Interview mit Ostblogger Warum Selenskyj in Russland so beliebt ist

27. April 2019, 11:00 Uhr

Der TV-Star Wolodymyr Selenskyj hat vorigen Sonntag die Stichwahl um das Präsidentenamt in der Ukraine haushoch für sich entschieden. Der künftige Staatschef in Kiew ist auch in Russland ein Star. Warum eigentlich und wie reagiert Kremlchef Wladimir Putin darauf? Wir haben unseren Ostblogger Maxim Kireev in Sankt Petersburg gefragt.

Laut einer Umfrage des bekanntesten russischen Meinungsforschungsinstitutes WZIOM haben 40 Prozent der Russen die ukrainische Präsidentschaftswahl verfolgt. Hätten die interessierten Russen bei der Wahl mit abstimmen können, hätten sie Selenskyj gewählt. Warum ist der neue ukrainische Präsident in Russland so beliebt?

Selenskyj ist auch in Russland ein TV-Star. Er war früher beim russischen Fernsehsender Rossija als Moderator unter Vertrag. Er war in zahlreichen Filmen zu sehen. Selenskyi ist das Gegenteil von dem, was das Regime in Kiew für die Russen bisher verkörpert hat. Er ist als Kandidat gegen das etablierte System angetreten und das ist hier in Russland absolut angekommen. Das ist auch einer der Gründe, warum er hier so beliebt ist.

Die politischen Beziehungen zwischen dem noch amtierenden ukrainischen Präsidenten Petro Poroschenko und Kremlchef Wladimir Putin sind seit Jahren äußerst angespannt, nachdem Russland 2014 die ukrainische Halbinsel Krim annektierte und separatistische Kämpfer in der Ostukraine unterstützt. Der Kreml zeigte sich am Sonntag äußerst erfreut über die haushohe Niederlage Poroschenkos. Was erhofft sich der Kreml vom Politikneuling Selenskyj?

Das ist derzeit schwer zu sagen. Vor einigen Tagen hat Russland entschieden, die Einbürgerung von Ukrainern aus dem Osten des Landes zu erleichtern. Das wird von vielen Beobachtern als eine Provakation und ein Schritt in Richtung Eskalation gesehen und auch als Test für Selenskyj. Wie wird er jetzt reagieren? Was wird er jetzt sagen zu dieser doch überraschenden Entscheidung des Kreml? Man erwartet wahrscheinlich, dass Selenskyj jetzt zeigt, zu welchen Zugeständnissen er bereit wäre, ob er Russland irgendwelche Angebote unterbreitet und ob er bei seinem sanft pro-russischen Kurs bleibt. Selenskyj nimmt ja die Sorgen der Russen in der Ukraine sehr ernst und ist im Osten der Ukraine sehr beliebt.

Wie ernst nimmt der russische Präsident Putin überhaupt den Polit-Neuling und Polit-Anfänger Selenskyj?

Es wurde viel in den russischen Medien spekuliert, dass Putin sich freuen könne, dass er jetzt einen Polit-Neuling als Gegenspieler in Kiew bekommt, der leicht über den Tisch zu ziehen sei. Aber ich denke, dass bei vielen Politikexperten die Wahlkampagnen und der Wahlerfolg von Selenskyj für Respekt gesorgt haben. Man hat gesehen, er ist zwar ein unerfahrener Mann in der Politik, aber er hat eine Kampagne hingelegt, die ihm einen riesigen Wahlsieg beschert hat. Und ich glaube, dass der Kreml ihn schon ernst nehmen wird und dass er ihn vor allem auch als Konkurrent wahrnimmt, weil er bei den pro-russischen Ukrainern beliebt ist und das sind ja genau die Wähler, die Russland erreichen will. Darauf hat der Kreml noch keine Antwort gefunden.

Die jüngste Stichwahl war vor allem eine Protestwahl gegen die etablierte politische Elite in der Ukraine. Bei seiner Dankesrede sagte Selenskyj vorigen Sonntag auch mit Blick auf die anderen früheren Sowjetrepubliken: "Schaut auf uns – alles ist möglich." Wäre eine solche Protestwahl auch in Russland denkbar?

Man kann schon sagen, dass diese Anti-System-Haltung von Selenkskyj auch in Russland gerade stark an Fahrt gewinnt. Die russische Elite gilt in Russland als genauso korrupt wie die ukrainische Elite. Es gibt hier viele Parallelen. Ich glaube auch, dass die Äußerung von Selenskyj: 'Schaut auf uns - alles ist möglich' - dass die im Kreml nicht so gut angekommen ist. Man sieht dort sehr wohl, dass sich Selenskyj an die Russen wendet und, dass er hier auch gehört werden wird. Das ist ein Faktor, der das Verhältnis von Putin und Selenskyj belasten könnte. Dennoch sind die politischen Systeme der beiden Länder zu unterschiedlich: In Russland gibt es keine wirklich freien Wahlen auf förderaler Ebene. Damit kann man auch nicht erwarten, dass in Russland Ähnliches passiert wie in der Ukraine. Aber die Stimmung in der Ukraine nimmt jetzt auch in Russland an Fahrt auf.

Porträt Maxim Kireev 11 min
Ostblogger Maxim Kireev spricht im Interview über die Popularität des neuen ukrainischen Staatsoberhauptes. Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
11 min

Wolodymyr Selenskyj, der künftige Staatschef in Kiew, ist auch in Russland ein Star. Warum ist der neue ukrainische Präsident dort so beliebt? Ein Interview mit unserem Ostblogger Maxim Kireev.

MDR AKTUELL Sa 27.04.2019 11:15Uhr 10:30 min

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Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 27. April 2019 | 11:15 Uhr

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