Richterin Julia Przylebska
Richterin Julia Przyłębska ist mit dem polnischen Diplomaten und derzeitigen Botschafter in Deutschland, Andrzej Przyłębski, verheiratet. Sie gilt als sehr konservativ. Bildrechte: Verfügbar für Kunden mit Rechnungsadresse in Deutschland. | Pawel Supernak

Entscheidung Verfassungsgericht Polen: Abtreibung verfassungswidrig

23. Oktober 2020, 10:53 Uhr

Polen steuert auf eine weitere Verschärfung seines ohnehin strengen Abtreibungsrechts zu. Das Verfassungsgericht in Warschau erklärte 22. Oktober eine bisher geltende Ausnahmeregelung für verfassungswidrig.

Das höchste Gericht Polens hat ein geltendes Abtreibungsgesetz für verfassungswidrig erklärt. Nach Ansicht der Richter verstößt dies gegen das in der polnischen Verfassung garantierte Recht auf Leben.

Abtreibungsgesetz jetzt schon eines der schärfsten Europas

Das vom Gericht als verfassungswidrig eingestufte Gesetz gilt bereits jetzt als eines der restriktivsten Gesetze zu Schwangerschaftsabbrüchen in Europa: Abtreibung ist offiziell nur bei Lebensgefahr für die Mutter, bei Vergewaltigung oder bei Fötusschäden erlaubt.

Mit dem Urteil des höchsten Gericht ist nun mit einem noch schärferen Gesetz zu rechnen: Frauen müssen dann auch Kinder austragen, die keine Überlebenschance nach der Geburt hätten. Das begründet der Vorsitzende der Regierungspartei „Recht und Gerechtigkeit“ (PiS), Jarosław Kaczyński, so: Diese Kinder könnten wenigstens im katholischen Sinne "getauft und beerdigt werden, und sie könnten einen Namen bekommen".

NGOs fordern das Recht auf Abtreibung

Kamila Ferenc arbeitet als Juristin für den Verband für Frauen und Familienplanung (Federacja na rzecz Kobiet i Planowania Rodziny). Sie fordert mit ihrer Organisation, dass Frauen selbst über ihren Körper entscheiden können. Viele Frauen würden sich an sie wenden, weil sie keine Ärzte finden, die Abtreibungen nach festgestellten Fötusschäden durchführen. "Es ist oft enormer Stress für Frauen", sagt Ferenc.

Grund dafür: Viele polnische Ärzte haben eine Gewissensklausel unterschrieben, mit der sie sich verpflichten, keine Abtreibungen durchzuführen. Damit fehlen nicht nur Beratungsangebote, es gibt auch entsprechend wenige Schwangerschaftsabbrüche. Offiziell werden jährlich rund 1000 Abtreibungen registriert. Die Dunkelziffer dürfte laut Frauenrechtlerinnen weitaus höher sein. Wer es sich leisten kann, fährt in eine Klinik nach Deutschland, Österreich, Tschechien oder in der Slowakei. Sollte das Abtreibungsgesetz verschärft werden, wäre dies der "endgültige Eintritt von Fundamentalisten ins Private", so die Frauenorganisation.

Abtreibung wird politisch instrumentalisiert

Doch Abtreibung ist in Polen bereits jetzt schon längst keine Privatsache mehr. Sie ist zum Politikum geworden. Seit rund 30 Jahren wird immer wieder erbittert über Abtreibung gestritten. Nach Protesten Hunderttausender Frauen in ganz Polen fiel das Gesetz "Stoppt Abtreibung" im Oktober 2016 durch. Doch die Verschärfung des Abtreibungsgesetzes war damit immer noch nicht vom Tisch: 2018 wurde der Gesetzesentwurf erneut eingebracht, "verharrte" aber zur weiteren Beratung in Ausschüssen. Jarosław Kaczyński wollte erneute Frauenproteste vermeiden und die PiS beließ es dabei.

2019 nahm die regierenden PiS das Verbot des Schwangerschaftsabbruchs in ihr Wahlprogramm auf und brachte einen Gesetzesentwurf direkt nach ihrem Wahlsieg auch erneut ins Parlament ein. Anfang des Jahres schaffte es die Verschärfung der Abtreibungsregeln dann mit Stimmen der regierenden PiS, der rechten Konfederacja sowie Teilen der konservativen Bauernpartei durch den Sejm. Mehr als 100 Abgeordnete, überwiegend aus den Reihen der Regierungspartei Recht und Gerechtigkeit ( PiS ), hatten sich mit ihrer Kritik an der aktuellen Gesetzeslage an das höchste polnische Gericht gewandt, nun wurde eine Entscheidung über die Verfassungswidrigkeit zugunsten der konservativen Meinungen in Polen gefällt.

Verfassungsrichterin von der PiS eingesetzt

Die Verfassungsrichterin, Julia Przyłębska, die unter anderem das Urteil fällte, gilt als sehr konservativ. Sie wurde 2015 von der nationalkonservativen PiS-Mehrheit im Parlament zur Verfassungsrichterin gewählt. Sie gilt als eine der zentralen Figuren bei der "Übernahme" dieses Organs durch die PiS-Partei.

(dpa/adg)

TV | 23.03.2018 | 17:45 Uhr

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