Brennende Häuser während des Warschauer Aufstands 1944
Brennende Häuser während des Warschauer Aufstands 1944 Bildrechte: imago images / Eastnews

75 Jahre nach dem Warschauer Aufstand Polnischer Widerstand und deutsche Verantwortung

01. August 2019, 20:56 Uhr

Am 1. August 1944 brach in Warschau ein Aufstand gegen die deutschen Besatzer aus. Er dauerte zwei Monate und forderte 200.000 Opfer. Bundesaußenminister Heiko Maas gedenkt des 75. Jahrestags in der polnischen Hauptstadt. Er würdigt dabei den Widerstand der Polen gegen die Nazis und hebt die moralische Verantwortung der Deutschen für die damaligen Greueltaten hervor.

Leszek Żukowski war 15 Jahre alt, als der Aufstand in Warschau begann. Er gehörte den Pfadfindern an, den berühmten "Grauen Reihen", die sich massiv am Aufstand beteiligt haben. Er überlegte nicht lange, ob erkämpfen sollte oder nicht. Er hatte auch nicht die Zeit dazu. "Ende Juli hat uns unser Gruppenführer versammelt und einfach verkündet, wer in den Kampf gehen soll. Wir haben nicht darüber diskutiert". Für Żukowski, wie für viele andere auch, war es eine Selbstverständlichkeit, ihr Leben für das Vaterland aufs Spiel zu setzen.

Leszek Zukowski
Leszek Żukowski nahm als 15-Jähriger am Warschauer Aufstand teil. Bildrechte: Monika Sieradzka/MDR

Die Entscheidung über den Beginn des Aufstands wurde von der Heimatarmee, dem militärischen Arm der polnischen Untergrundregierung, getroffen. Bis heute bleibt diese Entscheidung umstritten, weil 50.000 polnische Widerstandskämpfer, viele davon sehr jung, ohne militärische Ausbildung und schlecht bewaffnet, keine Chance gegen die Übermacht der Deutschen hatten. Sie hofften auf die Unterstützung der westlichen Alliierten und der Roten Armee, die zu dem Zeitpunkt bereits am anderen Weichselufer stand. Doch die Hilfe blieb aus und die polnische Hauptstadt zahlte einen hohen Blutzoll. 200.000 Menschen, darunter 180.000 Zivilisten, wurden während der zwei Monate andauernden Kämpfe getötet und weite Teile Warschaus wurden dem Erdboden gleich gemacht.

Tiefe Scham und moralische Verantwortung

Bundesaußenminister Heiko Maas und sein polnischer Amtskollege Jacek Czaputowicz
Bundesaußenminister Heiko Maas und sein polnischer Amtskollege Jacek Czaputowicz im Vorfeld des 75. Jahrestags des Warschauer Aufstands. Bildrechte: Monika Sieradzka/MDR

Bundesaußenminister Heiko Maas hob am Mittwoch bei seinem Besuch in Warschau die "unglaubliche Widerstandskraft" der Polen hervor. Es müsse in Deutschland noch mehr ins Bewusstsein der Menschen gerückt werden, "wie viele sich hier in Warschau Hitler entgegengestellt haben". "Für das, was Polen von Deutschen und im deutschen Namen angetan wurde, kann man nur tiefe Scham empfinden", fügte der Minister hinzu und hob nochmals die moralische Verantwortung Deutschlands hervor.

Für den ehemaligen Widerstandskämpfer Żukowski sind solche Gesten zwar ein Zeichen der aktuell guten Beziehungen zwischen Polen und Deutschland. Doch als er im Vorfeld des Jahrestags vor Hunderten polnischer Pfadfinder sprach, mahnte er sie an, den Frieden nicht als selbstverständlich zu sehen. Denn manchmal würde sich die Geschichte wiederholen, so Żukowski. "Polen war nie das Land, das seine Nachbarn angegriffen hat. Doch wir haben stets die zwei Großmächte Russland und Deutschland als Nachbarn gehabt, die mal gegen Osten, mal gegen Westen gingen. Und wir haben immer darunter gelitten".

Mit 15 Jahren schon alles gesehen

Żukowski, Jahrgang 1929, wuchs in einer stark patriotischen Familie auf. Nach Hitlers Überfall auf Polen 1939 wurde seine Heimatstadt Kutno ins Deutsche Reich eingegliedert und seine Familie, wie Tausende andere auch, musste ihr Haus verlassen und wurde nach Osten, in die besetzten polnischen Gebiete umgesiedelt. So kam Leszek Żukowski nach Warschau. Als der Aufstand ausbrach, lebte er gerade in einem Internat.  

