75 Jahre Kriegsende KZ droht Verfall - Wie Konservatoren Auschwitz-Birkenau retten

Heute jährt sich die Kapitulation der deutschen Wehrmacht zum 75. Mal. Es gibt immer weniger Zeitzeugen, die die Schrecken des Krieges miterlebt haben. Umso wichtiger ist es, die stillen Zeitzeugnisse zu erhalten. Solche wie das ehemalige Konzentrationslager Auschwitz-Birkenau. Konservatoren haben alle Hände voll zu tun, dessen Überreste vor dem Zerfall zu bewahren.

Margit Borman restauriert einen alten Koffer 3 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

700 Menschen mussten zwischen 1941 und 1945 in der Baracke 138 des Vernichtungslagers Birkenau leben. In drei Etagen haben sie auf Pritschen geschlafen – die unterste war blanker Stein. Heute bewahren ein paar Stützbalken die Baracke vor dem Einsturz. 45 dieser ehemaligen Häftlingsunterkünfte stehen in Birkenau. Sie alle befinden sich in einem kritischen Zustand.

Baracken von Häftlingen gebaut

75 Jahre nach seiner Befreiung drohen die Überreste des ehemaligen Konzentrationslagers Auschwitz-Birkenau zu zerfallen. Als die Häftlingsbaracken damals errichtet wurden, waren sie nicht dazu gedacht, so viele Jahre zu überdauern. Unter unmenschlichen Bedingungen und mit einfachen Materialien wurden die Baracken von Häftlingen gebaut. Noch kurz vor der Befreiung des Lagers im Januar 1945 durch sowjetische Truppen hatten die Deutschen versucht, die Spuren ihrer Verbrechen zu verwischen und zerstörten viele Gebäude. Gleich nach dem Krieg begannen die Überlebenden jedoch damit, das Lager als Gedenkstätte zu erhalten. Seit 2007 ist es UNESCO-Weltkulturerbe.

Eine Fläche so groß wie 280 Fußballfelder

Ein Team von Spezialisten hat nun die Aufgabe, diesen Ort zu erhalten. Die Größe des Geländes, es umfasst fast 200 Hektar, stellt das Team dabei vor eine große Herausforderung. Darauf befinden sich 150 Gebäude und weitere 300 Ruinen. Dazu kommen Wege, Straßen, Bahngleise und Stacheldrahtzäune. 38 Staaten und mehrere Institutionen finanzieren die Arbeit der Stiftung. Bei der Ankündigung von Merkels Besuch in Auschwitz Ende November sicherte die Bundesregierung zu, 60 Millionen Euro für die Stiftung Auschwitz-Birkenau, die sich um den Erhalt kümmert, zur Verfügung zu stellen.

Altes Gebäude unter einem Zeltdach, im ehemaligen KZ Auschwitz-Birkenau
Um die Baracke bei den Konservierungsarbeiten zu schützen, wird ein Zeltdach installiert. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die historische Substanz erhalten

Das Ziel der Konservatoren ist es, so viel wie möglich von der historischen Substanz dieser Objekte zu erhalten. Die Kunsthistorikerin Joanna Chrząszcz-Wronka verbindet mit ihrer Arbeit einen besonderen Sinn: "Wenn wir uns nicht damit beschäftigen, dann würde sich irgendwann niemand mehr daran erinnern. Wir könnten auch alles verfallen lassen und dann wird es zu Staub, aber dann würden wir der Nachwelt nichts hinterlassen."

Konservatorenarbeiten an alten Holzbalken, im ehemaligen KZ Auschwitz-Birkenau
Die Konservatorin Joanna Chrząszcz-Wronka bei der Arbeit an einem Holzbalken. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Arbeiten wie ein Uhrwerk

Konservatoren, Archäologen, Bauleute – am Erhalt der Bauwerke sind fachübergreifende Berufe beteiligt, die wie ein Uhrwerk funktionieren müssen. Bauleiter Łukasz Szoblik schildert die große Kompromissbereitschaft aller Gewerke: "Ohne unser Verständnis dafür, was die Konservatoren oder die Archäologen wollen, wäre es schwierig einen Konsens zu finden. Oft gibt es nicht die eine Lösung, die alle Gewerke zufriedenstellt, denn schließlich müssen alle Anforderungen unter einen Hut gebracht werden."

Deutsche konserviert Häftlingskoffer

In den ehemaligen Gefangenenunterkünften sind auch die Dinge ausgestellt, die die Deportierten mitgebracht haben, darunter mehr als 3.800 Koffer. Auch sie sollen vor dem Verfall bewahrt werden. Margit Bormann beschäftigt sich mit einem braunen Koffer aus Papier. Drei Wochen lang wird sich die aus Deutschland stammende Konservatorin um diesen einen Koffer kümmern – alte Löcher flicken, Flecken entfernen.

"Mir ist auch wichtig, dass ich gerade als Deutsche hier arbeiten kann. Das Gefühl der Schuld, zu dieser Nation zu gehören, die es möglich gemacht hat, solche Verbrechen durchzuführen, macht es für mich auch weiterhin schwierig damit umzugehen. Aber ich versuche den Begriff der Schuld für mich in Verantwortungsbewusstsein umzuwandeln. Ich kann das nicht mehr ändern, was hier passiert ist. Aber ich kann dafür sorgen, dass es ein bisschen gut wird in Zukunft, durch meine Arbeit hier", erzählt Bormann.

Auschwitzgefangene vorm Häftlingskrankenhaus mit Video
Als der Marsch am 18. Januar los geht, liegen viele Gefangene im Krankenbau. Der Großteil ist zu schwach um das Lager zu verlassen und bleibt zurück. Hier sind sie kurz nach der Befreiung mit Rotarmisten zu sehen. Bildrechte: Sarah Leyk

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL TV | 06. Dezember 2019 | 19:30 Uhr

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