Cluj-Napoca Aus der Roma-Siedlung nach Brüssel?

05. Mai 2019, 06:33 Uhr

Linda Greta Zsiga arbeitet als Blumenverkäuferin. Einst lebte sie unfreiwillig nahe der Müllkippe von Cluj Napoca in Rumänien. Bei der EU-Wahl im Mai tritt sie für eine neue Partei an. Ihr Hauptthema bei einem Mandat in Brüssel wäre bezahlbarer Wohnraum.

Pata Rât ist ein unwirtlicher Ort. Auf dem Gelände weitab vom Zentrum entsorgt die Großstadt Cluji Napoca ihren Hausmüll. Millionen Tonnen von Essensresten, Plastikflaschen und gebrauchten Windeln türmen sich hier zu einem gigantischen Abfallberg.

Dort tummeln sich neben Ratten und Hunden ein paar Kinder, die nach Ersatzteilen für ein Fahrrad suchen. Sie wohnen nur wenige hundert Meter entfernt in windschiefen Baracken, die die Stadt "Sozialwohnungen" nennt.

Linda Greta Zsiga hat sieben Jahre lang dort gelebt. "Für mich war das die schlimmste Erfahrung in meinem ganzen Leben", blickt sie zurück. "Ich hatte damals einen Job. Geldsorgen hatten wir keine, aber emotionale Probleme. Wir litten sehr darunter, hier wohnen zu müssen."

 Wohnst Du in Pata Rât, ist das wie ein Stigma. Die Leute verbinden Dich mit Müll, Krankheiten und Dreck.

Linda Greta Zsiga

Niemand wohnt freiwillig hier

Niemand wohnt freiwillig hier. Die 40 Familien der Siedlung "Rampa" sind in der Mehrzahl Roma wie Linda und wurden im Winter 2010 aus dem Stadtzentrum an den Rand der Müllkippe zwangsumgesiedelt. "Am 15. Dezember erhielt ich wie die anderen einen Brief", erzählt sie.

Das Rathaus gab uns zwei Tage Zeit, um unsere Sachen zu packen.

Linda Greta Zsiga

Am Morgen des 17. seien Gendarmerie und Ordnungsamt in ihre Straße gekommen. Die Bulldozer hätten sofort damit begonnen, ihre Häuser einzureißen: "Man hat uns aus den Betten geholt, früh um fünf."

Spekulation über Gründe für Zwangsumsiedlung

Wie so was möglich ist? Der damalige Bürgermeister Sorin Apostu habe im gleichen Viertel gewohnt und sich offenbar von den Roma gestört gefühlt, sagt Linda. Dann fügt sie ein wenig schadenfroh hinzu, Apostu sei später im Gefängnis gelandet. Nicht für die Zwangsevakuierungen, sondern wegen Bestechlichkeit im Amt, aber immerhin …

Nur noch zu Besuch

Heute kommt Linda nur noch auf Besuch nach Pata Rât. Sie ist eine der Glücklichen, die mit Hilfe eines norwegischen Hilfsprogramms eine neue, bessere Wohnung gefunden haben. Im Haus ihrer Mutter Rita werden Erinnerungen wach: "Wir haben damals in einem Zimmer wie diesem zu zehnt gewohnt. Auf 16 Quadratmetern. Weil das nicht ausreicht, haben wir und die anderen angefangen, illegal anzubauen. Hier und dort kamen mit der Zeit immer mehr Zimmer dazu."

Mutter Ritas Haus ist picobello sauber. An der Wand hängt ein Flachbildfernseher. Familienfotos und Kunstblumen sollen vergessen machen, dass vor der Tür täglich der Müllberg wächst.

Den Ärmsten eine Stimme geben

Damit sich dauerhaft etwas ändert, engagiert sich Linda politisch. Sie ist Mitglied in der neuen linken Partei Demos (Demokratie und Solidarität) und wurde als Spitzenkandidatin für die Wahlen zum Europaparlament aufgestellt. Aber kann sie sich vorstellen, nach Brüssel zu gehen? "Klar, kann ich das, ist doch nicht schwer", antwortet sie.

Ich könnte dort den Ärmsten eine Stimme geben, egal welcher Ethnie sie angehören oder welche Hautfarbe sie haben.

Linda Greta Zsiga

"Gehen wir doch endlich deren soziale Probleme an!", fordert sie. "Die EU kann Verbesserungen herbeiführen. Ich setze große Hoffnungen in die EU." Lindas Hauptthema sind bezahlbare Wohnungen für alle - EU-weit. Die Menschen in Pata Rât honorieren, dass sich eine von ihnen dafür stark macht. An immer mehr Haustüren haften in diesen Tagen Aufkleber von Lindas Demos-Partei. Die kleinen runden Sticker erinnern daran: Wohnen ist ein Menschenrecht.

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