Interview Rumänische Sonderermittlerin Kövesi sucht neue Herausforderung

20. Juli 2019, 12:36 Uhr

Vier EU-Spitzenposten sind zuletzt an Kandidaten aus Westeuropa gegangen. Welchen Top-Posten bekommt nun Osteuropa? Die Rumänin Laura Codruta Kövesi hat sich um die Leitung der Europäischen Staatsanwaltschaft beworben.

Die westliche Presse bezeichnete sie in der Vergangenheit gern als Anti-Korruptionsjägerin. Im Juli 2018 wurde Laura Codruta Kövesi vorzeitig vom Chefposten der rumänischen Anti-Korruptionsbehörde DNA abberufen. Der damalige Justizminister Tudorel Toader hatte ihr vorgeworfen, die Amtspflichten verletzt zu haben. Mehrere Ermittlungsverfahren laufen derzeit dazu gegen Kövesi. Die 46-jährige Staatsanwältin hält die Vorwürfe des Ministers für haltlos.

Kövesi arbeitet inzwischen in der Generalstaatsanwaltschaft, sie verfasst Arbeitsberichte. Ein riesiger Unterschied zu ihrer früheren Tätigkeit, wo sie Verbrecher jagen ließ. Ihr aktuelles Büro befindet sich in einem Ministeriumsbau – entstanden in der Ceausescu-Zeit. Das Haus ist das Gegenteil einer modernen Behörde. Es gibt riesige Marmortreppen, Kövesis Büro ist mit Teppich ausgelegt, die Wände aus Holz verkleidet.

Die rumänische Staatsanwältin Laura Codruta Kövesi - im und vor dem Haus der Generalstaatsanwaltschaft in Bukarest aufgenommen.
Roter Teppich, viel Marmor - das Haus, in dem heute die rumänische Generalstaatsanwaltschaft untergebracht ist, war ursprünglich als Ministerium geplant - der Stil stammt noch von Diktator Nicolae Ceauescu. Bildrechte: MDR/Annett Müller-Heinze

Kövesi hofft, dass in den nächsten Tagen der Politkrimi um die Besetzung der neuen Europäischen Staatsanwaltschaft endet. Seit Monaten wird in Hinterzimmern verhandelt, ob sie oder der französische Jurist Jean-François Bohnert die neue Ermittlungsbehörde leiten soll. Die BBC veröffentlichte in der vorigen Woche ein Interview mit ihr, erstes deutsches Medium ist in diesen Tagen MDR AKTUELL – möglicherweise kurz vor der Entscheidung. Kövesi nimmt sich in Bukarest fast zwei Stunden Zeit für das Gespräch. Wir führen es auf Rumänisch.

Sie wollen die neue Europäische Staatsanwaltschaft mit Sitz in Luxemburg leiten. Was reizt Sie an diesem Job am meisten?

Es ist weniger der Leitungsposten, als vielmehr die Idee einer Europäischen Staatsanwaltschaft. Mit dieser neuen Institution wird erstmals ein Team von Staatsanwälten aus verschiedenen Ländern europaweit gemeinsam die Ermittlungen führen und Strafverfahren eröffnen. Ich bin jetzt 46 Jahre alt und mehr als die Hälfte meines Lebens als Staatsanwältin tätig. Ich hatte Spitzenpositionen in Rumänien, war Generalstaatsanwältin, dann Chefin der Antikorruptionsbehörde. Dass ich mich beworben habe, liegt natürlich auch daran, dass ich all meine Erfahrung gern weiter nutzen würde.

Sie haben als Chefin der Anti-Korruptionsbehörde DNA Ermittlungen gegen die mächtigsten Politiker im Land führen lassen und sich damit in der Politik große Feinde geschaffen. Was würde Ihnen diese Erfahrung für den neuen Job nützen?

Eingang zum Sitz der rumänischen Anti-Korruptionsbehörde DNA in Bukarest im Juni 2017
Eingang zur Anti-Korruptionsbehörde DNA in Bukarest. Bildrechte: MDR/Annett Müller

Sollte die Wahl auf mich fallen, würde ich das nicht nur als eine Anerkennung meiner beruflichen Fähigkeiten verstehen. Es wäre eine Wertschätzung der Ergebnisse, die das Justizsystem in Rumänien in den vergangenen Jahren im Anti-Korruptionskampf unbestritten hatte. Es wäre ein Signal, dass die, die effizient gegen die Korruption gekämpft haben, die Chance haben, weiterzuarbeiten.

