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Der Kosovo ist seit 2008 unabhängig. Bis dahin hatte das Land, das kleiner als Thüringen ist, zu Serbien gehört.

Fr 01.07.2016 16:50Uhr 00:30 min

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Der Westbalkan und die EU: Gretchenfrage Kosovo

16. Mai 2018, 22:21 Uhr

Heute beraten Vertreter der EU und der Westbalkanstaaten in Sofia über die Beitrittsperspektiven der Region. Der Gipfel weckt viele Hoffnungen. Doch alles hängt an der schwierigen Kosovo-Frage.

In der Diplomatie kann ein einzelnes Wort den Unterschied zwischen Erfolg und Misserfolg ausmachen, manchmal zwischen Krieg und Frieden. Und so ist es kein Zufall, dass sich die Vertreter der Europäischen Union heute in der bulgarischen Hauptstadt Sofia nicht mit den Staatschefs, sondern den "Partnern" vom Westbalkan treffen, um über deren EU-Beitrittsperspektiven zu sprechen.

Wie der Kosovo zum Kernkonflikt der Region wurde

Denn die Bezeichnung als "Partner" machte es überhaupt möglich, dass auch der Präsident des Kosovo am Gipfel teilnehmen kann. Vor zehn Jahren hat sich das Land offiziell für unabhängig von Serbien erklärt. Vorausgegangen war ein blutiger Krieg zwischen serbischen Truppen und der paramilitärischen "Befreiungsarmee des Kosovo" (UÇK). Erst das NATO-Bombardement der serbischen Hauptstadt Belgrad beendete den Konflikt 1999.

Das Ende des Kosovo-Kriegs markierte auch das Ende des blutigen Zerfalls Jugoslawiens seit 1991. Aus dem multiethnischen und multireligiösen Land waren nach mehreren Kriegen sechs beziehungswiese sieben Staaten geworden: Slowenien, Kroatien, Montenegro, Bosnien und Herzegowina, Mazedonien, Serbien und eben jenes Kosovo. Die ersten beiden sind heute Mitglieder der EU. Die anderen streben eine Mitgliedschaft an.

Warum die EU den Westbalkan aufnehmen will

Nach Jahren des Hinhaltens will die EU den Ländern der Region nun eine Perspektive eröffnen. Denn die EU könne "sich kein schwarzes Loch auf dem Balkan leisten", fasste der kosovarische Präsident Hashim Thaçi in einem Interview mit dem "Handelsblatt" zusammen, was auch europäische Politiker zumindest in Hintergrundgesprächen einräumen. Zu groß ist die Angst, dass die Region unter den Einfluss anderer Staaten gerät und Europa destabilisiert.

So hat die EU unter dem Eindruck des Brexit und dem wachsenden Einfluss Russlands auf dem Balkan bereits im vergangenen Jahr ihre Strategie geändert. Alle Westbalkanstaaten sollen langfristig echte Beitrittsperspektiven bekommen. So stellte Kommissions-Präsident Jean-Claude Juncker im Februar überraschend ein mögliches Beitrittsdatum für Montenegro und Serbien in den Raum, mit denen die EU bereits seit Jahren verhandelt: 2025 könnten diese bereits Vollmitglieder werden.

Warum die Kosovo-Frage essentiell ist

Voraussetzung dafür ist, dass die Staaten den 35 Kapitel umfassenden Anforderungskatalog der EU erfüllen. Im Fall Serbien firmiert das letzte dieser Kapitel unter dem neutralen Titel "Beziehungen zum Kosovo". Der Inhalt ist jedoch eindeutig: Erkennt Serbien das Kosovo nicht an, gibt es keinen EU-Beitritt. Und ohne das größte und wichtigste Land der Region kann die EU kaum die anderen Staaten des Westbalkan aufnehmen. So hängt die Zukunft der ganzen Region an der Kosovo-Frage.

Serbiens mächtiger Präsident Aleksandar Vučić versprach jüngst zwar, eine Lösung sei noch in diesem Jahr möglich, jedoch dürfe diese "die Gefühle der Serben nicht verletzen". Einer nicht-repräsentativen Umfrage eines serbischen TV-Senders zufolge sehen 80 Prozent der Serben das Kosovo jedoch als unveräußerbaren Teil des eigenen Landes, die "Wiege des Serbentums".

Wie die Politik den Konflikt ausschlachtet

Vučić selbst beschuldigte das Kosovo aber auch schon, einen Krieg mit Serbien beginnen zu wollen. Anfang 2017 war das, als Serbien einen Zug in das Nordkosovo rollen lassen wollte, auf dem in diversen Sprachen stand: "Das Kosovo gehört zu Serbien". Die Regierung in Pristina fasste das als Provokation auf und schickte ein Sondereinsatzkommando, um den Zug an der Grenze abzufangen.

