Ungarn Sex, Lügen, Wählerbestechung: Kommunalwahlkampf in Ungarn

09. Oktober 2019, 05:00 Uhr

Kommenden Sonntag finden in Ungarn Kommunalwahlen statt. Der Wahlkampf ist nicht nur von skurrilen Aktionen, sondern auch von geleakten Tapes, Sexskandalen und Korruptionsvorwürfen geprägt. Er zeigt neben Bildern von kopulierenden Politikern vor allem, mit welchen Mitteln der politische Diskurs in Ungarn inzwischen geführt wird.

13.09.2019, Budapest VIII. Bezirk. Nachdem der Buergermeisterkandidat des Josephstadt, Andras Piko, von Fidesz und der Regierungspresse mit falschen Anschuldigungen angegriffen wurde, kommt es in der Prater utca zu einer Solidaritaetsdemo der vereinten Opposition: Piko-Aktivistinnen Buergerinitiative C8 mit ihrem Motto Fuer uns kommt der Achte Bezirk zuerst .
Vor den Kommunalwahlen in Ungarn: Anhänger der Opposition hängen Transparente in Budapest auf. Bildrechte: imago images/EST&OST

Am 13. Oktober sind die Ungarn aufgerufen, ihre Bürgermeister und Gemeinderäte neu zu wählen. In vielen kleinen, ländlichen Gemeinden treten parteiunabhängige Kandidaten an. In ihrem Wahlkampf geht es tatsächlich um kommunale Themen. Doch gerade in den mittleren und größeren Städten des Landes, vor allem jedoch in der Hauptstadt Budapest ist das nicht der Fall, sagt der Leiter des Budapester Büros der Friedrich-Ebert-Stiftung, Jörg Bergstermann. "Mein Eindruck ist, dass es nur in zweiter Linie ein Wahlkampf entlang kommunaler Themen ist, sondern viel stärker ein Lagerwahlkampf, ein Wahlkampf 'Wir gegen Die'. Es ist ein Wahlkampf, wo Regierungspartei und Opposition der jeweils anderen Seite zeigen wollen wie stark sie im Land ist."

Zeigen, dass man politisch noch was stemmen kann

Gerade für die Opposition gehe es um viel, meint Bergstermann: "Wenn man so lange hintereinander Wahlen verloren hat, dann gehen einem langsam die Ressourcen aus und die Machtbasis verloren – auch die Aktionsräume." Deswegen sei es für die Oppositionsparteien ganz wichtig, einige Kommunen zu gewinnen. Nur so habe man dort auch einen Apparat, der Politikkonzepte entwickeln und umsetzen könne. Dann könne man auch zeigen, wofür man stehe.

Aus diesem Grund haben sich in vielen Städten Wahlbündnisse aus Oppositionsparteien gebildet, um gegen die erdrückende Dominanz der Regierungspartei Fidesz eine Chance zu haben. Gerade die größeren Städte wie Eger, Miskolc, Szombathely und Pécs sind hart umkämpft.

Und tatsächlich könnte diese Strategie mancherorts zum Erfolg führen. Etwa im Rennen um das Amt des Oberbürgermeisters von Budapest, zweifelsohne der wichtigste Posten, der bei dieser Wahl zu vergeben ist. Hier liegt der Kandidat der meisten Oppositionsparteien, Gergely Karácsony, mit dem eigentlich unabhängigen, aber von Fidesz unterstützten Amtsinhaber István Tarlós in Umfragen nahezu gleichauf.  

Oberbuergermeister-Kandidat Gergely Karacsony
Will neuer Oberbürgermeister von Budapest werden: Der gemeinsame Kandidat der meisten Oppositionsparteien, Gergely Karácsony. Bildrechte: imago images/EST&OST

Von der Türkei lernen

Der Chefradakteur des Online-Portals azonnali.hu, Martin Bukovics, sieht vor allem die Opposition, die sich um Gergely Karácsony geschart hat, in Hochform: "Die machen eigentlich die beste Kampagne seit Orbán an der Macht ist. Die wollen jetzt wirklich gewinnen", so der Journalist. Inspiration habe sich die Opposition in der Türkei geholt. Dort hatte sich in der größten Stadt des Landes der Kandidat der Opposition gegen eine massive Kampagne der alles dominierenden AKP von Präsident Erdogan durchgesetzt. "Die waren Ende August in Istanbul, haben mit dem dortigen Bürgermeister darüber gesprochen, wie man gegen so ein mächtiges System wie das von Erdogan gewinnt und haben daraus gelernt. Mit ihren Aktionen und Provokationen machen sie jetzt eine wirklich interessante Kampagne", findet Martin Bukovics.

Mit harten Bandagen

So konfrontierten Aktivisten der Opposition den Amtsinhaber Tarlós mit dessen Weigerung, seinem Herausforderer in einem Fernsehduell zu begegnen. Dieser Umstand wird von der Opposition als Feigheit und Mangel an Argumenten gewertet. Einmal verlor Tarlós die Nerven und beschimpfte den Fragesteller durch ein Megaphon – ein inzwischen vielgeteilter Clip im Netz.

Doch auch die Gegenseite geizt nicht mit skurrilen Aktionen. So plakatierte Fidelitas, die Jugendorganisation von Fidesz, die Oppositionskandidaten als Clowns und störte Karácsonys Veranstaltungen mit Zirkusmusik. Schließlich tauchte auch noch eine Audioaufnahme eines Privatgesprächs von Gergely Karácsony im Internet auf, in der er über Interna sprach und über die Kandidaten des eigenen Lagers lästerte – zwar kein Skandal, aber dennoch ziemlich peinlich.

