Computerspielbranche Ukraine: Wird Kiew zum Mekka des E-Sports?

05. Oktober 2020, 05:00 Uhr

Für 34 Millionen Euro kauft der Mitbegründer eines erfolgreichen E-Sport-Teams das Kiewer Hotel "Dnipro" im Herzen der ukrainischen Hauptstadt. Aus dem einst staatlichen Hotel soll nun das weltweit erste E-Sport-Hotel werden. Doch die Pläne sind noch größer, nämlich die Ukraine zu einem der größten E-Sport-Zentren überhaupt zu machen.

"Endlich geht die große Privatisierung los", schrieb der ukrainische Präsident Wolodymyr Selenskyj im Juli auf Facebook, als das staatliche 4-Sterne-Hotel Dnipro im Herzen Kiews für 34 Millionen Euro an ein bisher eher unbekanntes Immobilienunternehmen versteigert wurde. Kaum ein Hotel hat eine bessere Lage – und trotzdem häuften sich rund 150.000 Euro an Schulden an. Selenskyj ist bei der letztjährigen Präsidentschaftswahl mit dem Ansatz angetreten, unrentable Unternehmen in staatlicher Hand zu privatisieren.

Dnipro war nun der erste große Schritt. Eigentlich eine gute Nachricht. Doch weil über die Käufer vorerst gar nichts bekannt war, wurde schnell spekuliert. Ukrainische Medien vermuteten Russen hinter dem Kauf, und zwar mit dem Ziel, im Dnipro ein Casino zu eröffnen. Doch schon wenig später outete sich der wahre Käufer: der Kiewer Olexander Kochanowskyj, der 2009 die erfolgreiche ukrainische E-Sport-Mannschaft Natus Vincere (Na’Vi, zu Deutsch: Geboren zum Siegen) gründete und nun die ukrainische Hauptstadt mit seinen überwiegend lokalen Partnern zum Mekka des E-Sports machen will.

Das Hotel "Dnipro" in Kiew
Das Hotel "Dnipro" liegt am Europaplatz genau an der Kreuzung zur Prachtstraße Chreschtschatyk. Bildrechte: MDR/Denis Trubetskoy

Riskantes Investment in der Corona-Zeit

"Natürlich ist das Investment während der Corona-Krise riskant", meint der 37-Jährige, der eher einem Basketballspieler als einem Gamer ähnelt. Die Gaming-Industrie profitiere zwar teilweise von Corona, indem die Spieleverkäufe nach oben gehen. Gleichzeitig leidet die Branche aber spürbar unter dem Ausfall von großen Offline-Turnieren.

Olexander Kochanowskyj
Olexander Kochanowskyj hat viel vor: Er will die Ukraine zum weltweiten E-Sport-Zentrum ausbauen. Bildrechte: MDR/Denis Trubetskoy

"Diese Hotelversteigerung war aber die einmalige Chance, die wir nicht verspielen wollten. Eine andere Location dieser Art gibt es schlicht im ganzen Land nicht." Kochanowskyjs Plan ist es, das Dnipro mit aktuell 186 Zimmern, einem SPA-Zentrum und mehreren Konferenzhallen zum ersten E-Sport-Hotel weltweit zu machen: "Zwar gibt es durchaus Hotels für Gamer, aber nicht für den professionellen Sport." Vier Etagen sollen exklusiv den E-Sportlern vorbehalten sein.

"Die Spieler werden in ihren Zimmern trainieren können, alle möglichen Entspannungsangebote wie etwa Massage werden ihnen zur Verfügung stehen. Es wird zudem jeweils eine Trainings- und eine Unterhaltungslounge sowie eine kleine Bühne für kleine Turniere mit bis zu 200 Zuschauern geben", erklärt Kochanowskyj.

"Uns geht es aber nicht nur um das Hotel, das würde erst nach gut 18 Jahren Gewinn einfahren. Wir wollen ein komplettes profitables System durch die Gamer-Struktur aufbauen - und das macht sich dann schon in rund sieben Jahren bezahlt. An sich wird Dnipro ein 4-Sterne-Hotel bleiben, fünf Sterne peilt man nicht an. Die heutigen Angestellten sollten zudem ihre Jobs behalten, eine Kürzung der Gehälter ist gemäß den Regeln der Ausschreibung verboten.

