Europawahl Litauen: Ostbloggerin Vytenė Stašaitytė über "ihre" EU

Lernen, frei zu sein und die Freiheit zu genießen

30. April 2019, 15:46 Uhr

Vom 23. bis 26. Mai wird das Europäische Parlament neu gewählt. Litauen ist seit 15 Jahren Mitglied der Gemeinschaft. Wie sehen die Menschen in der kleinen baltischen Republik die EU heute? Unsere Ostbloggerin Vytenė Stašaitytė sagt: "Für mich bedeutet die EU im weitesten Sinne Freiheit, Vielfalt und Schutz." Aus ihrer Sicht hat Litauen sehr vom EU-Beitritt profitiert.

Das erste Mal "Westen"

Ich erinnere mich noch ganz genau an den warmen Frühlingstag 1997 als ich ein Teenager war. Stundenlang stand ich mit meiner Mutter in der langen Schlange vor der Deutschen Botschaft in Vilnius. Nachdem wir das ersehnte Visum endlich im Pass hatten, ging die Reise nach Deutschland los. Mit dem Bus. Und das bedeutete lange Wartezeiten und lange Kontrollen an den Grenzen – erst nach Polen, dann nach Deutschland. Total erschöpft, aber glücklich kamen wir nach mehr als 24 Stunden in der bunten westlichen Welt mit ihren leuchtenden Werbungen und vielfältigen Einkaufsmöglichkeiten an. Dass wir uns von dem wenigen Geld, das meine Eltern damals als Lehrer in Litauen verdienten, davon kaum etwas kaufen konnten, war in dem Moment völlig nebensächlich. Allein die Idee, dass es eines Tages auch in Litauen so aussehen könnte, war überwältigend.

Fau steht neben Bär vor Botschaft
Die Autorin vor der Deutschen Botschaft in Vilnius, der Hauptstadt Litauens. Dort erhielt sie vor mehr als 20 Jahren ihr erstes Visum für Deutschland. Bildrechte: Vytene Stasaityte | MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Zurück in die europäische Familie

So war die Realität in den 90er Jahren. Nach der erkämpften Unabhängigkeit von der Sowjetunion 1990 musste Litauen viele Jahre beweisen, dass es zur westlichen Weltordnung und zur europäischen Familie gehörte. Bevor Litauen endgültig in die EU aufgenommen wurde, musste es viele juristische und finanzielle Hürden überwinden und eine Menge Kriterien erfüllen. Für mich war immer klar, wohin die Reise für mein Land gehen sollte. Ich durfte die westliche Welt ziemlich früh kennenlernen – meine erste Klassenreise ins Ausland ging 1993 nach Finnland, da war ich neun Jahre alt. Etwas später, mit 14, reiste ich mit meiner Mutter dann nach Deutschland. Litauen sollte zurückkehren in die europäische Familie, von deren ausgebreiteten Armen wir über 50 Jahre durch den eisernen Vorhang getrennt waren. 

Vytene Stasaityte 1 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

90 Prozent für Beitritt zur EU

Nachdem in einer Volksabstimmung 2003 mehr als 90 Prozent der Litauer für die Mitgliedschaft in der EU gestimmt hatten, konnte der Traum mit dem Beitritt zur EU am 1. Mai 2004 endlich Wirklichkeit werden, 2007 kam dann noch der Beitritt zum Schengen-Abkommen mit all seinen Vorteilen hinzu. Ich hatte keine Sekunde gezweifelt, dass der Beitritt zur EU die richtige Entscheidung war, obwohl mir die möglichen Probleme bewusst waren, die der EU-Beitritt mit sich bringen würde: steigende Auswanderung und höhere Preise, und die oftmals nervige Bürokratie innerhalb der EU.

Vytene in Vilnus
Die Autorin im Zentrum ihrer Heimatstadt Vilnius. Bildrechte: Vytene Stasaityte | MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Litauen blühte auf

Aus meiner Sicht ist Litauen mit jedem Tag gewachsen, hat viel profitiert und wird auch weiter profitieren. Litauen hat sich Dank der finanziellen Hilfe der EU deutlich schneller entwickelt. Und auch die Regeln der EU, wie zum Beispiel in Menschenrechtsfragen, dienen dem Fortschritt des Landes und seiner Gesellschaft. Überall im Lande stößt man auf Schilder mit der EU-Flagge, die zeigen, dass Unternehmen und Projekte mit EU-Geldern finanziert werden. Die renovierten Straßen und schön hergerichteten öffentlichen Plätze und Parks bereichern auch meinen Alltag.

Die jungen Menschen haben tolle Chancen, ins Ausland zu gehen und beispielsweise am Erasmus-Programm teilzunehmen oder sich von anderen europäischen Stiftungen ein Studium finanzieren zu lassen. Ich selbst bin ein lebender Beweis dafür. Schließlich habe ich an vielen europäischen Förderprogrammen teilgenommen, zum Großteil finanziert von deutschen Stiftungen. So lernte ich zum Beispiel über das Internationale Parlaments-Stipendium als Praktikantin den Bundestag und seine Arbeit von innen kennen.

Frau steht neben Bär
Die Autorin vor einem Berliner Bären, der die Freundschaft zwischen Litauen und Deutschland symbolisieren soll. Auf seinem Bauch: typische Motive aus Vilnius und Berlin. Bildrechte: Vytene Stasaityte | MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Das Problem Abwanderung

Die Auswanderung wurde aber auch zu einem Problem für Litauen. Selbst die EU-Gelder, die in die Provinz fließen, können die Leute nicht zum Bleiben animieren. Allerdings unterstützen die Menschen aus der Emigration heraus ihre Familien in Litauen. Und es gibt auch immer wieder Geschichten von erfolgreichen Heimkehrern, die ihre Erfahrung, die sie im Studium oder bei der Arbeit im Ausland gesammelt haben, zurück nach Litauen bringen und hier erfolgreiche Unternehmen gründen. Einige haben es sogar zu international agierenden Hightech-Firmen gebracht.

Inzwischen sieht man richtige Veränderungen in Litauen. Steigende Löhne zum Beispiel. In manchen Brachen, wie der IT-Branche, sind sie teilweise sogar auf westeuropäischem Niveau. Die Preise aber, besonders seit der Einführung des Euro 2015, steigen immer noch rasanter als die Einkommen. Ein Vorteil der EU ist aber auch, dass die Litauer nun einfach ins Nachbarland Polen fahren können, um dort günstiger einzukaufen.

Familienbande

Am meisten bedeutet mir in der EU aber der Austausch: Ängste vor anderen Kulturen bekämpft man am besten, indem man sich kennenlernt. Und die EU bietet ihren Mitgliedern so viele Möglichkeiten, sich kennen und verstehen zu lernen. Ich selbst bin mittlerweile mit einem Deutschen verheiratet. Auch da gab es zunächst kulturelle Unterschiede. Aber durch stetiges Kennenlernen wurde aus dem Unbekannten erst Freundschaft und am Ende sogar Liebe. Wenn wir das geschafft haben, schaffen Litauen und die EU das auch.

Über dieses Thema berichtete der MDR auch in der HIO-Reportage "Die "Neuen" – So geht’s Europas Osten" im TV: 27.04.2019 | 18:00 Uhr

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