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Bauposse aus der Zeit des SozialismusBulgarien: Dauerstreit um das Atomkraftwerk Belene

13. Mai 2019, 08:43 Uhr

Das Vorhaben Bulgariens, ein zweites AKW zu bauen, geht bis auf das Jahr 1981 zurück. Das Projekt an der Donau wurde seitdem mehrmals auf Eis gelegt. Nun soll es wieder aus dem Dornröschenschlaf geweckt werden. Dem vorausgegangen ist im März ein Besuch des russichen Ministerpräsidenten Dmitrij Medwedew in Sofia.

von Vessela Vladkova

Die Biolandwirtin Albena Simeonowa war schon immer gegen das Bauvorhaben. Ihr Weinberg befindet sich unweit der Baustelle für das Atomkraftwerk (AKW). "Die Menschen in unserer Region wollen Jobs und keinen Atomstrom", sagt die Grünen-Politikerin, und fügt hinzu: "In der fruchtbaren Donau-Ebene soll man Landwirtschaft betreiben, und kein Atomkraftwerk." Die bulgarischen Grünen waren von Anfang an gegen das Projekt. Simeonowa, die auch bei der EU-Wahl antritt, warnt vor Atomenergie.

Die gesamte Balkanhalbinsel, und insbesondere die Gegend um Belene, ist ein Erdbebengebiet. Außerdem rechnet sich das Projekt wirtschaftlich nicht. Und sollte das Atomkraftwerk tatsächlich gebaut werden, wird es fatale Folgen für die Marktentwicklung bei Erneuerbaren Energien haben.

Albena Simeonowa, Biolandwirtin

Bauvorhaben aus dem Sozialismus

Bei Belene an der Donau, rund 220 Kilometer nordöstlich der Hauptstadt Sofia, sollte ein Kraftwerk mit zunächst zwei Reaktoren à 1000 Megawatt Atomstrom für Bulgarien und die Nachbarländer entstehen. Das war die Vorgabe der kommunistischen Partei, als sie 1981 den Startschuss gab. Bauherr sollte die Sowjetunion sein. Zehn Jahre später, als mit der Wende auch eine Wirtschaftskrise über das Land hereinbrach, wurde das Bauvorhaben zum ersten Mal auf Eis gelegt.

Seitdem hängt es wie ein Damoklesschwert über Bulgariens Politik. Im Takt der Regierungswechsel in Sofia – je nachdem, ob die als moskautreu geltenden Sozialisten oder die brüsselnahen Konservativen an der Macht waren – lebte das AKW-Projekt auf oder wurde wieder verworfen. Jedes Mal stiegen aber die Investitionskosten – von den anfänglichen dreieinhalb auf heute geschätzte zehn Milliarden Euro.

Mit dem Bauprojekt ging es auf und ab: Im Jahr 2008 wurde an der Betonkonstruktion des AKW Belene gearbeitet. Bildrechte: Iconomedia/Nadezhda Chipeva

Kosloduj: Einziges Atomkraftwerk aus den 1970er-Jahren

Die Geschichte des zweiten bulgarischen Atomkraftwerks ist eng mit der Geschichte des ersten Meilers verbunden. Das bislang einzige bulgarische AKW Kosloduj musste auf Drängen der EU mehrfach umgerüstet werden. Die ersten Reaktoren dort waren noch in den 1970er-Jahren mit Hilfe der Sowjetunion erbaut worden.

Zurzeit sind in Kosloduj nur zwei Reaktoranlagen vom russischen Typ WWER-1000 in Betrieb. Zwischen 2002 und 2006 wurden vier der sechs Reaktoren abgeschaltet. Wegen Sicherheitsbedenken hatte die EU die Stilllegung vor Ablauf der Betriebsdauer gefordert – und noch vor dem EU-Beitritt Bulgariens 2007. Dies ermunterte Sofia, den Bau der Anlage in Belene ab 2006 voranzutreiben, um so die abgeschalteten Meiler zu ersetzen.

Anreize aus Russland

Wegen zu hoher Kosten und wachsenden Drucks aus Brüssel und Washington legte die bürgerliche Regierung von Ministerpräsident Bojko Borissow 2012 das Projekt scheinbar endgültig auf Eis. Dann kam im März 2019 der russische Ministerpräsident Dmitrij Medwedew nach Sofia. Russlands Staatskonzern Rosatom habe Interesse, in das Projekt einzusteigen, erklärte Moskaus zweiter Mann.

Eine Woche später legte die bulgarische Regierung das umstrittene Projekt neu auf. Potenzielle ausländische Investoren haben bis Ende Juni Zeit, sich zu entscheiden. Weitere Interessenten neben Rosatom sind laut dem bulgarischen Energieministerium das deutsch-französische Konsortium Framatome, General Electric, CNC aus China und die Korea Hydro & Nuclear Power.

Ausstieg von RWE und viel Streit um das Projekt

Der seit 2009 mit kurzen Unterbrechungen regierende bürgerliche Ministerpräsident Bojko Borissow bekommt das leidige Thema über die Finanzierung des AKW Belene nicht zum ersten Mal auf den Tisch. "Alles, was wir haben, ist eine Pfütze", kommentierte der Regierungschef 2010 bei seinem Besuch der Baustelle. Es war seine wütende Reaktion auf die sozialistischen Vorgängerregierungen, die den Meilerbau wieder neu aufgerollt hatten. Schon damals sah die Regierung enorme Kosten auf Bulgarien zukommen: Ein Jahr zuvor war der deutsche Konzern RWE als Projektbetreiber ausgestiegen.

Zudem gab es Streit um die bereits 2006 in Russland bestellte technische Ausrüstung. Zehn Jahre dauerte es, bis Sofia und Moskau vor einem Schiedsgericht in Paris zu einer Einigung kamen und zwei Reaktoren nach Bulgarien transportiert werden konnten. Die Nutzung der russischen Technik ist jedoch umstritten und in Sofia weiß man noch immer nicht genau, was man damit anfangen soll. Bisherige Bemühungen, die russischen Reaktoren an ein Drittland zu verkaufen, sind gescheitert. In das umstrittene Bauvorhaben sind bereits mehr als eine Milliarde Euro geflossen.

Unrentabel und unnötig?

Die Regierung setzte ihre Hoffnungen auf ein wissenschaftliches Gutachten, das den Weg aufzeigen sollte, wie man gewinnbringend mit dem Projekt umgehen könnte. Jedoch gab das 2017 veröffentlichte Gutachten der Bulgarischen Akademie der Wissenschaften nicht die erhoffte Antwort. Die Wirtschaftswissenschaftler hatten über 90 Möglichkeiten für die Umsetzung des AKW-Projekts untersucht.

Jedes einzelne Szenario ergab, dass das Projekt nicht tragbar sei. Die Wirtschaftsexperten bezweifeln zudem die Notwendigkeit von neuen Stromkapazitäten in Bulgarien an. Dennoch wird erwartet, dass insbesondere russlandnahe Politiker aus den Reihen der sozialistischen Opposition bald wieder mit diesem Argument für das AKW-Projekt Belene zu werben beginnen. Als Grund für den Bau des Meilers hat man in der Vergangenheit wiederholt die steigende Nachfrage der bulgarischen Industrie und den allgemeinen Strommangel in Südosteuropa angegeben. Hinzu kommt außerdem die bevorstehende Schließung veralteter Kohlekraftwerke.

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Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | 10. März 2018 | 18:00 Uhr

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