mehrere Tiere schauen durch die Gitterabdeckung einer engen Holzkiste auf einer Pelzfarm
Polen produziert viel Pelz - und dies löst nun eine Krise innerhalb der Regierung aus. Bildrechte: imago/blickwinkel

Regierungskrise Tierschutzgesetz sorgt für Regierungskrise in Polen

23. September 2020, 17:28 Uhr

Die polnische Regierungskoalition droht zu platzen. Auslöser ist ein neues Tierschutzgesetz. Doch hinter den Kulissen geht es um eine immer tiefere Spaltung innerhalb des rechtskonservativen Lagers.

Dass die nationalkonservative PiS-Regierung, die seit 2015 an der Macht ist, eigentlich ein Dreierbündnis ist und die größte Partei PiS von der Gunst von zwei kleinen konservativen Parteien abhängt, merkte man früher kaum, da die Regierungsmehrheit im Parlament immer mit einer Stimme sprach. Das hat sich geändert, nachdem PiS-Chef Jaroslaw Kaczynski die Regierungsumbildung ins Gespräch gebracht hat. Da begannen die beiden Koalitionspartner, ihre Muskeln zu zeigen.

Keine Disziplin in der Regierung

Eine der Koalitionsparteien ist "Solidarisches Polen", an dessen Spitze Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro steht. Bei der knappen Parlamentsmehrheit des PiS-Lagers kann seine Partei ein Zünglein an der Waage werden. Das zeigte Ziobro bei der letzten Abstimmung über ein PiS-Gesetz zum Tierschutz im polnischen Parlament, das die Aufzucht von Pelztieren verbietet und das kommerzielle Ritualschlachten einschränkt. Alle 16 Abgeordneten des "Solidarischen Polen" haben das Gesetz abgelehnt, ähnlich wie die meisten Abgeordneten der anderen Koalitionspartei "Die Vereinigung". Sogar der Landwirtschaftsminister und 38 PiS-Mitglieder stimmten dagegen, ein Novum in der sonst disziplinierten Regierung. Das Argument war wirtschaftlicher Natur - das Gesetz beinhalte das Verbot der Aufzucht von Füchsen, Nutrias und Nerzen und bedeute einen schweren ökonomischen Einbruch für die polnische Pelzindustrie, die zu den weltgrößten gehöre. Dabei interessierte das Wohl von Tieren kaum jemanden, es ging lediglich um eine politische Machtprobe.

Zbigniew Ziobro
Justizminister und Generalstaatsanwalt Zbigniew Ziobro stimmte gegen das Tierschutzgesetz des Koalitionspartners Bildrechte: imago images/newspix

Das Gesetz kam auf Betreiben von Jaroslaw Kaczynski, der als Katzenliebhaber und Tierfreund bekannt ist, zustande. Nach dem Widerstand im PiS-Lager konnte es nur mit den Stimmen der Opposition durchgesetzt werden - eine Ohrfeige für den mächtigen PiS-Chef. Die Verblüffung in der PiS-Partei war groß. "Derzeit existiert die Koalition nicht mehr", sagte der Parlamentsvorsitzende Ryszard Terlecki (PiS). Der Regierungssprecher Piotr Müller schließt eine Minderheitsregierung und Neuwahlen nicht aus. Derzeit treffen sich Vertreter der PiS und des "Solidarischen Polen" täglich. Und nach jedem stundenlangen Treffen wird verkündet, dass die Resultate der Gespräche und damit die Zukunft der Regierung bald klar feststehen würden. Eine Zitterpartie, die tiefe Risse am konservativen Machtmonolith zeigt.

Die aufsässigen Koalitionspartner

Dass der ambitionierte Justizminister Zbigniew Ziobro irgendwann in die Offensive geht, war schon lange erwartet worden. Seit Jahren profiliert er sich als hartnäckiger Kämpfer gegen die Korruption und als strammer Verteidiger der traditionellen katholischen Werte. Als unlängst Gerichte in zwei Fällen die gegen Homosexuelle gerichteten sogenannten "LGBT-freien Zonen" als diskriminierend erklärten, hat die Staatsanwaltschaft auf Initiative des Justizministeriums Klage gegen die Urteile eingereicht. Der Justizminister wirft der PiS eine Nachlässigkeit im Kampf gegen die sogenannte "LGBT-Ideologie" vor. Ziobro gilt in der PiS als Schwergewicht und als Rivale des Premierministers Mateusz Morawiecki im Kampf um das politische Erbe des 71-jährigen Kaczynski.

