Robert Biedron
Bei der Parlamentswahl im Oktober 2019 schaffte das Linksbündnis "Lewica", zu dem auch Robert Biedrońs Partei gehört, mit 12,6 Prozent den Wiedereinzug. Bildrechte: imago images / Eastnews

Frischer Wind für Polens Politik Robert Biedrón – der Emmanuel Macron Polens

11. Januar 2020, 05:00 Uhr

Polen wählt im Mai einen neuen Präsidenten. Der linksliberale EU-Abgeordnete Robert Biedroń hat diese Woche seine Kandidatur erklärt. Und das sorgt für reichlich Gesprächsstoff: Denn Biedroń setzt sich für Umweltschutz und Gleichberechtigung ein, kritisiert die katholische Kirche scharf und lebt offen in einer homosexuellen Partnerschaft. Im konservativen Polen eigentlich eine undenkbare Kombination.

Ein schwuler Atheist, der vehement eine linke und grüne Wirtschaftspolitik verfolgt und liberale, pro-europäische Werte vertritt – Robert Biedroń, der ehemalige Parlamentsabgeordnete und Ex-Oberbürgermeister der Stadt Słupsk verkörpert alles, was die konservative Regierungspartei PiS ablehnt und der Parteivorsitzende Jarosław Kaczyński 2015 als "Polen der schlimmsten Sorte" stigmatisierte. Eine solche Mischung galt in der konservativ-christlich geprägten polnischen Gesellschaft lange als politisches Nischenprodukt. Doch Biedroń ist in der Bevölkerung äußerst beliebt.

Twitterpost Robert Biedron
Auf Twitter verkündete Robert Biedroń seine Kandidatur für die Präsidentschaftswahl im Mai 2020. Bildrechte: Robert Biedron

Einführung gleichgeschlechtlicher Partnerschaften

Als Biedroń im Februar 2019 seine neue Partei "Wiosna" (zu deutsch "Frühling") gründete, verkündete er zugleich das Programm. Als einziger Mainstream-Politiker Polens sprach er sich klar für eine Liberalisierung des Abtreibungsrechts und eine Einführung gleichgeschlechtlicher Lebenspartnerschaften aus. Ein weiterer zentraler Programmpunkt ist eine strikte Trennung zwischen Staat und Kirche. Das Konkordat mit dem Vatikan soll neu verhandelt, Religionsunterricht in den Schulen abgeschafft und die Sexualaufklärung dafür verbessert werden.

Mehr Sozialstaat

Viel Platz nahmen auch soziale Themen ein. So sollen rund 250.000 Kita- und Krippenplätze neu geschaffen werden. Alle Senioren sollen eine garantierte Mindestrente von 1.600 Złoty bekommen und der gesetzliche Mindestlohn auf 60 Prozent des Durchschnittslohns steigen.

Einsatz für den Klimaschutz

Ein relatives Novum in der polnischen Politik waren auch die vielen Umweltthemen. Bis zum Jahr 2035 sollen alle Steinkohlegruben geschlossen werden - eine Aufgabe, an die sich alle bisherigen Regierungen seit der Wende nicht so richtig trauten. Polen soll dank dem Kohleausstieg bis dahin die sauberste Luft in Europa haben. In allen Gemeinden soll es gut funktionierenden öffentlichen Personennahverkehr geben. Pelztierhaltung und Tiere im Zirkus sollen verboten werden. Ein neu eingeführter Umwelt-Ombudsmann soll all das überwachen.

Der Macron Polens?

Relativ viele sehen in Biedroń deshalb eine Hoffnung, frischen Wind in die polnische Politik zu bringen. Manche vergleichen ihn mit dem französischen Präsidenten Emmanuel Macron. Er selbst verwahrt sich jedoch gegen diesen Vergleich.

Ich bin kein Macron, denn ich bin Biedroń. Ich bin ein fortschrittlicher Politiker, der sich eine Politik wünscht, die niemanden zurückbleiben lässt und die Chancen ausgleicht. Macron ist in diesem Sinne nicht fortschrittlich, denn er ist liberal.

Robert Biedroń, Gründer der Partei "Frühling" ARD-Studio Warschau

"Erster schwuler Bürgermeister"

Polnischer Facebook Post, der einen grauhaariger Mann im Anzug zeigt.
In der Zeitung "Newsweek" sprachen Robert Biedroń und sein Partner im März 2017 ausführlich über ihr Leben als homosexuelles Paar im konservativen Polen. Bildrechte: Facebook.com/Robert Biedron

Biedrońs medialer Aufstieg begann 2014 mit seinem Sieg als Gemeinschaftskandidat eines linken Parteienbündnisses bei der Bürgermeisterwahl in der Ostseestadt Słupsk: "Erster schwuler Bürgermeister Polens" war damals die Schlagzeile, die innerhalb und außerhalb des katholischen Polens für Aufsehen sorgte. Die Reaktionen auf die Wahl des offen homosexuellen Biedrońs waren eine Mischung aus Beleidigungen, Drohungen und Arroganz.

"Flucht" aus dem Parlament

Zu diesem Zeitpunkt war Biedroń bereits eine feste Größe in der polnischen Politik. Seit 2011 saß er für die liberale Kleinpartei "Deine Bewegung" im Sejm und konnte sich damals landesweite Beliebtheit - ebenso wie landesweite Feinde - erarbeiten. Doch gegen Ende der Legislaturperiode war klar, dass "Deine Bewegung" in der politischen Bedeutungslosigkeit versinken wird, weswegen Biedroń in die Lokalpolitik wechselte. Nach seiner "Flucht" aus Warschau würde es ihm genau wie seiner Partei ergehen, dachten - und hofften wohl auch - damals viele.

Gefeierter Bürgermeister

Grauhaariger Mann in Bürgermeister-Amtsrobe und -kette. vor Paar bei Traaung.
Zu seiner Zeit als Słupsker Oberbürgermeister waren Eheschließungen durch Robert Biedroń äußerst gefragt. Bildrechte: Westdeutscher Rundfunk

Doch als Oberbürgermeister von Słupsk lieferte Biedroń ab, was er als Kandidat versprochen hatte. Innerhalb weniger Jahre brachte er die am höchsten verschuldete Stadt Polens in die schwarzen Zahlen, besetzte offene Arbeitsplätze mit ukrainischen Migranten und baute Radwege, die er selbst täglich auf dem Weg zur Arbeit nutzte. Słupsk wird regelmäßig zu einer der lebenswertesten Städte Polens gewählt.

Chancen auf Wahlsieg eher gering

Bei der Europawahl im Mai vergangenen Jahres konnte Biedrońs Partei "Wiosna" 6,06 Prozent der Stimmen der Polen für sich gewinnen. Biedroń, der auf Listenplatz 1 seiner Partei stand, sitzt seitdem im Europäischen Parlament. Auch bei der Parlamentswahl in Polen im Oktober war die Partei erfolgreich - allerdings als ein Teil des Linksbündnisses "Lewica", das mit 12,6 Prozent den Wiedereinzug ins Parlament schaffte.

Für dieses Bündnis tritt Biedroń nun im Mai als Präsidentschaftskandidat an. Seine Chancen, aus der Wahl als Sieger hervorzugehen, stehen allerdings eher schlecht. Laut einer Umfrage des Onlineportals "super express" vom Donnerstag gilt der bisherige Amtsträger Andrej Duda als Favorit. Bei der Umfrage kam Duda auf 45, Biedroń nur auf zwölf Prozent.

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 11. Januar 2020 | 07:15 Uhr

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