Russland Kommunalwahlen in Russland werden zum Politikum
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16. Juli 2019, 16:56 Uhr
In Moskau geraten die anstehenden Kommunal- und Regionalwahlen zum landesweiten Skandal. Weil Oppositionelle wie Ilja Jaschin oder Ljubow Sobol ausgeschlossen werden, gehen Menschen auf die Straße. Längst sind die Wahlen ein Politikum geworden, auf Unterschriftenlisten tauchten etwa Verstorbene auf. Bei den Regional-Wahlen im Herbst 2017 musste die Partei Geeintes Russland noch empfindliche Niederlagen hinnehmen.
Ilja Jaschin steht vor einer aufgebrachten Menge auf dem Trubnaja Platz mitten im Moskauer Stadtzentrum. Eigentlich ist der Oppositionelle Vorsitzender eines Bezirksparlamentes in der Hauptstadt, er trägt Anzug und Krawatte. Doch heute ist er wütend. "Wir müssen uns wehren", schreit er in die Menge. Kurz zuvor hatte ihm das Moskauer Wahlkomitee die Zulassung zur Wahl ins Moskauer Stadtparlament verweigert. Offizielle Begründung: Ein Teil der etwa 5.000 Unterschriften von Unterstützern, die für seine Kandidatur notwendig sind, seien ungültig. Dabei hatte ihm vor einigen Wochen das unabhängige Levada-Institut die besten Umfragewerte in seinem Wahlkreis attestiert. "Wir müssen zurückschlagen", ruft Jaschin. Und: "Es ist mehr als eine Wahl. Es geht darum wie unsere Stadt und unser Land sein werden."
Tatsächlich sind die Kommunal- und Regionalwahlen, die in Russland am achten September stattfinden, längst zum Politikum geworden. Dann werden in 18 Regionen neue Gouverneure und in 13 Regionen, darunter die Hauptstadt Moskau, neue Parlamente gewählt. In Sankt Petersburg, der zweitgrößten Stadt Russlands, werden zudem die Bezirksparlamente neu gewählt. Vor allem in Moskau soll nun offenbar aus Sicht des Kremls die Teilnahme all zu kritischer Konkurrenten verhindert werden. Neben Ilja Jaschin wurde etwa auch Ljubow Sobol von der Wahl ausgeschlossen. Sie ist eine Mitstreiterin des Regimekritikers Alexej Nawalny. Auch bei ihr sollen zu viele der Unterstützerunterschriften ungültig sein. Das gleiche Problem hatte auch der Oppositionelle und ehemalige Duma-Abgeordnete Dmitrij Gudkow. "Die Mitglieder der Prüfkommission tragen unsere Unterschriften absichtlich mit Fehlern ins System ein, damit diese später nicht mit den Datenbanken des Innenministeriums und den Wählerlisten übereinstimmen", erklärte später Gudkow auf seinem Facebook-Profil.
Verstorbene auf Unterschriftenlisten
Die Wahlkommission erklärte später, in den Unterschriftenlisten tauchten längst verstorbene Menschen auf, zudem seien einige Unterschriften gefälscht. Daran änderte nichts, dass später viele Unterstützer der Opposition öffentlich erklärten, es handele sich tatsächlich um ihre eigene Signatur. Unabhängige Beobachter sehen dies vor allem als absichtliche Schikane. "Die Abwesenheit von harten Kritikern des Regimes im legalen politischen Feld ist ein Eckstein des Systems. Deswegen kann das Regime es sich nicht leisten, Anhänger von Nawalny ins Moskauer Stadtparlament zu lassen", meint etwa Abbas Gallyamow, Politikexperte und einstiger Redenschreiber von Wladimir Putin. Sobol, Jaschin und Gudkow könnten ein Vorbild sein, wenn andere sehen würden, dass man Putin kritisieren darf, ohne an den politischen Rand gedrängt zu werden. "In ein paar Jahren würde das Tabu der Putin-Kritik verschwinden", sagt Gallyamow.
Niederlagen bei Gouverneurswahlen
Dabei haben die Machthaber offenbar aus vergangenen Niederlagen gelernt. Ausgerechnet bei Regional-Wahlen musste der Kreml empfindliche Niederlagen hinnehmen, etwa im vergangenen Herbst, als in gleich vier Regionen Putins Kandidaten bei Gouverneurswahlen Niederlagen einfuhren. 2017 in Moskau holte die oppositionelle Jabloko-Partei mit 176 von 1502 Mandaten die zweitmeisten Sitze hinter der Partei Einiges Russland. Auch Ilja Jaschin zog damals ins Bezirksparlament ein und wurde zum Vorsitzenden gewählt. Nun will der 36-Jährige für seine Rechte weiter kämpfen. Er rief dazu auf, so lange auf die Straße zu gehen, bis sein Wahlausschluss zurückgenommen wird.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 13. Juli 2019 | 14:30 Uhr