Digitalisierung 2019 Bit für Bit

28. Dezember 2020, 15:30 Uhr

Deutschland bleibt auch über das Jahr 2019 hinaus Entwicklungsland in Sachen Digitalisierung. Die Bundesregierung hat allerdings etliche Vorhaben auf den Weg gebracht und stellt Milliarden dafür bereit. Zugleich setzt die Digitalisierung Unternehmen und Arbeitnehmer zunehmend unter Druck.

Der mangelhafte Fortschritt Deutschlands bei der Digitalisierung lässt sich auch mit Humor nehmen. Auf diese Weise reagierte zumindest die Netzgemeinde im November anlässlich der Digitalklausur der Bundesregierung.  Für Erheiterung bei Twitter und Facebook sorgte eine Schalte der "Tagesschau" zum Thema Funklöcher – die dann offenbar ausgerechnet wegen eines Funklochs abbrach.

Deutschland fällt bei Digitalisierung zurück

Die Symbolkraft ist nicht von der Hand zu weisen. Denn weder beim Ausbau des Mobilfunknetzes noch bei vielen anderen Themen der Digitalisierung kommt Deutschland zügig voran – und da bildet auch das Jahr 2019 keine Ausnahme.

Vor dem Hintergrund der Digitalklausur las unter anderem der Digitalverband Bitkom der Bundesregierung die Leviten. Deutschland falle im internationalen Vergleich immer weiter zurück, erklärte der Verband und verwies etwa auf den Digitalindex der EU, in dem Deutschland nur noch auf Rang 12 der 28 Mitgliedsstaaten liegt. Der Appell von Bitkom:

Statt immerzu Risiken herbeizureden, müssen die Chancen viel stärker erkannt und konsequent genutzt werden. Statt zu diskutieren, müssen wir endlich machen, und das schnell.

Branchenverband Bitkom

Milliarden für den Mobilfunk und schnelles Internet

Die berechtigte Kritik von Bürgern, Verbänden und Opposition täuscht allerdings darüber hinweg, dass die Bundesregierung im Jahr 2019 bei der Digitalisierung auch vieles angeschoben hat. Es geht durchaus voran - Bit für Bit gewissermaßen.

Auf dem genannten Digitalgipfel beschloss die Regierung unter anderem, in den nächsten fünf Jahren 1,1 Milliarden Euro auszugeben, um "weiße Flecken" bei der Mobilfunkversorgung zu schließen. Kanzleramtsminister Helge Braun (CDU) versprach, dass es in den kommenden zwei Jahren überall in Deutschland Empfang auf LTE-Niveau (4G) geben werde. Für flächendeckendes schnelles Internet plant das Bundesverkehrsministerium derzeit ebenfalls weitere Ausgaben in Höhe von über einer Milliarde Euro.

Ein Mann und eine Frau vor einem Computer 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Beschlüsse und Geld allein führen aber noch nicht zum Erfolg, wie etwa der stellvertretene Fraktionschef der Grünen im Bundestag, Oliver Krischer, im November kritisierte:

Bei der digitalen Infrastruktur schimmeln bereits jetzt viele Milliarden Euro im Haushalt vor sich hin, weil sie vor Ort nicht abgerufen werden.

Oliver Krischer, Grüne Stellv. Fraktionschef im Bundestag

Grund dafür sind wiederum komplizierte Antrags- und Genehmigungsverfahren sowie der anhaltenden Bauboom, wodurch die Baufirmen keine Kapazitäten mehr haben.

Außerdem könnte die Bundesregierung noch weit mehr Geld bereitstellen. Denn allein die Versteigerung der 5G-Lizenzen in diesem Jahr spülte rund 6,5 Milliarden Euro in die Staatskasse. Die Telefonunternehmen beklagten hinterher, dass gerade diese hohen Anfangskosten die notwendigen Investitionen in den Ausbau erschwerten.

Digitalpakt Schule

Der gute Wille der Regierung ist indes auch im Bildungsbereich erkennbar. Ende Februar machten Bundestag und Bundesrat den Weg frei für den Digitalpakt Schule. Um die Digitalisierung an Deutschlands Schulen zu fördern, war eigens eine Grundgesetzänderung nötig.

Der Digitalpakt sieht unter anderem vor, die Schulen mit WLAN auszurüsten. Außerdem sollen Lehrer und Schüler interaktive Tafeln, Laptops und Lernprogramme bekommen. Über fünf Milliarden Euro geben Bund und Länder dafür bis 2022 aus.

