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MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche (Folge 67)Gas als Waffe – Wie sich Deutschland von Putin abhängig machteAudiotranskription

Viele Deutsche haben Angst vor einem harten Winter. Wer kann sich Gas und Energie noch leisten? Hauptursache ist die über Jahrzehnte gewachsene Abhängigkeit von russischem Erdgas. Warum ignorierten Wirtschaft und Politiker die damit einhergehenden Gefahren?

Esther Stephan (ES): Der Krieg in der Ukraine hat hierzulande die Gaspreise explodieren lassen. Putin nutzt die Abhängigkeit des Westens und vor allem Deutschlands als Waffe. Dabei hat es schon lange Warnungen gegeben, sich nicht einseitig und übermäßig von Russland abhängig zu machen. Doch über viele Jahre – nicht erst seit der Anexxion der Krim 2014 – haben politische Entscheider*innen und Wirtschaftsbosse offenbar nur das bis dahin billige Gas gesehen. Und alles andere – inklusive Russlands teilweise ganz offenbare Vorbereitung eines Krieges ignoriert oder übersehen. Die Rechnung dieser Politik und der wirtschaftlichen Entscheidungen zahlen wir jetzt heute alle.

Sie hören den Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Und wir sprechen hier mit Journalist*innen über ihre Recherchen. Es geht um das Thema, und es geht darum, welche Erfahrungen die Journalist*innen während der Dreharbeiten gemacht haben. Ich bin Esther Stephan und ich arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks.

Martin Kraushaar, Eva Simon Arndt Ginzel und Inga Klees haben sich für MDR Investigativ auf eine Spurensuche begeben, um mehr über die deutsche Abhängigkeit vom russischen Gas herauszufinden. Und mit Inga Klees und Martin Kraushaar spreche ich jetzt. Hallo Inga!

Inga Klees (IK): Hallo Esther.

ES: Und Hallo Martin!

Martin Kraushaar (MK): Hallo Esther!

ES: Wir sitzen jetzt heute hier nur zu dritt, weil der Arndt ja schon wieder unterwegs ist, ne?

MK: Ja, Arndt wäre gern hier gewesen, aber kurzfristig ist leider ein Drehtermin in Osteuropa zustande gekommen. Und ja, er ist jetzt schon auf dem Weg zum Flughafen.

ES: Okay, dann lasst uns trotzdem mal direkt ins Thema einsteigen. Hier in Deutschland fing so die Diskussion kurz nach dem russischen Überfall auf die Ukraine an. Da haben wir gemerkt, dass wir irgendwie total viel über russisches Gas gesprochen haben, weil das ja auch total viel Nachrichtenwert hat. Also das ist aktuell, das betrifft uns jetzt gerade. Man kann dann jetzt gerade auch auf sämtlichen Websites verfolgen, wie voll die Gasspeicher sind. Da gibt es ja so richtige Ticker. Und alle sollen gerade, das merken wir, an Gas sparen. Aber ihr habt ja schon länger angefangen, für diesen Film zu recherchieren. Wie beginnt man da?

IK: Das war eigentlich ein Zufall. Wir haben vor 14 Jahren - und das muss man echt betonen - vor 14 Jahren, 2008 im Sommer, einen Bericht gemacht über die potenzielle Abhängigkeit Deutschlands und auch der Europäischen Union von Putins Gas. Und das war total erstaunlich. Ich habe mir zufällig den Text noch mal vom Sommer 2008 rausgezogen, und das war wie eine... Es ist alles eingetreten, was wir damals an Problemen vorhergesagt haben. Nämlich diese starke, zu starke Abhängigkeit von russischen Gaslieferungen. Und das ist eingetreten. Und wir hatten damals Alexander Graf Lambsdorff, der war da noch Europa-Parlamentarier, zu dem Thema befragt, und er sagte einen ganz, ganz entscheidenden Satz. Nämlich, dass es sein könne, was er nicht beschwören wollte, dass wir tatsächlich mal in eine Abhängigkeit von russischem Gas kämen und uns der Gashahn abgestellt werden könnte.

ES: Wir können auch noch einmal kurz in diesen Film von damals reinhören:

Es ist immer gefährlich, von einem Monopolisten abhängig zu sein bei einem Produkt, das man existenziell braucht. Das ist ganz klar, denn wer weiß, ob wir nicht irgendwann auch mal einen Konflikt mit Russland haben. Ich will ihn nicht heraufbeschwören. Nur ausschließen kann man es eben auch nicht. Und dann sitzen wir da mit unserer Abhängigkeit von Gazprom und der Gashahn geht zu.

