Nach Havarie in Warschau, 04.09.2019 Regierung macht Wahlkampf mit Abwasser

04. September 2019, 05:00 Uhr

Seit mehr als einer Woche fließt bei Warschau nach einer Havarie Abwasser ungefiltert in die Weichsel. Während die Behörden das Problem beheben, betreibt die Regierung Wahlkampf gegen den Bürgermeister der Stadt.

Urin, Fäkalien, Duschwasser - ein Großteil des Warschauer Abwassers fließt seit über einer Woche ungefiltert in die Weichsel. Grund ist ein defektes Rohr. Das Schmutzwasser kann nicht mehr von der linken Flussseite zur Kläranlage "Czajka" rechts der Weichsel transportiert werden. Es wurde kurz nach der Havarie zunächst zu einem zweiten Sammelbecken weitergeleitet, das setzte kurze Zeit später jedoch ebenfalls aus.


Über eine provisorische Leitung auf einer Pontonbrücke soll das Abwasser nun auf die andere Weichselseite abgeführt werden. Diese Brücke wurde von 170 Soldaten fertiggestellt, Samstagabend soll die darauf liegende Rohrleitung fertig werden und am Sonntag das Pumpensystem starten. Bis dahin fließt das Schmutzwasser weiter in die Weichsel ab.

Luftaufnahme von einem Klärwerk.
Hier sollte das Wasser eigentlich hin: in die Kläranlage Czajka rechts der Weichsel. Bildrechte: imago images / Eastnews

Regierung spricht von einer ökologischen Katastrophe

An einem Tag landen zurzeit über 260.000 Kubikmeter Abwasser ungeklärt im Fluss. Eine ökologische Katastrophe, sagte Polens Gesundheitsminister kurz nach der Havarie:

Der Sauerstoffgehalt in der Weichsel ist stark abgesunken. Das ist eine Bedrohung für die Tierwelt in der Weichsel, das heißt, es ist eine ökologische Katastrophe, überall tote Fische - das ist ein Problem.

Łukasz Szumowski, Gesundheitsminister

Warschaus Bürgermeister Rafał Trzaskowski richtete direkt nach Bekanntwerden des Ausfalls einen Krisenstab ein und beruhigte die Bevölkerung im gleichen Atemzug, dass das Trinkwasser der Hauptstadt weiterhin genießbar sei. Das Leitungswasser sei von der Störung nicht betroffen. Außerdem wird das Wasser seit dem Wochenende keimfrei gemacht. "Wir schaffen es, 90 Prozent aller Bakterien zu neutralisieren", sagte der Bürgermeister am Wochenende. Der Sauerstoffgehalt sei auch wieder um 300 Prozent gestiegen.

Wasserproben werden aus Fluss entnommen.
Wasserproben aus der Weichsel ergaben, dass Abwasser bis zu einem Prozent des Wasservolumens ausmacht. Bildrechte: imago images / Eastnews

Trotz dieser Maßnahmen hat kontaminiertes Wasser bereits das 100 Kilometer entfernte Płock sowie das 250 Kilometer entfernte Toruń erreicht. Das Sicherheitszentrum der Regierung rät, nicht im Fluss zu baden oder daraus zu trinken.

Dreckige Wahlkampagne?

In Polen sind am 13. Oktober Parlamentswahlen. Und so ist es für viele klar, dass auch das Leck im Abwasserrohr für politische Zwecke instrumentalisiert wird. Einige PiS-Politiker nutzen das Versagen in der Czajka-Kläranlage, um die Opposition anzugreifen - teilweise nimmt das absurde Maße an: Der Chef des Präsidialamtes, Marek Suski, setzte den Rohrbruch Warschaus mit der Reaktorkatastrophe von Tschernobyl gleich und griff den Bürgermeister Warschaus von der Oppositionspartei Bürgerplattform scharf an: Er habe zu wenig getan, um die Havarie zu bekämpfen. Auch der Umweltminister Henryk Kowalczyk beschuldigte das Stadtoberhaupt, das Scheitern für fast 24 Stunden versteckt zu haben. Doch der oppositionelle Bürgermeister ist keineswegs tatenlos: Er hat die Havariestelle im Rohr bereits besucht. Außerdem rollten in der Stadtverwaltung die ersten Köpfe, da das havarierte Rohr nicht wie vorgesehen alle fünf Jahre gewartet wurde.

Trzaskowski Warschau Bürgermeister
Auf Twitter zeigt der Bürgermeister Warschaus, Trzaskowski, dass er nicht inaktiv zuguckt. Auch wenn ihm die PiS-Regierung das vorwirft. Bildrechte: Screenshot Twitteraccount Politiker

Der Umweltschützer Radosław Gawlik sagte dem polnischen Radiosender Tok FM, dass die Regierung Ängste erzeuge, um ein falsches Sicherheitsgefühl in der Bevölkerung aufzubauen. Diese Katastrophe dürfe man nicht unterschätzen, so Gawlik. Doch er erinnerte auch daran, dass bis 2012 das Abwasser gänzlich in den Fluss geleitet wurde, da "Czajka" erst 2012 eröffnet wurde. Und bis dahin habe es keine regelmäßigen Warnungen der Regierung gegeben. "Die Regierung ist da, um den Menschen zu helfen, nicht um sie zu erschrecken", so der Experte.

Verdreckter Fluss.
Bis 2012 wurde ein Großteil des Warschauer Abwasser in die Weichsel gelassen. Denn die Kläranlage "Czajka" gab es damals noch gar nicht. Bildrechte: imago images / Eastnews

Umweltschützer sehen Flüsse schon länger in Gefahr

Die Weichsel ist mit rund 1000 Kilometern der längste Fluss in Polen. Sie fließt von Süden nach Norden in die Ostsee und ist weitestgehend naturbelassen. Polnische Umweltaktivisten warnen schon lange davor, dass das Ökosystem der Flüsse in Gefahr ist: Erst im Juli ist eine Gruppe mit einem Kahn 1000 Kilometer auf der Weichsel gefahren, um für den Erhalt der Flüsse zu werben.

(adg)

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 19. Juli 2019 | 17:45 Uhr

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