Polnische Trollfabrik: Fakenews im Stundentakt

12. Juni 2019, 05:00 Uhr

In Polen ist eine Trollfabrik aufgeflogen. Doch das stört die Macher nicht. Sie schließen das kompromittierte Portal und gehen mit zwei neuen Webseiten an den Start.

2018 recherchierte das investigative Portal OKO.press über russische Propaganda und Fakenews im polnischen Internet. Man stieß auf 23 Webseiten, die solche Inhalte verbreiten. Hinter einigen der Seiten steckt der polnische Konzern HGA Media. Der agiert seit einigen Jahren ausgesprochen erfolgreich und generiert Zuwächse, während bei vielen anderen polnischen Medien die Umsätze, Auflagen und Zuschauerquoten sinken. Hinter dem dynamischsten polnischen Medienunternehmen stehen drei junge Männer, die 2015 ihr Startup nach eigenen Angaben mit 1.200 Euro aus gegründet haben.

Die Undercover-Reportage

Wie HGA Media gegen den Trend wächst, fand eine polnische TV-Journalistin heraus. Sie hatte sich als Jungredakteurin bei einem der Portale der Fima newsweb.pl beworben und den Job bekommen. Den Redaktionsalltag dokumentierte sie mit einer versteckten Kamera.

24 Fakenews am Tag

Es entstanden äußerst aufschlussreiche Mitschnitte, die später im polnischen Fernsehsender TVN gezeigt wurden. Das Material gewährt einen unverstellten Einblick in den Redaktionsalltag einer Fakenews-Redaktion. Der stellvertretende Chefredakteur von newsweb.pl erklärt seinen neuen Mitarbeitern beispielsweise: "Was wir hier machen, hat mit Journalismus nichts zu tun." Und fügt lachend hinzu: "Man sitzt hier und lässt sich irgendwelche Dummheiten einfallen." Er lobt die hohe Effektivität des Teams. "Journalisten arbeiten manchmal drei Tage an einem Text, wir produzieren zehn Nachrichtenmeldungen pro Tag." An seinem bisher besten Tag habe er selbst 15 Nachrichten erfunden. Der Redaktionsrekord gehöre einer Kollegin: 24 Fakenews binnen acht Stunden.

Migranten, Attentate und Riesenzecken

In einer Morgensitzung sagt der Redaktionschef, welche Themen am besten laufen. "Attentate werden gut geklickt“, erklärt er einem jungen Mann, der gerade seine erste Nachricht produzieren soll. Der Ausgangspunkt: "Zwei vermummte Männer haben Autos in zwei Ortschaften in Brand gesetzt." Nicht in Polen selbstverständlich. Abspielen solle sich das irgendwo im Westen. In der anschließend schnell zubereiteten "News" treten zwei Polen als Brandstifter auf. Es gibt Kritik. Denn der Autor hat nicht verstanden, worauf es hier ankommt. Die Brandstifter müssten natürlich Migranten sein. Die Polen sollten positiv gezeigt werden. Allerdings, so die weiteren Anweisungen, solle nicht direkt von Migranten gesprochen werden. Man habe ja schließlich keine Beweise. Es solle nur angedeutet werden, dass "viele Internetnutzer vermuten, dass es Migranten waren."

Eine andere Mitarbeiterin soll über riesige Zecken schreiben, die Migranten nach Deutschland eingeschleppt hätten. "Nein, nicht 'riesige', schreib: 'gigantische Zecken', wird ihr geraten. Solche, die man in Europa nicht kennt und die nur in Afrika leben. Jarosław Kaczyński hat doch vor Krankheiten gewarnt, die die Flüchtlinge nach Europa bringen, du weißt schon."

In einem der Mitschnitte der heimlich filmenden TV-Journalistin brüstet sich ein Redaktionskollege mit seinem Klickrekord. "Ich habe irgendwas über Impfungen geschrieben, über einen Mann, der nach der Impfung gestorben ist. So ein Blödsinn. 'Die ganze Wahrheit über Evans Tod' war der Titel. Dazu noch ein paar Worte über die westliche 'Zivilisation des Todes'. Das lief über einen Monat lang und hat 400.000 Klicks gebracht."

Das Aufheizen der Debatte

Die Recherche zeigt, dass die HGA Media GmbH auch hinter mehreren Fanpages auf Facebook stand, die die Popularität ihrer Inhalte steigern sollte. Die Fanpages hatten keine einheitliche ideologische Ausrichtung, einige unterstützten die Regierung und die rechte Propaganda, andere waren links-liberal. Es ging nur darum, die Debatte zu ausgewählten Themen aufzuheizen.

Dass ihre Aktivitäten bereits seit Monaten von investigativen Journalisten untersucht wurden, schien die Firma lange nicht zu beeindrucken. Sie reagierte erst, nachdem sie auf der Liste der Portale mit russischer Propaganda landete. Das investigative Portal OKO.press hatte auf newsweb.pl mehrere Inhalte u.a. von Sputnik und Russia Today entdeckt. Nur selten war dabei die Quelle genannt. Das wäre in Polen, wo antirussische Stimmungen stark sind, nicht gut angekommen. 

Nach diesen Enthüllungen wurde die Adresse newsweb.pl geschlossen und die Unternehmensleitung hat sich bei den investigativen Journalisten für ihre Hinweise auf Fakenews auf eigenen Webseiten bedankt. Sie kündigt auch ein eigenes Fakt-Checking-Portal an, das in Zukunft selbst solche Fakenews-Portale wie ihre eigene newsweb.pl entlarven will.

Das Geschäft läuft weiter

Derzeit betreibt das Unternehmen zwei Lifestyleportale: lelum.pl und pikio.pl. Lelum ist nach eigener Beschreibung ein "Frauenportal" auf dem u. a. Geschichten über Schönheits-OPs von Promis geschrieben wird. Pikio.pl ist nach Angaben der Geschäftsleitung vor allem "ein Kompass der Gesellschaft" und "die griffigen Titel helfen, die öffentliche Diskussion in bestimmte Richtungen zu lenken." Nach Angaben des Warschauer Meinungsforschungsinstituts CBOS zählt pikio.pl zu den meistgelesenen Portalen in Polen.


Über dieses Thema berichtete MDR AKTUELL auch im TV: 14.03.2019 | 17:45 Uhr

Ein Angebot von

Mehr Politik in Osteuropa

Mehr aus Osteuropa

Nachrichten

Handyaufnahme des Absturzes 1 min
Den Behörden zufolge sei der 240 Meter hohe Fernsehturm Ziel eines russischen Luftangriffes gewesen. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
1 min 22.04.2024 | 20:32 Uhr

Der Fernsehturm von Charkiw im Nordosten der Ukraine ist in zwei gebrochen und zu Boden gefallen. Den Behörden zufolge sei der 240 Meter hohe Fernsehturm Ziel eines russischen Luftangriffes gewesen.

Mo 22.04.2024 20:22Uhr 00:31 min

https://www.mdr.de/nachrichten/welt/osteuropa/video-ukraine-charkiw-fernsehturm-explosion-abgestuerzt-russland-krieg100.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video