Alexander Graf Lambsdorff:

IK: Ja und daran anschließend war natürlich irgendwie klar, dass wir gesagt haben: das ist ein ist ein Thema, was wir aufarbeiten sollten. Und was eben halt eine extrem lange Vorgeschichte hat. Und die reicht noch ein bisschen mehr als sie 14 Jahre zurück.

ES: Euer Film, der übrigens bei Fakt in der ARD unter dem Titel "Gas als Waffe - wie sich Deutschland von Putin abhängig machte", gelaufen ist, der stellt die Frage: warum sind wir abhängig von russischem Gas? Und vielleicht können wir das noch mal von ganz hinten aufrollen? Kannst du, Inga, vielleicht ganz kurz sagen, wie das passieren konnte?

IK: Naja, es ist letztlich so gewesen, dass die deutsche Industrie abhängig, also in Deutschland gab es einen großen Monopolisten, der hat die Gaspreise bestimmt. Und die chemische Industrie braucht ja sehr viel Gas, allen voran BASF und BASF Wintershall in dem Zusammenhang. Und die haben 1990 gesagt, oder da gab es das Angebot, und haben überlegt: okay, wir könnten ja mit Gazprom zusammenarbeiten. Damit bekommen wir billigeres Gas als das, was in Deutschland bislang bezahlt werden musste für Gas. Und wenn also so ein Riese wie die BASF mit ihrer Tochtergesellschaft Wintershall in so ein Geschäft einsteigt, war für die ziemlich klar, dass es sehr lohnenswert werden würde und dass man dadurch eben halt sehr günstig an Primärenergie kommen kann. Und damit eben halt auch günstiger herstellen kann. Und im globalen Wettbewerb also einfach ja da gut mit standhalten kann und auch gute Gewinne machen kann. Das war so ein Geschäft auf Gegenseitigkeit. Für beide also. Die Russen konnten damit große Mengen an Gas, also quasi an die größte Wirtschaftsmacht in Europa liefern. Und die BASF konnte sehr viel billiger produzieren.

ES: Wie ist das denn bei deinen Recherchen gewesen? Also die Industrie hat da eben einen großen Bedarf unter hat da eben auch einen Vorteil, und das ist eben nicht nur einseitig von Russland aus. Reden die Unternehmen darüber, wenn ihr die jetzt als Journalist*innen anfragt?

IK: Ja, also, ich war sehr erstaunt. Das war tatsächlich so. Ich habe eine mehrere Seiten lange Anfrage an die BASF Wintershall gestellt, und die haben auch geantwortet. Sie haben nicht alle Fragen beantwortet, aber doch, also im Zusammenhang wesentliche Sachen gesagt, ja. Und da muss man sagen, das war eine rühmliche Ausnahme von vielen, vielen Politikern und auch Organisationen, die wir angefragt haben, von denen sich viele, sehr viel muss man sogar sagen, nicht geäußert habe.

ES: Wie ist denn jetzt so eure Einschätzung nach dieser langen Recherche. Aus russischer Perspektive, wurde diese Abhängigkeit da eigentlich absichtlich geschaffen? Oder ist es, quasi in Anführungszeichen, "einfach so passiert"?