Amtserfolge Laura Codruta Kövesi hat sich als Chefin der rumänischen Anti-Korruptionsbehörde DNA europaweit einen Namen gemacht. In ihrer rund sechsjährigen Amtszeit wurden 37 rumänische Minister und Abgeordnete rechtskräftig wegen Korruption verurteilt – auf Grundlage der Ermittlungen ihrer Behörde.

Die Europäische Staatsanwaltschaft soll u.a. den Betrug von EU-Geldern aufdecken. Für wie verbreitet halten Sie das Problem in der EU?

Rumänien gehörte in jüngster Vergangenheit laut Statistik zu den drei Ländern in der EU, in denen es die meisten Anzeigen gegen den Missbrauch von EU-Mitteln gab. Doch es geht hier um ein europaweites Problem und jedem Staat geht es darum, dass die Steuergelder seiner Bürger korrekt und transparent ausgegeben werden.

Der Fakt, dass wir künftig eine europäische Behörde haben, die bei dieser Art von Kriminalität ermittelt, ist ein großer Vorteil. Wenn man den Modus Operandi analysiert, wie diese Taten begangen werden, kann man sehr einfach die existierenden Schwachstellen erkennen – beispielsweise bei der Mittelvergabe. Auch haben die Ermittler Instrumente zur Hand, die sie viel leichter einsetzen können, wie Beweise aus anderen Ländern. Dafür musste man bislang internationale Rechtshilfe beantragen. Doch die Staatsanwälte der neuen Behörde können die Informationen künftig viel schneller unter sich austauschen.

Rechnen Sie damit, dass es auch politischen Druck auf die neue Behörde geben wird, so wie Sie es aus Rumänien kennen?

Druck zeigt sich auf vielerlei Weise. Zum Beispiel institutionell, wenn viele Fälle zu bearbeiten sind, es aber an Personal und Geldern mangelt. Druck entsteht auch durch eine unzureichende Gesetzgebung oder durch hohe Erfolgserwartungen. Es könnte auch Druck von einigen Politikern geben, wie es in Rumänien geschehen ist. Doch dieser Druck besorgt mich weniger, den bin ich gewohnt. Als Generalstaatsanwältin und als Chefin der Anti-Korruptionsbehörde habe ich immer gesagt, wenn ein Politiker versuchen wird, mich zu beeinflussen oder mich anruft, um gewisse Sachen zu verlangen, dann werde ich das öffentlich machen.

Die sozial-liberale Regierung Ihres Landes will Sie als Chefin der Europäischen Staatsanwaltschaft verhindern. Schwächt das Ihre Chancen auf den neuen Posten?

Die rumänische Regierung versucht, seit zweieinhalb Jahren den Anti-Korruptionskampf im Land zu stoppen. Ich selbst habe in dieser Zeit Einschüchterungs- und Hetzkampagnen erlebt sowie permanente Verleumdungskampagnen durch Falschinformationen. Doch die gute Nachricht ist, dass meine Kandidatur nicht von der rumänischen Regierung abhängt. Sie wird bei dieser Entscheidung nicht das letzte Wort haben.

Und ganz gleich, ob mich meine Regierung unterstützt oder nicht, ich habe für mich für den Job beworben, weil ich an meine Chance glaube. Und ich halte an dieser Kandidatur fest auch wegen all der Demonstranten, die in Rumänien in der Vergangenheit massenhaft für einen Rechtsstaat und den Anti-Korruptionskampf auf die Straße gegangen sind.

Die Entscheidung, wer den Leitungsposten bekommt, treffen EU-Parlament und der Europäische Rat gemeinsam. Das Parlament hält Sie für die geeignete Kandidatin, im Rat der EU-Staats- und Regierungschef gibt es hingegen politischen Widerstand gegen Ihre Person. Was meinen Sie, warum?

Ich weiß es nicht. Wenn ich wüsste, welche Länder mit welchen Argumenten gegen mich gestimmt haben, dann hätte ich eine Erklärung. Leider hat der Europäische Rat die Kandidaten nicht zu einer Anhörung eingeladen. So hätte er sich ein objektives Bild vor seiner Entscheidung machen können.

