Diktat in Russland
Hm, wie schreibt man das nur? Das "Totale Diktat" ist eine Herausforderung auch für Erwachsene. Bildrechte: imago/ITAR-TASS

Weltweites Event Das "Totale Diktat" in russischer Sprache

16. April 2019, 10:22 Uhr

Im Zeitalter von Smartphones, Social Media und Messenger-Diensten haben immer mehr Menschen Schwierigkeiten mit der Rechtschreibung. Um dem Sprachverfall entgegenzuwirken, wird in Russland seit einigen Jahren die Aktion "Totales Diktat" veranstaltet. Was vor 15 Jahren im fernen Nowosibirsk mit 150 Teilnehmern begann, ist mittlerweile zu einer weltweiten Aktion geworden, die immer beliebter wird. Am 13. April war es wieder so weit.

Freiwillig an einem freien Samstag ein Diktat schreiben und dabei auch noch Spaß haben? Kaum vorstellbar! Doch Russland macht vor, dass das möglich ist. Hier versammeln sich einmal im Jahr Menschen an unterschiedlichsten Orten, um sich den Herausforderungen und Fallstricken der russischen Sprache zu stellen. Dieses Jahr fand am 13. April die Veranstaltung mit dem etwas sperrigen Namen "Totales Diktat" allein in Russland in 772 Orten statt. Weitere 340 Städte kamen im Ausland hinzu. Die freiwillige Bildungsveranstaltung brach auch dieses Jahr wieder alle Rekorde. Sie erfreut sich großer Beliebtheit in allen Alters- und Bevölkerungsgruppen.

Viele Menschen in einem Voresungssaal
Im Hörsaal: Das erste Diktat schrieben 2004 Studenten der Uni in Nowosibirsk. Bildrechte: Stiftung Totales Diktat

Weltweit Diktat-Runden - jeder kann mitmachen

Die Veranstalter vermeldedeten vorab stolz, dass das Diktat auf allen Kontinenten stattfinden und voraussichtlich mehr als 250.000 Teilnehmer anziehen wird. Überall dort, wo russische Minderheiten leben, veranstalten Freiwillige eigene Diktatrunden, sogar in den Vereinigten Arabischen Emiraten, in Myanmar und Peru.

Männer sitzen bei eisiger Kälte im Freien
Hype around the world: Selbst Forscher in der Antarktis nahmen am Rechtschreibtest teil. Bildrechte: Stiftung Totales Diktat

Besonders freuten sich die Organisatoren des "Totalen Diktats" über die Zunahme von Plattformen in China, den USA und in Deutschland. Hier machten 2019 bereits 20 Orte mit. In Mitteldeutschland waren es neben Erfurt, Leipzig und Dresden auch kleinere Städte wie Ilmenau und Dessau. Dabei muss man nicht unbedingt russischer Muttersprachler sein, um das Diktat mitschreiben zu können. Die Veranstaltung ist auch explizit an Menschen gerichtet, die gerade dabei sind, die Sprache zu lernen. Dazu erarbeitet der philologische Expertenrat in Nowosibirsk für Sprachanfänger einen inoffiziellen Test in vereinfachtem Russisch, der auf dem Originaltext basiert.

Astronaut Oleg Artemjew
Noch viel weiter weg und doch voll dabei: 2014 und 2018 schrieben auch Astronatuten auf der ISS ein Diktat. Im Bild der Kosmonaut Oleg Artemjew. Bildrechte: Stiftung Totales Diktat

Tallin für einen Tag "Hauptstadt des Diktats"

Seit 2017 bestimmt der Expertenrat des "Totalen Diktats" eine Hauptstadt zu dessen Austragung. In diesem Jahr war es die estnische Hauptstadt Tallin. Dort wurde gleich an mehreren Orten der aktuelle Text des russischen Schriftstellers und Literaturkritikers Pavel Basinskij vorgetragen. Der Verfasser selbst diktierte im Zentrum für Russische Kultur, der populäre estnische Schauspieler Kirill Käro las in einer städtischen Sporthalle und als besonderer Coup und dritter "Diktator", wie die Vorleser scherzhaft bezeichnet werden, war der Trainer der russischen Fußballnationalmannschaft, Stanislav Tschertschesow, angekündigt worden.

Die Esten, wie die Bewohner aller postsowjetischen Staaten noch immer traumatisiert von der jahrelangen Zwangsherrschaft der UdSSR, hatten offenbar kein Problem damit, dass der Hauptaustragungsort des russisches Diktates 2019 ihre Haupstadt war. In Estland ist etwa jeder vierte Bürger ethnischer Russe.

Blick auf eine Veranstaltung mit einem Podium und vielen Zuschauern
Schreiben in der Sporthalle: In diesem Jahr ist der Hauptaustragungsort des "Totalen Diktats" die estnische Hauptstadt Tallin. Dort schrieb man auch 2016 schon, wie das Bild zeigt. Bildrechte: Stiftung Totales Diktat

Den Anfang machte ein studentischer Flashmob

Seinen Anfang nahm das Ganze im Jahr 2004 an der Staatlichen Universität der Stadt Nowosibirsk. Damals hatten Studenten humanistischer Fachrichtungen beschlossen, eine offene Diktatrunde zu veranstalten, für alle, die Lust an der russischen Sprache haben. Sie suchten einen Ausschnitt aus dem Klassiker der Weltliteratur "Krieg und Frieden" von Lew Tolstoi aus und ließen diesen von einem an der Uni beliebten Geschichtsdozent vorlesen. 150 freiwillige Schreiber kamen damals zusammen, im Jahr darauf schrieben bereits 235 Studenten das Diktat.

Richtig groß wurde die Veranstaltung fünf Jahre später. 2010 wurde das "Totale Diktat" nicht mehr nur an der Universität von Nowosibirsk veranstaltet, sondern auch in Schulen und Bibliotheken der Stadt. Highlight war nun, dass der diktierte Text nicht mehr den Literaturklassikern entnommen, sondern speziell für diesen Anlass verfasst wurde. Und zwar von niemand geringerem als Boris Strugatzki – einem Star der sowjetischen Science-Fiction-Literatur. Damit begann der Siegeszug des "Totalen Diktats". Durch die mediale Aufmerksamkeit wurde die Veranstaltung landesweit bekannt. 2011 schaffte sie den Sprung ins Ausland, als sich der Russische Club des Massachusetts Institute of Technology (MIT) bei den Organisatoren meldete und den Wunsch äußerte, das Bildungsevent auch in Boston zu veranstalten.

Anstecker mit russischer Beschriftung
#AlleZumDiktat: Wer den Sticker trägt, zeigt, dass er dabei war. Bildrechte: Stiftung Totales Diktat

(den)

Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im: TV | 13.10.2017 | 19:30 Uhr

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