Blick über die Prager Altstadt
Blick über die Prager Altstadt Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Tschechien Arbeitskräfte aus dem Westen für die boomende Wirtschaft

28. Mai 2019, 06:00 Uhr

Als unser Nachbarland Tschechien der EU beitrat, gab es Freude, doch es fielen auch Sätze wie: Jetzt kommen die Tschechen zu uns und nehmen uns die Arbeit weg. 15 Jahre später zeigt sich: Diese Sorge war unbegründet. In Tschechien ist die Arbeitslosenquote nämlich so niedrig wie sonst nirgendwo in der EU. Inzwischen gehen Tschechien zunehmend die Fachkräfte aus. Und so muss sich das Wirtschaftswunderland nun sogar Verstärkung aus dem "Westen" holen.

Ein ruhiges Wohnviertel im Zentrum von Prag. Hier lebt Elisa Barbagelata. Die 26-jährige Italienerin hat in Genua Architektur studiert, anschließend ein Praktikum in Prag gemacht und sich dann entschieden, in der tschechischen Metropole zu bleiben. Das ist nun fast zwei Jahre her. "Meine Freunde waren ziemlich überrascht", sagt Elisa Barbagelata. "Die haben alle gesagt: Klar, Prag ist schön, aber willst du da wirklich leben?! Viele meiner Freunde sind nach London, Rotterdam und Kopenhagen gegangen."

Vollbeschäftigung in Tschechien

In Italien hat Elisa keinen Job gefunden. Im Wirtschaftswunderland Tschechien hingegen war das kein größeres Problem, denn dort herrscht seit Jahren beinahe Vollbeschäftigung. Mit knapp drei Prozent hat das Land die niedrigste Arbeitslosenquote in der gesamten EU. Lediglich 320.000 offene Stellen gibt es momentan in Tschechien. Um die wenigen noch verfügbaren Arbeitskräfte liefern sich die Firmen nicht selten harte Kämpfe. Mit allerlei Vorteilen, in Tschechien "benefity" genannt, versuchen sie, Arbeitskräfte in ihr Unternehmen zu locken. Viele Firmen sehen sich sogar direkt im europäischen Ausland nach Mitarbeitern um - vor allem im Westen. Mittlerweile arbeiten rund 3.500 Italiener, 1.900 Spanier und 1.000 Griechen in Tschechien.

Elisa, Architektin aus Italien, sitzt an ihrem Computer
Die aus Italien stammende Architektin Elisa Barbagelata in ihrem Prager Büro Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

In der gesamten EU werden Mitarbeiter gesucht

Elisa Barbagelata ist bei einem renommierten internationalen Architekturbüro in Prag beschäftigt. Viele ihrer Kollegen kommen ebenfalls aus dem europäischen Ausland, vorwiegend aus Westeuropa. Aber es fehlen immer noch Mitarbeiter. Der Arbeitskräftemangel ist tatsächlich ein großes Problem für die tschechische Wirtschaft. "Wir sehen das auch bei unseren Partnern – an Ingenieuren und Konstrukteuren herrscht großer Mangel", erläutert Viktorie Součková, die Chefin des Architekturbüros. "Und so verschieben sich halt immer wieder Termine. Manche Arbeiten werden eben nicht im nächsten Monat realisiert, sondern erst in einem halben Jahr. Überall fehlen Leute."

Einziger Nachteil: fehlende Tschechisch-Kenntnisse

Der einzige Nachteil an den "Gastarbeitern" aus dem Westen sind deren meist fehlende Sprachkenntnisse. Auch Elisa Barbagelata spricht noch kein Tschechisch. Sie kann weder mit den Kunden noch mit den Ingenieuren und Arbeitern auf den Baustellen ihres Architekturbüros auf Tschechisch kommunizieren. Die Arbeit macht ihr dennoch Spaß. Und nicht nur das: "Ich kann hier definitiv mehr Geld verdienen als in Italien. Die Bezahlung ist gut. Ich kann hier unabhängig leben und muss meine Eltern nicht um Unterstützung bitten. Darüber bin ich froh."

Die Wirtschaft wächst weiter

Drei Frauen sitzen in Biergarten und blicken über Prag
Elisa Barbagelata mit Freundinnen in einem Prager Ausflugslokal Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Die tschechische Wirtschaft wächst ungebrochen weiter, denn das Land war und ist sehr attraktiv für Investoren. "Tschechien liegt zentral, nah an Deutschland und den europäischen Schlüsselmärkten", erklärt die Wirtschaftswissenschaftlerin Helena Horská, Chefvolkswirtin der Raiffeisenbank in Prag. "Hier gibt es gut ausgebildete Leute, die flexibel sind und nach wie vor relativ wenig verdienen." Der durchschnittliche Bruttoverdienst liegt in Tschechien trotz boomender Wirtschaft nur bei etwa 1.200 Euro, in Deutschland ist er immerhin fast dreimal so hoch.

Elisa Barbagelata will in Tschechien bleiben

So wie es im Augenblick aussieht, wird sich am Fachkräftemangel in Tschechien so schnell nichts ändern. Ganz im Gegenteil. Für die Italienerin Elisa Barbagelata ist das eine durchaus hoffnungsfrohe Nachricht. Denn trotz Verständigungsschwierigkeiten und einem ab und an aufkommenden Heimweh - sie will auch weiterhin in Tschechien arbeiten und leben.

Über dieses Thema berichtete der MDR im TV auch in "Aktuell" | 24.05.2019 | 17.45 Uhr

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