Für mich zählt, dass ich bei der Bewerbung vor einer Fachkommission und im EU-Parlament Platz eins belegt habe. Der französische Kollege und Mitbewerber Jean-François Bohnert verfügt über eine reiche Berufserfahrung, vor allem was internationale Kooperationen angeht. Jeder von uns beiden hat seine Stärken.

Auswahlverfahren Der neue Chef für die Europäische Staatsanwaltschaft (EUStA) wird in einem dreistufigen Verfahren ermittelt. Im Februar teilte eine zwölfköpfige Expertenkommission nach Anhörung der Kandidaten mit, die rumänische Ermittlerin Laura Codruta Kövesi sei ihre erste Wahl. Auch das EU-Parlament votierte für Kövesi. Der Europäische Rat der EU-Staats- und Regierungschefs favorisiert hingegen den französischen Juristen Jean-François Bohnert. Seit März verhandeln beide Seiten über die Vergabe des Postens, bislang ohne Erfolg. EU-Parlamentskreisen zufolge könnte jedoch in den nächsten Tagen die Entscheidung fallen.

Sie werden von vielen Menschen für Ihren unnachgiebigen Kampf gegen Korruption geschätzt. Haben Sie damit in Rumänien etwas verändert?

Ja, es gab einen gewissen Mentalitätswandel. Vor mehr als einem Jahrzehnt war Korruption noch ein weit verbreitetes Problem war, eine Art Lebensgefühl. Beim Arztbesuch wurde Schmiergeld gezahlt. Damit ein Problem im Dorf geklärt wird, wurde oft der zuständige Funktionär bestochen. Das hat sich geändert. Die Menschen haben verstanden, dass Korruption ein schwerwiegendes Problem ist, das ihr Leben beeinflusst. In den vergangenen Jahren haben immer mehr Rumänen Anzeige bei Korruptionsvorfällen erstattet, auch immer mehr Beamte haben sich gemeldet, wenn ihre Chefs wollten, dass sie bestimmte Regeln verletzen – vor allem bei der Vergabe öffentlicher Aufträge. In Rumänien setzen sich immer mehr Menschen für den Rechtsstaat und den Anti-Korruptionskampf ein. Und genau daran spürt man den Mentalitätswandel.

Straßenszene in Bukarest. Eine Frau verlässt einen Laden. Das Graffiti an der Häuserwand in Bukarest zeigt die rumänische Staatsanwältin Laura Codruta Kövesi.
In der Innenstadt von Bukarest findet man an mehreren Stellen ein Graffiti. Die Rumänen wissen, wen es darstellt: Laura Codruta Kövesi. Bildrechte: MDR/Annett Müller-Heinze


In den vergangenen Tagen hieß es, dass bei der Besetzung von EU-Spitzenposten Osteuropa nicht vergessen werden dürfe. Könnten Sie zur Quoten-Osteuropäerin werden
?

Ich will hier nicht spekulieren, denn ich habe keinen Einblick in die politischen Verhandlungen. Ich wünsche mir aber, dass bei der Auswahl die Ergebnisse des fachlichen Auswahlverfahrens entscheidend sind.

Was machen Sie, wenn Sie den Job nicht bekommen?

Es gibt immer einen Plan B und mit Sicherheit bleibe ich im Justizsystem.

Ich habe in der rumänischen Presse gelesen, dass man Sie in der Republik Moldau sehr gern als Generalstaatsanwältin hätte.

Ja, in der Republik Moldau oder in der Ukraine. Ich habe das auch nur in der Presse gelesen. Es gibt weder ein konkretes Angebot, noch führe ich mit jemanden Verhandlungen darüber. Ich bin es gewohnt, dass in der rumänischen Presse Gerüchte über mich veröffentlicht werden, die nicht geprüft werden.

Hätten Sie denn Interesse?

Bislang bin ich nur an einem interessiert an meiner Kandidatur für die Europäische Staatsanwaltschaft. Ich denke einzig und allein daran.

Das Interview führte Annett Müller-Heinze.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 17. Juni 2017 | 12:00 Uhr

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