Wahlkampf mit Scarlett Johansson

Selbst Hollywoodschauspieler werden gegen ihren Willen in den Wahlkampf eingespannt. So musste Scarlett Johansson dementieren, jemals für István Tarlós Wahlwerbung gemacht zu haben. Die Schauspielerin war für Dreharbeiten in Budapest gewesen und hatte dabei auch den amtierenden Bürgermeister getroffen. Ein regierungsnahes Boulevardblatt hatte daraufhin suggeriert, sie sei von dessen politischen Fähigkeiten ganz begeistert gewesen. Die Schauspielerin sagte dagegen, man habe lediglich Höflichkeiten ausgetauscht. Sie habe dabei angemerkt, wie schön die Stadt sei. 

Scarlett Johansson bei der Pressekonferenz zum Film Avengers
Instrumentalisiert: Hollywood-Star Scarlett Johansson soll von den politischen Fähigkeiten des amtierenden Budapester Oberbürgermeisters Tarlós begeistert sein. Bildrechte: imago images / APress

Offene Erpressung

Besonders bemerkenswert aber war der Auftritt des Leiters von Viktor Orbáns Staatskanzlei, Gergely Gulyás, der mitteilte, die bereits bewilligten Fördermittel für Stadtentwicklung würde die Regierung nur dann an die Hauptstadt ausschütten, wenn der von Orbán favorisierte Amtsinhaber wiedergewählt würde. Jeder andere Oberbürgermeister müsse neu verhandeln, so der Minister. Einer Umfrage zufolge rechnet einer Mehrheit der Budapester damit, dass Orbán die Hauptstadt mit Mittelentzug bestrafen wird, wenn sich die Wähler nicht seinem Willen beugen.

Gergely Gulyas
Klartext: Gergely Gulyás, Chef von Orbáns Staatskanzlei, lässt die Budapester wissen: Geld für die Stadt gibt es nur, wenn der amtierende Oberbürgermeister wiedergewählt wird. Bildrechte: imago/Pacific Press Agency

Sexvideos und Wählerbestechung

Doch nicht nur im Rennen um den Posten des Oberbürgermeisters wird mit harten Bandagen gekämpft. In Budapest durchsuchte die Polizei die Wahlkampfzentrale des Oppositionskandidaten András Pikó und beschlagnahmte die Computer. Der Vorwurf: seine Mitarbeiter würden illegal Daten sammeln. Die Ermittlungen wurden schnell wieder eingestellt. Pikó kandidiert für das Bürgermeistersamt im 8. Bezirk der Hauptstadt. Dem Oppositionskandidaten im 11. Budapester Bezirk werden in regierungsnahen Medien sexuelle Übergriffe vorgeworfen. Diese Vorwürfe sind noch ungeklärt. Vom unabhängigen, linksliberalen Bürgermeister von Budaörs kursiert derzeit erneut ein altbekanntes Video, das ihn beim außerehelichen, aber einvernehmlichen Sex mit einer Masseuse zeigt. Im Vergleich dazu nimmt es sich fast harmlos aus, dass in einigen Budapester Bezirken Pakete mit Lebensmitteln an Rentner verschenkt werden – inklusive Wahlempfehlung.

Derzeit zieht jedoch der Wahlkampf in Györ, einer Stadt mit rund 130.000 Einwohnern im Westen Ungarns, die meiste Aufmerksamkeit auf sich. Ein unbekannter Blogger, der sich "Advokat des Teufels" nennt, hat ein Video des Fidesz-Bürgermeisters Zsolt Berkai veröffentlicht, in dem dieser sich auf einer Jacht mit Prostituierten vergnügt. Doch der Sex ist dabei nur Nebensache, denn eigentlich geht es um Korruption. Der Blogger behauptet, als Anwalt zahlreiche schmutzige Geschäfte für Regierungspolitiker abgewickelt zu haben – auch für Bürgermeister Berkai. Ob es sich tatsächlich um einen Whistleblower handelt oder ob die Vorwürfe aus der Luft gegriffen sind, ist indes vollkommen unklar. Der Blog ist nicht mehr abrufbar.

Nachdem der Buergermeisterkandidat des Josephstadt, Andras Piko, von Fidesz und der Regierungspresse mit falschen Anschuldigungen angegriffen wurde, kommt es in der Prater utca zu einer Solidaritaetsdemo der vereinten Opposition
Solidaritätsbekundung: Nachdem der Bürgermeisterkandidat des 8. Bezirkes, András Pikó, von Fidesz und der Regierungspresse mit falschen Anschuldigungen angegriffen wurde, kommt es in der Prater utca zu einer Solidaritätsdemo der vereinten Opposition. Bildrechte: imago images/EST&OST

"Wir haben den Wahlkampf zerstört"

Inzwischen macht sich auch unter ungarischen Kommentatoren Resignation breit: So schrieb etwa der Chefredakteur des unabhängigen Internetportals Merce.hu, András Jámbor: "Gemeinsam haben wir den Wahlkampf zerstört." In dem durchaus selbstkritischen Kommentar beklagt er, dass die Schmutzkampagnen jeden politischen Inhalt überlagert hätten. Ob diese Resignation auch die Wähler erfasst hat, wird der Wahl-Sonntag zeigen. 

Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL FERNSEHEN | 15. März 2019 | 17:45 Uhr

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