Teilnehmer bei Protesten in Tiflis
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Georgien Proteste in Tiflis sorgen für Spannungen mit Russland

26. Juni 2019, 13:42 Uhr

Der Auftritt eines russischen Duma-Abgeordneten am 20. Juni im georgischen Parlament hat in Tiflis für Massenproteste gesorgt. Sie dauern immer noch an – und haben das Land in eine innenpolitische Krise gestürzt. Was steckt hinter den Protesten?

Es sind nach wie vor rund 2.000 Menschen, die am Abend des 25. Juni zum Rustaveli-Platz vor dem Parlament in der georgischen Hauptstadt Tiflis kommen. Sechs Tage in Folge dauern die Proteste nun schon an. Nach massiven Ausschreitungen zu Beginn der Proteste laufen sie nun vorwiegend friedlich ab, in der Vehemenz ihrer Forderungen haben die Demonstranten aber nicht nachgelassen. Sie verlangen den Rücktritt von Innenminister Georgij Gacharia, den sie für den Ausbruch der Gewalt in der ersten Protestnacht vom 20. auf den 21. Juni verantwortlich machen. Dabei gab es über 200 Verletzte und rund 300 Festnahmen.

Junge Frau mit Augenklappe
Eine Augenklappe als Symbol des Protestes. Bildrechte: imago images / ITAR-TASS

In jener Nacht sollen schätzungsweise 7.000 bis 10.000 Menschen auf die Straße gegangen sein. Manche hüllten sich in georgische Flaggen oder hielten selbstgemalte Schilder mit der Aufschrift "Russland ist ein Besatzer!" in die Luft, andere trugen eine Augenklappe, auf der "20%" geschrieben war. 20 Prozent steht für die Fläche der abtrünnigen Teilrepubliken Abchasien und Südossetien, die Georgien als von Russland besetztes Territorium betrachtet. Die Augenklappe als Symbol dafür, dass die aktuelle Regierung die Augen vor der Problematik dieser Gebiete im Zusammenhang mit ihrer Russlandpolitik verschließe.

Keine Flüge zwischen Russland und Georgien mehr

Die offiziellen Reaktionen aus Moskau fielen eindeutig aus: Der Sprecher des russischen Präsidenten, Dmitrij Peskow, bezeichnete die Proteste als eine "russophobe Provokation", die offiziellen Medien sprechen durchgehend von "antirussischen Protesten" und kolportieren sogar, die georgische Regierung habe dazu aufgerufen, Russen zu töten.

Als Reaktion auf die Proteste hat Präsident Wladimir Putin per Dekret ab dem 8. Juli alle Flüge russischer Fluggesellschaften nach Georgien verboten, es sei zu gefährlich in diesem Land Urlaub zu machen. Selbst der russische Verbraucherschutz stellte plötzlich fest, dass die georgischen Weine Qualitätsmängel aufwiesen und vom Markt genommen werden sollten.

Bergige Landschaft
Georgien ist bei Touristen beliebt, auch viele Russen fahren im Sommer in das Land. Bildrechte: MDR/Osteuropa Medienservice

Dabei ist das Land als Urlaubsziel bei der russischen Bevölkerung sehr beliebt. 2018 haben nach Angaben des georgischen Fremdenverkehrsamts rund 1,7 Millionen Russen Georgien besucht. Und in den ersten fünf Monaten dieses Jahres waren es schon 539.000 Touristen, 14 Prozent mehr als im gleichen Vorjahreszeitraum.

Keine Russophobie sondern Innenpolitik  

Die georgischen Demonstranten weisen alle Vorwürfe der Russophobie weit von sich. Als Gäste seien alle Russen jederzeit willkommen, so das Stimmungsbild auf dem Rustaveli-Platz, das Reporter der "Novaya Gazette" eingefangen haben. Aber ihre Politik, die auf einen neuen russischen Imperialismus gerichtet sei, sollten sie zu Hause lassen. Denn vielen Georgiern ist noch der Krieg von 2008 deutlich in Erinnerung. Damals hatten russische Streitkräfte südossetische Separatisten bei ihren Unabhängigkeitsbemühungen unterstützt und waren dabei weit auf georgisches Territorium vorgedrungen. Nachdem Georgien nach fünf Tagen unterlegen war, erkannte Russland die Unabhängigkeit der Republiken Abchasien und  Südossetien an und unterstützt beide militärisch. Auch die Annexion der ukrainischen Krim und die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine wecken im Land alte Ängste, wieder von Russland vereinnahmt zu werden. 

In diesem Sinne deutet die Opposition den Auftritt Gawrilows als Zeichen einer "schleichenden Russifizierung", die von der aktuellen Regierungspartei unter Führung von Ministerpräsident Mamuka Bachtadse unterstützt werde. Seine Partei "Georgischer Traum" wurde 2012 vom reichsten Mann Georgiens, Bidsina Iwanischwili, gegründet und versucht seitdem den Spagat zwischen der Normalisierung der Beziehungen zu Russland und einer weiteren Annäherung an die EU und die NATO. Für die Opposition dagegen gibt es nur einen Weg: Richtung Europa und den Westen. Seit 2016 gibt es zwischen Georgien und der EU ein Assoziierungsabkommen, welches dem Land Zugang zur europäischen Freihandelszone sowie visafreien Zugang zum Schengenraum garantiert.

Auslöser für die Proteste

Der russische Duma-Abgeordnete Sergej Gawrilow sollte am 20. Juni im georgischen Parlament als Vorsitzender die Interparlamentarische Versammlung Orthodoxer Glaubensgruppen leiten, einer internationalen Organisation orthodoxer Parlamentarier. Dafür nahm er auf dem Stuhl des georgischen Parlamentspräsidenten Platz und begann die Sitzung auf Russisch. Für die Opposition war das ein Affront. Sie stürmte umgehend das Podium, zwang Gawrilow und die russische Delegation zur vorzeitigen Abreise und rief zu Protesten auf. Denn Gawrilow gilt in der Opposition als jemand, der die Unabhängigkeit Abchasiens und Südossetiens befürwortet und damit Georgiens territoriale Ansprüche in Frage stellt.

Über dieses Thema berichtet der MDR auch im TV: MDR aktuell | 24.06.2019 | 10:55 Uhr

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