Rumänien Spätes Mutterglück
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Rumänien: Im Rentenalter Mutter werden
Adriana Iliescu könnte mit ihren fast 79 Jahren längst Großmutter sein. Doch dafür ist die Rumänin zu spät Mutter geworden. Ohne eine Eizellenspende wäre ihr Kinderwunsch ein Traum geblieben. In Deutschland ist solch eine Spende verboten, viele Frauen aber umgehen das Verbot und reisen nach Osteuropa.

Als die 66-jährige Literaturdozentin Adriana Iliescu eines Tages ihren Chef um ein wichtiges Gespräch bat, dachte er, sie wolle den Ruhestand beantragen. In ihrem Alter wäre das auch keine Überraschung gewesen. Iliescu aber bat um Mutterschaftsurlaub. Anfang 2005 brachte sie in einer staatlichen Klinik in Bukarest ein Mädchen zur Welt - Iliescu war zu diesem Zeitpunkt die älteste Mutter der Welt und kam mit der Geburt ins Guinness-Buch der Rekorde.
Während Frauen in ihrem Alter für gewöhnlich einen Gang zurückschalten und an die Rente denken, startete die Unidozentin noch einmal durch, wusch Windeln, kochte Babybrei, lehrte ihre Tochter Eliza sprechen, laufen, lesen. Dass jüngere Frauen sie bemitleidenswert anschauen oder hinter ihrem Rücken tuscheln, störe sie nicht. Die hätten "doch alle nur Komplexe", sagte Iliescu vor Jahren in einem Interview.
Mehr Zeit als Rentnerin
War es mit 66 Jahren nicht längst zu spät für Nachwuchs und erst recht für eine Frau, die alleinstehend ist? Die heute fast 79-jährige Iliescu lehnt ein Interview zu diesen Fragen ab. Sie will sich nicht rechtfertigen müssen, wenngleich ihr Fall seit Jahren weltweit für mediales Aufsehen sorgt. In regelmäßigen Abständen berichten rumänische Medien über die Mutter, die in ihrem Rentenalter nur Vorteile sieht. Sie könne sich jetzt zu 100 Prozent auf Eliza konzentrieren und sei nicht wie jüngere Frauen hin- und hergerissen zwischen Kind und Karriere. Mutter zu sein, sei ihr Lebenstraum gewesen: Als sie mit 20 Jahren schwanger war, musste sie wegen einer TBC-Erkrankung abtreiben. Danach hat es jahrzehntelang einfach nicht mehr geklappt.
Leihmutter in der Menopause
Als die künstliche Befruchtung auch in rumänischen Geburtskliniken ein Thema wurde, holte Iliescu den Kinderwunsch nach - ausgerechnet in der Menopause, wo der weibliche Körper keine befruchtungsfähigen Eizellen mehr herstellt. Iliescus Mutterschaft galt deswegen in der Presse 2005 noch als "medizinisches Wunder", heute ist ein solcher Eingriff fast Routine.
Iliescus Tochter wurde per In-Vitro-Fertilisation im Labor gezeugt, aus der Eizelle und dem Sperma zweier anonymer Spender. Wer die Eltern von Eliza sind, wird für immer ein Geheimnis bleiben. Für Iliescu ist das kein Problem, sie hält sich für die leibliche Mutter, schließlich hat sie mit einer entsprechenden Hormonbehandlung das Kind ausgetragen - trotz Menopause. Die Erfolgsquote ist in diesem Alter bis heute gering. Auch sind späte Geburten umstritten, weil sie zahlreiche Gesundheitsrisiken bergen - für Leihmutter und Embryonen. Iliescu musste bei der Behandlung mehrere Fehlgeburten hinnehmen, bis sie Eliza zur Welt brachte - per Kaiserschnitt und sechs Wochen zu früh. Das Neugeborene wog mit 1.400 Gramm nicht einmal die Hälfte eines Durchschnittsbabys. Ohne Versorgung im Brutkasten hätte es nicht überlebt.
"Egoistisch und unverantwortlich"
Darf man im Rentenalter noch ein Kind bekommen? "Wünschen darf man sich alles", sagt der Politikexperte und Theologe Florian Bichir und fragt sich zugleich: "Aber muss man auch alles realisieren?" Er hat für orthodoxe Kirchenblätter immer wieder über den Fall Iliescu geschrieben. "Die Natur regelt doch nicht vergebens, dass eine Frau ab einem bestimmten Alter nicht mehr fruchtbar ist", meint er.
Dass die alleinstehende Iliescu so spät noch Mutter geworden sei, hält der Theologe bis heute "für egoistisch und unverantwortlich". Zu früh werde damit die Tochter mit Themen wie Pflegebedürftigkeit, Trauer und Tod konfrontiert. In der Tat könnte es passieren, dass Eliza in der Pubertät ihre Mutter pflegen muss, statt mit ihren Freunden um die Häuser zu ziehen. Und was, wenn die Mutter stirbt, bevor Eliza 18 Jahre ist? Das minderjährige Mädchen wäre auf einen Schlag eine Waise. "Wie kann man sich als Mutter auf ein solches Risiko einlassen", meint Bichir. Als die rumänische Presse bei Adriana Iliescu nachfragte, entgegnete sie, das sei ein "intimes Thema, das sie mit niemanden besprechen möchte".