Eine Arena für 10.000 Zuschauer soll entstehen

Ein noch wichtigerer Teil des von Kochanowskyj angesprochenen Konzepts soll eine multifunktionale E-Sport-Arena für 10.000 Zuschauer sein, für die er innerhalb der nächsten sechs Monate einen passenden Ort finden will. Denkbar wäre etwa der Umbau des Kiewer Sportpalastes, der größten ukrainischen Sporthalle. Andere Events, Konzerte und Sportereignisse sollten dort weiterhin stattfinden, davon würde man gerne profitieren. Die dritte Säule wäre ein eigener Turnierveranstalter. "Im Jahr finden rund 300 große Turniere statt. Wenn wir diese drei Säulen gleichzeitig haben, haben wir einen großen Wettbewerbsvorteil. Ein solches Turnier bringt etwa eine Million US-Dollar. Wir könnten dabei rund zwölf Turniere pro Jahr austragen, das wäre vollkommen realistisch", so Kochanowskyj.

Kochanowskyj: Zukunft liegt im E-Sport

In diesem Jahr schätzt der Kiewer den Markt der Spieleentwicklung auf 180 Milliarden US-Dollar, in fünf Jahren läge dieser Wert bei 300 Milliarden – das wäre dann mehr, als Filmindustrie, Musik und Sport zusammen. E-Sport ist das Hauptinstrument der Entwickler, ihre Spiele zu promoten. Alleine das Preisgeld beim letztjährigen "The International", dem wichtigsten Turnier in der Szene des Computerspiels Dota 2, lag bei 34 Millionen US-Dollar. Der globale Umsatz des E-Sports überstieg 2020 zudem zum ersten Mal die Milliardenmarke. "Hier liegt die Zukunft", glaubt Kochanowskyj.

Ukrainer unter den stärksten E-Sport-Nationen

Witalij Wolotschaj ist Mitbegründer von "Maincast", dem größten Internet-Kanal Osteuropas mit Sitz in Kiew, welches Turniere überträgt. Seiner Meinung nach gehören Ukrainer zu den zehn besten E-Sport-Nationen weltweit. So kommt der aktuell stärkste Counter-Strike-Spieler Olexander Kostylew (Spitznahme s1mple) beispielsweise aus der Ukraine.

"Talentierte Spieler gibt es bei uns genug. Unsere Entwickler produzieren Weltklasse-Spiele. Was uns fehlt, ist die Infrastruktur. Kochanowskyj spielte selbst viele Turniere weltweit und sollte bestens wissen, wie eine gute Arena funktioniert", sagt Wolotschaj. Die Großturniere in die Ukraine zu holen, wäre auch aus Wolotschajs Sicht das Wichtigste: "Das polnische Katowice mit rund 300.000 Einwohnern holt dank seiner E-Sport-Wettbewerbe jährlich 100.000 Touristen in die Stadt. Das Potenzial von Kiew ist noch viel größer."

"Dass E-Sport zum wichtigsten Sport weltweit wird, ist für mich gesetzt", betont Olexander Kochanowskyj. "Meine Aufgabe ist, ihn auch in der Ukraine zur Nummer eins zu machen". Die Voraussetzungen stehen nicht schlecht. Der ukrainische E-Sport generiert rund 40 Millionen US-Dollar pro Jahr, das Publikum wird auf 1,8 Millionen Menschen geschätzt.

Und auch seinen Skeptikern, die sein Vorhaben nach wie vor anzweifeln, weil sie glauben, dass hinter dem Projekt Russen stehen, hat er etwas zu sagen: "Das war die transparenteste Ausschreibung in der Geschichte der Ukraine. Die Zahl der Überprüfungen, denen wir uns unterziehen mussten, war enorm. Jegliche Zweifel werden spätestens in ein paar Wochen ausgeräumt sein."

MDR JUMP | 28. Februar 2020 | 10:45 Uhr

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