Solche gegenseitigen Provokationen haben Tradition. "Das ist eine Sumo-ähnliche Auseinandersetzung zwischen den Repräsentanten beider Staaten", sagt Ursula Koch-Laugwitz, die das Büro der SPD-nahen Friedrich-Ebert-Stiftung (FES) in Belgrad leitet.

Frau Brille hält Mikrofon
FES-Büroleiterin Ursula Koch-Laugwitz Bildrechte: FES Belgrad

Kosovos Präsident Hashim Thaçi befehligte einst die UÇK, Aleksandar Vučić war während des Krieges Informationsminister Serbiens und Mitglied der ultranationalistischen "Serbischen Radikalen Partei". "Es wäre vielleicht lustiger, sie würden wirklich mal in den Ring steigen. Da wäre der Unterhaltungswert höher und auch der Zeithorizont kürzer", sagt Koch-Laugwitz ironisch mit Blick auf den Dauerkonflikt.

Wie ein Stadt symbolisch für den Konflikt steht

Denn bis heute erhitzen die politischen Scharmützel zwischen Belgrad und Pristina regelmäßig die Gemüter und behindern eine Einigung. Zu Spannungen führt das auch innerhalb des Kosovo, wo es eine serbische Minderheit gibt. Diese lebt vornehmlich im Norden des Landes, etwa in der Stadt Mitrovica mit ihren circa 100.000 Einwohnern. Die ist entlang des Flusses Ibar geteilt. Den Norden bewohnen überwiegend Serben, den Süden die Bevölkerungsmehrheit der Kosovo-Albaner.

Miodrag Marinković ist Vorsitzender der Nichtregierungsorganisation "NGO Aktiv", die sich im serbischen Teil der Stadt befindet. Angesprochen auf die öffentlichen Querelen antwortet er ganz undiplomatisch: "Die Politiker profitieren von den ethnischen Spannungen. Manchmal tragen sie mehr dazu bei als zur Lösung. Denn dann können sie sich als Retter präsentieren." Marinković bezieht sich dezidiert auf beiden Seiten.

Wie ein Mord alte Ängste schürt

Nur wenige Politiker setzten sich aktiv für eine Aussöhnung ein. Oliver Ivanović war einer von ihnen. Der serbische Kosovare sprach als einer von wenigen auch albanisch, die Sprache der Bevölkerungsmehrheit im Kosovo, und setzte sich für eine politische Lösung des Konflikts ein. Mitte Januar wurde der 55-jährige vor seinem Parteibüro in Mitrovica von Unbekannten erschossen, nur wenige hundert Meter vom Büro der NGO Aktiv entfernt.

"Das war eine Exekution. Vor zehn Jahren wären die Folgen in Mitrovica extrem gewesen", sagt Miodrag Marinković von der NGO Aktiv und spielt auf die Gewaltausbrüche zwischen den Bevölkerungsgruppen in den 2000er-Jahren an: "Doch kein Serbe hier in Mitrovica glaubt, dass dahinter Kosovo-Albaner aus dem Süden der Stadt stecken. Die Leute spüren das ganz genau." Marinkovic macht kriminelle Banden dafür verantwortlich. Die würden von der Teilung der Stadt und dem anhaltenden Konflikt mit dem Nachbarland Serbien profitieren: "Die verdienen einfach viel Geld damit", sagt Marinkovic.

Wie eine Konfliktlösung aussehen könnte

Dass Nationalisten den medialen und politischen Diskurs über den Dauerkonflikt zwischen Serbien und Kosovo verzerren, sieht auch Ursula Koch-Laugwitz von der FES Belgrad so: "Die kann man nicht überzeugen. Das sind vielleicht einige Prozente der Bevölkerung. Im Zweifelsfall muss man das dann auch riskieren." Mit "das" meint sie eine offizielle Einigung zwischen Serbien und dem Kosovo, bei der beide das Gesicht wahren.

Aktivist Marinković setzt dazu vor allem auf persönliche Begegnungen: "Wir müssen die Verallgemeinerungen und Stereotypen dekonstruieren. Wenn wir das schaffen, schaffen wir Raum für Interaktionen. Nur Kontakt zwischen den Menschen im realen Leben kann wirklich etwas verändern."

Ein Gespräch unter "Partnern" kann dafür ein gutes Forum sein.

Über dieses Thema berichtet MDR AKTUELL auch im: TV | 18.05.2018 | 17:45 Uhr

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