Wann ist es für Nachwuchs zu spät?
Hätte Adriana Iliescu mit 66 Jahren bei der Nationalen Adoptionsagentur in Rumänien vorgesprochen, hätte sie gewiss keine Chance gehabt. "Sie wäre natürlich durch das soziale Raster für adoptionsfähige Eltern gefallen", ist sich der Bukarester Gynäkologe Bogdan Marinescu sicher. Er verhalf Iliescu zum späten Mutterglück. Für ihn zählte, dass "meine Patientin die biologischen Werte einer 35-Jährigen aufwies. Das war beneidenswert", erinnert sich der 76-jährige Arzt.
Natürlich habe er sich auch moralische Fragen gestellt: "Doch sagen Sie mal einer Frau, dass sie zu alt für etwas ist. Das ist nun wirklich nicht die feine Art." Marinescu gehört heute zu den prominentesten Gynäkologen Rumäniens, der Iliescu-Fall hat ihn berühmt gemacht und über 50-jährige Frauen ermutigt, doch noch ihren Babywunsch in die Tat umzusetzen. "In ein paar Jahrzehnten wird der Mensch vielleicht im Durchschnitt über 100 Jahre alt werden. Sollen wir dann sagen, dass es mit 50 oder 60 Jahren schon zu spät für Nachwuchs ist?", fragt Marinescu.
Verbot lässt sich leicht umgehen
Adriana Iliescu ist weltweit längst nicht mehr die einzige Mutter, die wegen ihres Alters für Schlagzeilen sorgt. Im Mai 2015 brachte eine Berlinerin in der Charité Vierlinge zur Welt - im Alter von 65 Jahren. Sie ließ sich die durch Samen- und Eizellenspenden erzeugten Embryonen in einer Klinik in der Ukraine einsetzen, denn in Deutschland ist das verboten. In vielen anderen Ländern Europas aber gibt es weniger strenge Regelungen, das deutsche Verbot lässt sich damit leicht umgehen. Sollte das politische Berlin damit nicht besser die Eizellenspende und die Leihmutterschaft legalisieren? Ein Thema, das im März auch der Deutsche Ethikrat diskutierte.
Eizelle für 2.000 Euro
Längst lassen sich Schätzungen zufolge Tausende Frauen im Ausland Eizellen einsetzen, um sich ihren Kinderwunsch zu erfüllen. Man reist vor allem nach Spanien, Tschechien, Russland und Polen. Auch in Rumänien sind Eizellenspenden erlaubt - vorausgesetzt, die Spenderin erhält dafür kein Geld. Die Realität ist in den meisten Fällen eine völlig andere. Nicht aus altruistischen Gründen lassen sich viele Spenderinnen auf den hormonellen, risikoreichen Eingriff ein, sondern aus finanziellen Gründen. Das Internet ist voller Anzeigen von Mitte 20-jährigen Rumäninnen, die ihre Eizellen für eine Summe von bis zu 2.000 Euro anbieten – das Dreifache eines monatlichen Durchschnittslohnes im Land.
Pläne für die Zukunft
Die mehrfachen Eizellenspenden, auf die Adriana Iliescu angewiesen war, hätte sie sich finanziell niemals leisten können. Doch die ungewöhnliche Patientin bekam eine kostenlose Behandlung, sie war der Testfall. Inzwischen tatsächlich in Rente, empfing Iliescu Anfang des Jahres das öffentlich-rechtliche rumänische Fernsehen in ihrer Zweiraumwohnung in einem Bukarester Neubauviertel: Es gab den zwölften Geburtstag von Eliza zu feiern. Iliescu ließ die Öffentlichkeit einmal mehr teilhaben. Es gab eine Torte als Geschenk. Tochter und Mutter müssen mit 440 Euro Rente im Monat auskommen, nicht viel für die teure Millionenstadt Bukarest.
Eliza sitzt an einem verstimmten Klavier und klimpert sichtlich vergnügt. Stolz hört ihr Adriana Iliescu zu. Wenn ihre Tochter volljährig ist, wird sie 84 Jahre alt sein. Iliescu hat noch Zukunftspläne: Sie träumt davon, eines Tages Großmutter zu werden. Es ist ein Wettlauf gegen Zeit. Er könnte klappen - vorausgesetzt, ihre Tochter lässt sich beim Kinderkriegen nicht so viel Zeit wie sie.
(zuerst veröffentlicht am 11.05.2017)
Über dieses Thema berichtete der MDR auch im: TV | 19.10.2016 | 17:14 Uhr