"Die ersten zwei Bomben, die ich gesehen habe, fielen auf das Internat, während ich auf der anderen Seite der Straße stand. Und so war von einem Moment auf den anderen meine Wohnung  weg. Die Bomben haben mich zwar nicht getötet, aber ich stand unter Schock, weil ich so etwas zum ersten Mal gesehen habe". Am selben Tag habe einer seiner Mitstreiter ein Bein verloren und Żukowski musste ihn ins Krankenhaus tragen. Seitdem habe er keine Angst mehr gehabt. Als Verbindungskämpfer trug er während des Aufstands Meldungen und Befehle zwischen den Stabsstellen der Widerstandskämpfer hin und her. Oft unter deutschem Beschuss.

Heute schwingt Sarkasmus mit, wenn Żukowski über die Ereignisse von damals erzählt. "Ich habe noch größere Vergnügen erlebt als den Warschauer Aufstand. Ich war nämlich auch in KZs", sagt er mit einem Augenzwinkern. Doch lustig war dieser Lebensabschnitt mit Sicherheit nicht. Nach der Befreiung des Konzentrationslagers Dachau, das seine letzte Station in Deutschland war, war er kurz vor dem Verhungern und wog bei seinen 1,70 Meter nur noch 29 Kilogramm. Żukowski selbst hält es für einen Wunder, dass  er überhaupt überlebte.

Ein Dorn im kommunistischen Auge

Nach dem Krieg hat Żukowski studiert und wurde schließlich Professor an der Landwirtschaftshochschule in Warschau. Außerdem hat er es sich zum Ziel gesetzt, jungen Menschen vom Aufstand zu berichten. Doch einfach war das nicht. Denn die polnische Heimatarmee war im Kern antikommunistisch und ihr Aufstand somit der neuen kommunistischen Führung Polens ein Dorn im Auge. Öffentliches Gedenken daran war undenkbar.  Mehrere ehemalige Widerstandskämpfer wurden brutal verfolgt, einige sogar ermordet. Nach dem Zusammenbruch des kommunistischen Regimes änderte sich die Situation und Leszek Żukowski will nun mit seinem Engagement als Zeitzeuge die verlorenen Jahrzehnte des Gedenkens nachholen. Seit 2013 ist er Vorsitzender des "Weltverbands der Soldaten der Heimatarmee".

Pfadfinder mit Veteranen beim  Appell anläßlich des 75. Jahrestags des Warschauer Aufstands.
Polnische Pfadfinder stehen gemeinsam mit Veteranen beim Appell anläßlich des 75. Jahrestags des Warschauer Aufstands. Bildrechte: Monika Sieradzka/MDR

Für seine 90 Jahre ist Żukowski unglaublich fit. Bei Interviews will er sich nicht hinsetzen. Und wenn die Pfadfinder bei ihrem Appell eine Stunde lang stehen müssen, macht auch er mit. Einen Stuhl würde er definitiv ablehnen, erklärten die Organisatoren des Pfadfinderappells zum 75. Jahrestag des Warschauer Aufstandes. Hunderte Jugendliche aus ganz Polen sind dafür nach Warschau gekommen - um die Widerstandskämpfer zu würdigen und um Leszek Żukowski persönlich zu treffen.

Die letzten Zeitzeugen

Pfadfinder sprechen mit dem Veteran Leszek Żukowski
Junge Pfadfinderin im Gespräch mit Leszek Żukowski, einem der letzten Zeitzeugen und Teilnehmer des Warschauer Aufstands. Bildrechte: Monika Sieradzka/MDR

"Wir sind die letzte Generation, die noch die Möglichkeit hat, mit der lebendigen Geschichte in Kontakt zu treten",  sagt der 24jährige Krzysztof Bobrowski, Gruppenführer der jungen Pfadfinder aus Warschau. "Diejenigen, die damals im Alter von 15 bis 18 Jahren gekämpft haben, sind jetzt um die 90 und es wird mit der Zeit immer schwieriger werden, sie zu treffen." Er ergänzt, dass viele junge Menschen extra ihre Sommerferien für ein paar Tage unterbrechen würden, um zum Gedenken nach Warschau zu kommen und mit den Veteranen des Aufstands sprechen zu können.

Mit Leszek Żukowski können sie immer rechnen. Einladungen von Pfadfindern würde er niemals ablehnen. Auf die ständig wiederkehrende Frage, ob denn der Aufstand wirklich eine kluge Entscheidung war, will er dagegen nicht eingehen. Es sei damals notwendig gewesen und er würde sich heute genauso entscheiden.

Dieses Thema im Programm: MDR Aktuell Hörfunk | 31. Juli 2019 | 20:00 Uhr

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