Die ersten Probleme innerhalb des Regierungslagers wurden schon vor einigen Monaten sichtbar, als der Vertreter des anderen Koalitionspartners, Vizepremier Jaroslaw Gowin, gegen die Durchführung der für Mai geplanten Präsidentschaftswahlen protestierte. Jaroslaw Kaczynski, der hartnäckig am ursprünglichen Termin festhielt, weil ihm die guten Umfragewerte seiner Partei wichtiger waren als das Gesundheitsrisiko beim Urnengang, musste schwer schlucken, als die Wahlen endgültig um zwei Monate verschoben wurden.

Proteste der Bauern gegen Verbot von kommerziellem Schächten

Ein Nebeneffekt dieser politischen Ränkespiele ist die längst fällige Debatte über das Tierwohl. Im Netz kursieren erschütternde Undercover-Videos von der wohl weltgrößten Nerzfarm in Goreczki (zwischen Posen und Breslau) in Zentralpolen. Über 400.000 Tiere, oft mit schweren Verletzungen, leben dort in Käfigen eingepfercht. Jeder Mitarbeiter muss dort gleichzeitig für rund 10.000 Tiere sorgen. In Polen gibt es über 500 Farmen, auf denen Nerze, Nutrias, Füchse, Marderhunde und Chinchilla gezüchtet werden. Polen erzeugt 14 Prozent der weltweiten Pelzproduktion und ist damit nach Dänemark, Finnland und Kanada der viertgrößte Pelzexporteur. 2019 wurden Pelz und Leder insgesamt im Wert von über einer Milliarde Euro, darunter Pelze für 200 Mio. Euro exportiert. In der Branche arbeiten 10.000 Menschen.

Ein totales Aufzuchtverbot, das das neue Gesetz vorsieht, sorgt indes für Proteste unter den Landwirten. "Kaczynski – Verräter an der Landbevölkerung", "Mischt euch nicht in unsere Arbeit", skandierten Bauernverbände vor dem Parlamentsgebäude, als über das Gesetz beraten wurde.

Sauer sind auch diejenigen, die Fleisch nach Israel und in arabische Länder verkaufen. Das Kosher- und Halalfleisch kommt von der in Polen zugelassenen kommerziellen Ritualschlacht nach jüdischen und islamischen Religionsvorschriften. Danach wird dem Tier die Schlagader mit einem scharfen Messer durchtrennt, um das völlige Ausbluten des lebendigen Tieres zu gewährleisten. Kritiker sprechen von einem qualvollen Tod der Tiere. Doch ähnlich wie Pelze, ist auch diese Art von Fleisch Polens Exportschlager. In der Branche stehen 4.000 Jobs auf dem Spiel.

Während der Krise wittert die rechtsradikale Partei "Konfederacja" ihre Chance und stellt sich in der Parlamentsdebatte hinter die Bauernlobby mit dem Vorwurf, die PiS denke in erster Linie an Tiere statt an die Menschen, die ihre Jobs verlieren.

Keiner will Neuwahlen

Eine akute Krise in Polen ist ein Faktum, aber ob die Streitigkeiten angesichts der bevorstehenden Regierungsumbildung tatsächlich das Ende dieser Regierung bedeuten werden, ist nicht sicher. Auf dem Spiel stehen nicht nur Regierungsposten, sondern viele lukrative Stellen in staatlich dominierten Unternehmen und der Einfluss in den staatlich unterstützten nationalkonservativen Medien. Deshalb wird es keinem der beiden Koalitionspartner leichtfallen, die Regierung zu verlassen. Bei den Neuwahlen könnten sie zu Verlierern werden, auch weil die PiS-treuen Medien sehr stark für Jaroslaw Kaczynski Partei ergreifen und die kleinen Koalitionspartner als Störenfriede darstellen.

Doch auch für die PiS sind Neuwahlen keine gute Lösung. Mit dem Tierschutzgesetz macht sich die PiS unbeliebt auf dem Lande, also dort, wo sie in den letzten Jahren hart um die Wähler gekämpft hat. Das könnte die PiS bei den Neuwahlen schmerzhaft zu spüren bekommen.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 01. September 2020 | 09:00 Uhr

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