Preisgestaltung einzugreifen, ist eigentlich nicht das klügste Instrument." Besser wäre es, neue Energie-Lieferquellen für den Osten zu erschließen, erneuerbare Energien zügig ausbauen und für mehr Energieeffizienz sorgen.

Fazit: Politik ist zuversichtlich, Wirtschaftsbosse zweifeln aber

"Die ostdeutsche Wirtschaft holt mit großer Geschwindigkeit auf und ist in einzelnen Strukturen in gewissen Sektoren der westdeutschen Wirtschaft schon überlegen", resümierte der Bundeswirtschaftsminister in Bad Saarow. Er sieht den Osten gut gerüstet für die vielleicht größte wirtschaftliche Transformation seit der Wende. Die ostdeutschen Wirtschaftslenker sind da schon eher skeptisch. Mehr als die Hälfte (56,4 Prozent) glaubt laut dem Transformationsbarometer nicht daran, dass der Strukturwandel in Ostdeutschland in den nächsten zehn Jahren gelingen wird.

MDR-Wirtschaftsredaktion

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 13. Juni 2022 | 21:45 Uhr

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