Wie nötig die Investitionen sind, zeigte im April eine Studie des Meinungsforschungsinstituts Forsa im Auftrag des Verbands Bildung und Erziehung (VBE). So gibt es nach einer Umfrage unter Schulleitungen nur in rund jeder dritten Schule in allen Klassen- und Fachräumen Zugang zu schnellem Internet und WLAN. Nur jede dritte Schulleitung gab an, dass es mindestens einen Klassensatz an digitalen Endgeräten wie Tablets für die Schüler gibt.

Gesundheits-Apps auf Rezept und elektronische Patientenakte

Tempo bei der Digitalisierung macht die Bundesregierung außerdem im Gesundheitsbereich. Im November beschloss der Bundestag das "Digitale-Versorgung-Gesetz" von Gesundheitsminister Jens Spahn (CDU). Als weltweit erster Staat führt Deutschland damit zum 1. Januar 2020 Gesundheits-Apps auf Rezept ein. Patienten können demnach auf Kosten ihrer Krankenkasse gesundheitsbezogene Apps für ihr Smartphone erhalten und Angebote zu Online-Sprechstunden nutzen.

Bereits im März beschlossen wurde zudem die Einführung einer elektronischen Patientenakte zum 1. Januar 2021. In der Akte sollen alle Informationen von Patienten von unterschiedlichen Ärzten und Behandlungen gebündelt werden. Konkret geht es etwa um Medikationspläne, Laborwerte oder andere Befunde. Wie beim kompletten Vorhaben der elektronischen Gesundheitskarte, zeichnen sich aber auch hier Hindernisse und Verzögerungen ab.

Zukunftsmusik ist auch noch die Abschaffung des "Gelben Scheins". Allerdings stellte Wirtschaftsminister Peter Altmaier (CDU) im September tatsächlich in Aussicht, dass die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom Arzt in Zukunft digital ausgestellt werden könnte. Patienten sollen die Bescheinigungen demnach nicht mehr in Papierform an den Arbeitgeber übergeben. Stattdessen soll ein digitales Melderegister aufgebaut werden. Bislang gibt es dazu aber lediglich einen Gesetzentwurf, noch keinen Kabinettsbeschluss.

Weiter Weg zur digitalen Verwaltung

Ohnehin ist es beim Thema Digitalisierung oft ein langer Weg von der Idee zur Umsetzung. Das gilt insbesondere für die Digitalisierung der Verwaltung. In internationalen Vergleichen schneidet Deutschland dort inzwischen besonders schlecht ab – obwohl den Bürgern immer wieder versprochen wird, Behördengänge online zu ermöglichen.

Zuletzt setzten sich Bund, Länder und Kommunen im November 2018 das Ziel, bis 2022 genau 575 Verwaltungsleistungen digital anzubieten - vom Antrag für einen Personalausweis bis hin etwa zum Antrag für Elterngeld. Entsprechende Anwendungen werden derzeit in bundesweit etwa 30 Digitallaboren entwickelt. Vielerorts stehen die Kommunen aber noch ganz am Anfang.

Bereits zum 1. Oktober 2019 sollte es bundesweit möglich sein, die Kfz-Zulassung online zu beantragen. Auch dabei kam es jedoch zu Verzögerungen, zum Beispiel in Sachsen.

Führerlose Züge, fliegende Taxis

Ungeachtet der politischen Entwicklung treiben inzwischen viele Unternehmen digitale Projekte voran. Dafür gibt es zahllose Beispiele, etwa aus dem Verkehrsbereich. Aufsehen erregte zum Beispiel im September der erste ferngesteuerte Zug auf Basis des neuen 5G-Mobilfunkstandards im Erzgebirge. Ebenfalls im September flog in Stuttgart erstmals ein Flugtaxi, ein Volocopter, über einer deutschen Innenstadt. Und auch die Forschung am autonomen Fahren hat 2019 einen Gang hochgeschaltet.

Apps für alle Fälle

Digitale Innovationen kamen darüber hinaus häufig in Form von Apps für das Smartphone auf den Markt. Die thematische Bandbreite ist dabei enorm:  Bäckereien, Lebensmittelgeschäfte und Restaurants geben über die App "Too Good to Go" günstig Lebensmittel ab, die zu gut für die Tonne sind; die Bundespolizei feiert in Sachsen-Anhalt Dank einer App mehr Fahndungserfolge; weitere Apps helfen bei der Parkplatzsuche oder erleichtern die Bezahlung im öffentlichen Nahverkehr; andere Programme bieten Unterstützung bei Ohrenschmerzen oder für Blinde und Sehbehinderte. Männer sollen künftig sogar die Qualität ihres Spermas selbst mit dem Handy testen können. Kein Wunder, dass sich der Handy-Daumen inzwischen zur Zivilisationskrankheit entwickelt.

Steigender Druck im Berufsleben

Solche App-Angebote mögen viele für Spielereien halten, die sie selbst gar nicht nutzen. Doch insgesamt wirkt sich die Digitalisierung zunehmend auf den Alltag aus, vor allem auf das Berufsleben.

