Europawahl Polen
Die polnische Opposition hoffte bei der Europawahl auf eine Trendwende nach jahrelanger PiS-Dominanz. Bildrechte: imago images / Xinhua

Nach der Europawahl Das Erfolgsrezept der PiS in Polen

01. Juni 2019, 06:30 Uhr

Der deutliche Sieg der regierenden PiS-Partei bei der Europawahl am vorigen Sonntag hat in Polen viele überrascht. Die letzten Umfragen sagten ein Kopf-an-Kopf-Rennen zwischen der PiS und der größten Oppositionskraft "Europäische Koalition" voraus. Anhänger der Opposition hofften auf eine Trendwende nach jahrelanger PiS-Dominanz. Stattdessen müssen sie erkennen, dass die PiS trotz zahlreicher Skandale erfolgreich ist wie nie.

Seit Monaten kommt die PiS nicht aus den Schlagzeilen. Eine Affäre jagt die andere: Korruptionsvorwürfe, unverhältnismäßige Gehälter von Staatsbediensteten, zwielichtige Immobiliengeschäfte von PiS-Chef Kaczyński und Ministerpräsident Morawiecki. Hinzu kamen zahlreiche Debakel auf internationalem Parkett, der politisch motivierte Mord am Oberbürgermeister von Danzig Paweł Adamowicz und der Missbrauchsskandal in der katholischen Kirche, die als enge Verbündete der Regierungspartei gilt.

So konnte die Opposition nach Jahren in der Defensive in den Umfragen aufholen und sich wieder Hoffnungen auf einen Machtwechsel bei der Parlamentswahl im Herbst machen – die diesjährige Europawahl wurde allgemein als Stimmungstest dafür angesehen. Umso ernüchternder war das Erwachen am Morgen nach der Wahl, als klar wurde, dass die PiS mit einem deutlichen Vorsprung gewonnen hat (45,4 Prozent für die PiS, 38,5 Prozent für die Europäische Koalition). Doch die Niederlage ist hausgemacht. Während die PiS-Partei einen nahezu perfekten Wahlkampf führte, leistete sich die Opposition zahlreiche Fehler.

PiS punktet mit Sozialprogramm

Ihren glänzenden Sieg verdankt die PiS vor allem ihrem Sozialstaatprogramm. 2015 ins Leben gerufen, wurde es im Vorfeld der Europawahl noch wesentlich erweitert. Dessen wichtigstes Element ist das Kindergeld, unter dem Namen 500+ bekannt. Künftig soll es bereits ab dem ersten Kind in der Familie und nicht erst ab dem zweiten ausgezahlt werden. Rentner bekamen außerdem – pünktlich vor der Wahl – eine "dreizehnte" Rente aufs Konto überwiesen, die es auch im nächsten Jahr geben soll. Außerdem wird der Mindestlohn angehoben.

Von der Opposition wurde das Sozialprogramm der PiS als Stimmenkauf kritisiert. Einkommensschwache Wähler hatten daher Angst, diese Errungenschaften wieder zu verlieren, falls die Opposition gewinnt, und stimmten für die PiS. Fast 30 Jahre nach der Wende sind viele Polen überzeugt, dass sich der Staat endlich von seiner sozialen Seite zeigen und mehr für Familien, Senioren und Geringverdiener tun müsse.

Wähler erwarten mehr Sozialstaat

Europawahl Polen
PiS-Strategen mit Jarosław Kaczyński an der Spitze haben die Europawahl zu einem Referendum über die Sozialpolitik ihrer Partei umgedeutet. Bildrechte: imago images / Eastnews

In den ersten Jahrzehnten nach dem Übergang zur Marktwirtschaft wurden solche Forderungen mit dem Hinweis abgetan, Polen könne sich einen Sozialstaat noch nicht leisten. Ärmel hochkrempeln und hart arbeiten, um zum Westen aufzuschließen, war die Devise. Wer dabei auf der Strecke blieb, wurde eher verachtet als umsorgt. Inzwischen erwarten viele Bürger ein Umdenken: Die Aufbaujahre seien vorbei und der Staat reich genug, um zu teilen.

Das Sozialprogramm der PiS ist in dieser Hinsicht ein klarer Erfolg: Familien, die sich bis vor kurzem finanziell kaum über Wasser halten konnten, kommen jetzt gut über die Runden und können sich einen bescheidenen Jahresurlaub leisten.

