Wadim neben Hantelbank
Wadim Seleznjow Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Russland Umerziehungsheim für kriminelle Jugendliche

03. Juni 2019, 06:00 Uhr

In einem Umerziehungsheim in Serafimowka sollen straffällig gewordene Jugendliche wieder auf den rechten Weg gebracht werden. Es herrscht eine strenge Disziplin, gibt aber auch musischen Unterricht. Drill und Zuwendung ist die Methode. Einer der Jugendlichen in Serafimowka ist der 17-jährige Wadim.

Wadim Seleznjow ist ein großgewachsener, drahtiger Bursche. Man sieht ihm an, dass er viel Sport treibt. Seine Haare sind kurzgeschoren. Seit knapp zwei Jahren lebt Wadim im Umerziehungsheim Serafimowka, 500 Kilometer von Moskau entfernt. "Ich hatte ein Auto geklaut und sofort einen Unfall gebaut", beichtet er. "Natürlich bin ich vom Tatort abgehauen. Nach zwei Tagen haben die Polizisten mich aber geschnappt."

"Sie behandeln uns gut hier"

Etwa 70 Jugendliche zwischen elf und achtzehn Jahren sind in Serafimowka ständig untergebracht. Sie haben mehr oder weniger große kriminelle Karrieren hinter sich - sie haben geklaut, geraubt oder Schlägereien angezettelt. Im Umerziehungslager, einem schmucklosen Ziegelsteinbau, der von einer hohen Mauer umgeben ist, sollen sie zu anständigen russischen Patrioten erzogen werden. "Die ersten drei Monate durfte ich das Gelände nicht verlassen", erinnert sich Wadim. "Erst danach bekam ich Freigang und durfte ab und zu außerhalb der Anstalt spazieren gehen. Ich hatte dabei aber nie den Gedanken, abzuhauen. Sie behandeln uns gut hier."

"Draußen ging von unseren Jungs Gefahr aus"

Schüler in russischem Umerziehungsanstalt laufen im Gleichschritt über den Gang
Ein Leben im Gleichschritt - Jugendliche im Umerziehungslager Serafimowka Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die meisten der Jugendlichen von Serafimowka stammen aus prekären familiären Verhältnissen. Ihre Eltern hatten keine Arbeit, tranken, nahmen Drogen oder waren mit der Erziehung ihrer Kinder schlicht überfordert. "Daußen, in der Freiheit, ging von unseren Jungs Gefahr aus. Gefahr für die anderen Kinder aus ordentlichen Familien. Die Lehrer wussten nicht, wie sie mit solchen harten Jungs umgehen sollen", erklärt die Betreuerin Zulfia Worobjowa. "Andere Kinder sind gut angezogen, haben genug zu essen. Sie wissen, dass ihre Eltern zu Hause auf sie warten. Unsere Jungs dagegen wussten nicht einmal, was sie anziehen sollten. Sie hatten nicht so schöne Sachen wie die anderen, das machte sie aggressiv. Hier, in Serafimowka, sehen alle gleich aus." Die Jugendlichen erfahren im Umerziehungslager Wärme und Vertrauen. Manche zum ersten Mal in ihrem Leben. "Unsere Kinder strahlen Wärme aus, die wir Betreuer spüren", erzählt Farida Sagdeewa. "Aber sie wollen auch Wärme spüren. Manche möchten, dass wir ihren Kopf streicheln, obwohl sie schon große Jungs sind, wie Wadim."

Militärischer Drill und musischer Unterricht

Der Tagesablauf in Serafimowka ist militärisch strukturiert. Um sieben Uhr ist Wecken, danach Bettenbauen, Appell, Frühsport, anschließend gibt es Frühstück. Es ist ein Leben im Gleichschritt. Zum Schulunterricht erscheinen die Jugendlichen allesamt in weißem Hemd, Krawatte und dunklem Anzug. Am Nachmittag gibt es dann verschiedene Angebote. Die Jugendlichen können einen Schreinerkurs belegen, Musik machen oder Sport treiben. Natürlich gibt es auch eine vormilitärische Ausbildung samt Vermittlung patriotischer Tugenden.

Ganze Generationen durchliefen das Heim

Blick auf Mauer der russischen Umerziehungsanstalt
Blick auf die Mauer des Umerziehungsheims Serafimowka Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Das Umerziehungsheim Serafimowka ist Anfang der 1970er-Jahre gegründet worden. Ganze Generationen von Jugendliche haben es seither durchlaufen. Insgesamt existieren in Russland derzeit 22 Umerziehungsheime, in denen jeweils 50 bis 150 Jugendliche untergebracht sind. Die durchschnittliche Verweildauer beträgt etwa zwei Jahre. Die russischen Umerziehungsheime ähneln den Jugendwerkhöfen in der DDR, in die damals "schwer erziehbare" Jugendliche zwangsweise eingewiesen wurden. Sie sollten dort zu "sozialistischen Staatsbürgern" erzogen werden.

"Wir machen sie fit für die Armee"

"Unser Heim ist kein Gefängnis, sondern eine Schule für Jungs", erklärt der Betreuer Mars Galiullin. "Wir machen sie fit für die Armee." Es geht in Serafimowka also nicht in erster Linie um die Erziehung der Jugendlichen zu selbstbestimmten und kritischen Bürgern. Das Ideal ist vielmehr der patriotische Staatsdiener in Uniform. Und mehr als die Hälfte der Jugendlichen schlägt nach der Entlassung aus dem Umerziehungsheim tatsächlich eine militärische Laufbahn ein. Ganz im Sinne der Erzieher. Und des russischen Staates.

Ungewisse Zukunft

Wenn die Jugendlichen ihre Strafen verbüßt haben, können sie das Umerziehungslager verlassen. Die Erzieher sind darüber scheinbar gar nicht so glücklich: "Es wäre toll, wenn die Kinder einfach hier bleiben könnten. Aber leider müssen sie die Anstalt eines Tages verlassen", bedauert die Betreuerin Farida Sagdeewa. "Und dann kommt es auch vor, dass manche in ihre alten Verhältnisse zurückkehren. Diesen Verhältnissen werden nur diejenigen widerstehen können, die bei uns einen starken Charakter entwickelt haben. Diese Jugendlichen werden aber ihren Weg finden."

Erzieher und Schüler beim Schnitzen eines Schneidbretts
Wadim Seleznjow beim Verzieren eines Schneidbretts Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

"Total verändert"

Wadim Seleznjow jedenfalls ist sich sicher, dass er den rechten Weg gefunden hat. Mit seiner kriminellen Vergangenheit meint er in Serafimowka endgültig abgeschlossen zu haben. "Ich war ein böser Junge", erinnert er sich. "Draußen, in der Freiheit, habe ich mich mit anderen Jungs ständig gekloppt. Hier habe ich mich aber total verändert." Und auch Wadim spielt jetzt mit dem Gedanken, später einmal Soldat zu werden.

(Quelle: Juri Rescheto, Russland: Vom Kriminellen zum Staatsbürger, Deutsche Welle)

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "Aktuell" | 28.05.2019 | 17:45 Uhr

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