Beispielsweise verspüren viele Menschen einen zunehmenden Druck am Arbeitsplatz. In einer im September veröffentlichten Studie der Universität Augsburg gab jeder dritte Arbeitnehmer an, sich durch die zunehmende Digitalisierung am Arbeitsplatz stark bis sehr stark belastet zu fühlen. Zu den Belastungsfaktoren gehören demnach unter anderem das Gefühl ständiger Erreichbarkeit und Auflösung der Grenzen zwischen Arbeits- und Privatleben. Für die repräsentative Untersuchung wurden mehr als 5.000 Erwerbstätige befragt.

Zugleich stellen die Unternehmen selbst einen wachsenden Wettbewerbsdruck durch die Digitalisierung fest. So sagten in einer Umfrage von Bitkom aus April zwei Drittel der Unternehmen ab 20 Mitarbeitern aus allen Branchen, dass IT- und Internet-Unternehmen in ihren Markt drängen. Unternehmen anderer Branchen werden durch die Digitalisierung plötzlich zu direkten Wettbewerbern – das erleben 60 Prozent der Unternehmen. Und 42 Prozent der Firmen räumten ein, dass ihnen Wettbewerber aus der eigenen Branche, die frühzeitig auf Digitalisierung gesetzt haben, nun voraus sind. Auch diese Umfrage unter 606 Unternehmen ist repräsentativ.

Onlinehandel wächst weiter stark

Auf der anderen Seite tragen die Verbraucher in Deutschland selbst zum Siegeszug der Digitalisierung bei. So sagte eine Prognose dem Onlinehandel für 2019 ein Wachstum um knapp neun Prozent voraus. Wie das Kölner Institut für Handelsforschung (IFH) für den "Branchenreport Onlinehandel" errechnete, werden die Bundesbürger Ende 2019 rund 68 Milliarden Euro für Einkäufe im Internet ausgegeben haben. Wachstumstreiber seien dabei vor allem Konsumgüter, aber auch die Bereiche Heimwerken und Garten sowie Wohnen und Einrichten. Zudem floriere das Geschäft mit Fahrrädern im Internet mit Wachstumsraten von mehr als 20 Prozent.

Gleichzeitig schrecken die Verbraucher auch vor umstrittenen Angeboten nicht zurück, deren Geschäftsmodell auf dem Sammeln von Daten beruht. Die Deutschen sind weiterhin in großer Zahl in sozialen Netzwerken aktiv. Und: Laut einer Studie der Postbank nutzt jeder Dritte hierzulande Sprachassistenten von Apple, Google oder Amazon - im Vergleich zu 2018 sei das ein Anstieg um zwölf Prozentpunkte. Gerade bei den Jüngeren im Alter unter 40 Jahren spreche demnach fast jeder Zweite (48 Prozent) mit Siri, Googles Assistant oder mit Alexa.

3 Kommentare

Hobbykicker am 23.12.2019

Es wird Zeit das die Welt komplett digitalisiert ist. Dann sollte wir den Höhepunkt der menschlichen Entwicklung erreicht haben. Die Maya lassen grüßen!

Hans Frieder leistner am 23.12.2019

Es fehlen im Bereich Digitalisierung über 100000 echte Fachleute, die nicht nur ein Programm zusammenbasteln können sondern den Herausforderungen für die Zukunft gewachsen sind. Den jetzigen selbständigen Fachleiten wollte die letzte Ministerin für Arbeit die Selbständigkeit noch aberkennen, sodaß viele Verträge mit Unternehmen wegfielen. Dann wundert sich die Regierung, wenn wir immer weiter zurückfallen.
Das Digitalpaket für die Schulen ist eine Luftnummer. Solange keine Lehrer speziell dafür ausgebildet sind wird es keinen brauchbaren Erfolg geben. Aber das ist in den anderen Schulfächern ja auch so.

August am 23.12.2019

Auch im Umgang mit der Digitalisierung sind wir Entwicklungsland. Wir wollen das die Technik uns alles Erleichtert einschliesslich Arbeitsplatz. Neben dem Autowahn nun auch noch Vorsprung durch Digitalisierung in allen Lebenslagen. Wenn der Stom flächendeckend ausfällt sind wir in der Steinzeit weil wir unser Wissen nicht abrufen können. Wir unterhalten uns per Smartphone auch wenn wir uns gegenüberstehen und schicken uns Sprachnachichten. Und das herannahende Ende unserer Welt wie wir sie kennen verfolgen wir in 8k in Echtzeit per Webcam im Auto wenn wir mit 250 über die Autobahn Brettern mit dem Esjuwie wo die Digitalisierung für den Besten Kompfort sorgt.

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