PiS kann "Minen" rechtzeitig entschärfen

Außerdem ist es der PiS-Partei gelungen, einige "Minen" zu entschärfen, die ihr den Wahlsieg hätten kosten können. Nach den schockierenden Enthüllungen zum  Kindesmissbrauch in der katholischen Kirche stellte sich die PiS schnell auf die Seite der Opfer und verschärfte medienwirksam die Strafen für sexuelle Übergriffe und deren Vertuschung. Bemerkenswert für eine Partei, die sich sonst als Beschützerin der Kirche geriert und eher dazu neigt, die Sünden und Vergehen der Geistlichen kleinzureden.

Eine zweite politische Mine war das Verhältnis zu Europäischen Union, das seit langem zerrüttet war. Doch wenige Monate vor der Wahl schwächte die PiS-Regierung ihren Konfrontationskurs deutlich ab und PiS-Politiker gaben sich plötzlich als vermeintliche EU-Enthusiasten zu erkennen. Damit nahmen sie der Opposition den Wind aus den Segeln, die vor einem "Polexit" warnte und damit auf Wählerstimmen der nach wie vor europabegeisterten Polen hoffte.

Opposition ohne Ideen und wenig glaubwürdig

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Der Opposition fehlte ein überzeugendes Programm. Außerdem waren ihre Kandidaten (im Bild Jarosław Wałęsa) zu wenig präsent. Bildrechte: imago images / ZUMA Press

Vor diesem Hintergrund wirkte die Opposition fast schon dilettantisch. Als größte Errungenschaft präsentierte sie das bloße Zustandekommen einer Anti-PiS-Allianz unter dem Namen "Europäische Koalition". Dies war vor allem wegen der in Polen geltenden Stimmauszählung nötig, die kleine Parteien benachteiligt und den größeren einen "Bonus" gewährt. Und in der Tat war es eine schwere Geburt, fünf Parteien mit recht unterschiedlichen Profilen unter dem genannten Schild zu vereinigen – doch das allein war den Wählern, selbst erklärten PiS-Gegnern, nicht genug.

Statt eine Vision zu liefern, wie Polen nach der PiS-Ära aussehen soll, konzentrierte sich die Opposition auf die bloße Losung "Die PiS muss weg!". Es fehlte ein schlüssiges Programm. Stattdessen gab es ein Sammelsurium von punktuellen Ideen, die sich zum Teil sogar widersprachen, da es dem breit aufgestellten Bündnis schwer fiel, mit einer Stimme zu sprechen. Wenn links eingestellte Politiker der Europäischen Koalition zum Beispiel die Privilegien der Kirche abbauen und für LGBT-Rechte eintreten wollten, ruderten ihre Kollegen vom rechten Rand des Bündnisses verschreckt zurück.

Dass die Oppositionspolitiker in den vergangenen Jahren ihre Meinung bei vielen Fragen mehrfach änderten, schwächte ihre Glaubwürdigkeit zusätzlich: Denn mal waren sie für die Aufnahme von Flüchtlingen, dann wieder dagegen, mal prangerten sie die Sozialtransfers der PiS als Wählerbestechung an, mal wollten sie die Kaczyński-Partei sogar überbieten. Die Beispiele ließen sich fortsetzen.

Stimmen aus der Provinz verschenkt

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Grzegorz Schetyna gilt als "Vater" der Europäischen Koalition. Selbst innerhalb seiner Partei gilt er allerdings als wenig charismatisch. Bildrechte: imago images / Eastnews

Außerdem waren die Kandidaten der Opposition deutlich weniger aktiv und in der Fläche präsent als PiS-Politiker. Vor allem auf dem Land und in den Kleinstädten fehlten sie, dabei wurde die Wahl gerade dort entschieden, wie erste Analysen zeigen. Auffällig ist auch eine gewisse Personalmisere. Der Anführer des Oppositionsblocks, Grzegorz Schetyna, gilt als wenig charismatisch. Ein Handicap in der polnischen Politik, die sehr personalisiert ist und ihre Inhalte über markante Gesichter an den Mann bringt. Auch die vielen ehemaligen Regierungschefs und Minister, die sich als Kandidaten aufstellen ließen, konnten nicht den Eindruck vermitteln, dass bei der Opposition ein frischer Wind weht.

Der schwache Auftritt im Wahlkampf und das Fehlen eines guten Programms mit eigenen Ideen zur Sozialpolitik haben die polnische Opposition um eine Trendwende gebracht, die schon greifbar schien.

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR aktuell | 27. Mai 2019 | 17:45 Uhr

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