IK: Nein, einfach so passiert, glaube ich, ist es nicht. Also ich glaube schon, dass da auch immer eine geostrategische Komponente mit rein gespielt hat. Und das im Prinzip, wir haben ja das erste Mal, wenn ich es richtig weiß, in Erinnerung habe, im Winter 2005, 2006 ja schon mal erlebt, dass also Russland damit gedroht, also der Ukraine explizit gedroht hat, ihnen das Gas abzustellen. Und es hat tatsächlich auch für wenige Tage stattgefunden. Und 2009 hat sich diese Situation dann in einem besonders kalten Winter mit minus 25 Grad dann noch einmal wiederholt. Das heißt also, man hätte darauf kommen können, dass russische Gaslieferungen auch politisch und strategisch eingesetzt werden können. Und das waren eben halt auch die Befürchtungen der Politiker und auch Wissenschaftler, mit denen wir damals 2008 schon gesprochen haben. Und da war es eben halt so, dass zum Beispiel Frank Umbach, der ist Experte für Energiepolitik und auch für geostrategische Fragen und besonders guter Russland-Kenner, der hat damals schon gesagt: na ja, wir werden vielleicht bis zu einer Abhängigkeit von 60 Prozent kommen. Das haben wir nicht ganz erreicht. Wir sind dann im Sommer 2022 bei 55 Prozent. Aber sehr nah dran dann gelegen. Und das sind eben halt diese Prognosen, die damals schon gemacht worden sind: Macht euch nicht zu abhängig von russischen Gaslieferungen! Fangt an, mehr zu diversifizieren. Und diese Strategie ist im Prinzip auf EU Seiten, ist die ab 2000, spätestens ab 2009, erfolgt. Aber Deutschland hat alle diese Warnungen von vor allen den osteuropäischen Staaten gekommen sind, einfach in den Wind geschlagen. Also letztlich ging es wirklich um Profit und es ging eben halt darum, den Wirtschaftsstandort Deutschlands, ich sage jetzt mal böse, auf Teufel komm raus zu verteidigen und ja, einfach einen Vorteil zu haben. Und deswegen also einseitig, immer fokussiert auf Russland diese Gaslieferungen laufen zu lassen und eben halt auch die Nord Stream 1 und später die Nord Stream 2 zu bauen.

MK: Genau darum geht es ja auch, sage ich mal, wenn man jetzt die Sache hier wurde immer gesagt: In Deutschland, das ist eine rein privatwirtschaftliche Angelegenheit. Das hat nichts Politisches an sich. Und in Russland hat man das eigentlich ganz anders gesehen. Also es gibt da ein schönes Beispiel. Arndt hatte den Naftogaz-Chef also den Chef des ukrainischen Gasunternehmens interviewt, und er hat das eigentlich ganz simpel erklärt: Also wenn ich in Deutschland mit jemandem über Gaslieferungen verhandele, dann verhandele ich mit Managern. Wenn ich in Russland mit jemandem über Gaslieferungen verhandele, dann verhandele ich mit Wladimir Putin. Und daran sieht man den Unterschied oder den Stellenwert, den das eingenommen hat für Russland. Für Russland, glaube ich, war es immer ein strategisches Projekt. Inwiefern man es schon früher als Waffe einsetzen wollte, das ist fraglich. Aber spätestens, sage ich mal, nach der Annexion der Krim muss man eigentlich davon ausgehen und hat sehr viel dafür gesprochen, dass Russland das strategisch einsetzt. Und das hat man hier lange Zeit nicht gesehen oder wollte es nicht sehen.

ES: Jetzt ist es hier so ein bisschen mehr in die Öffentlichkeit gerückt, eben durch den russischen Überfall auf die gesamte Ukraine im Februar 2022. Der Arndt, der war ja auch für diesen Film wieder in der Ukraine. Wie arbeitet ihr zwei denn eigentlich zusammen?

MK: Ja also in Grunde genommen ist Arndt noch kurz vor dem Krieg in die Ukraine gereist und wollte da über Freiwillige einen Beitrag machen. Und dann im Grunde genommen am 24., war er gerade in der Ostukraine und hat da eine achtundvierzigstündige Flucht wieder nach Deutschland mit vielen Problemen. Und das läuft so ab, dass ich hier versuche, alles Mögliche ihm abzunehmen, an Organisation. Und jetzt zum Beispiel, in dem Fall auch die Interviewpartner zu organisieren in der Ukraine. Ja, und so teilen wir uns dann die Arbeit.

ES: Über Arndts Flucht aus der Ukraine haben wir damals auch schon einen Podcast gemacht. Also den kann man sich auch immer noch anhören.

ES: Arndt konnte in der Ukraine Mychajlo Podoljak treffen. Das ist ein Berater von Wolodymyr Selenskyj. Ich kann mir vorstellen, dass es eben trotz seiner Kontakte gar nicht so einfach war, dieses Interview führen zu können. Wie habt ihr das gemacht?

MK: Ja, das sind schon sehr hochrangige Interviewpartner, die wir da bekommen haben. Wir arbeiten da natürlich mit ukrainischen Journalisten auch zusammen, die gewisse Verbindungen haben. Und so ist das zustande gekommen, also man arbeitet dann schon mit Kollegen zusammen in der Ukraine, die bessere Kontakte haben als wir. Und das Schwierige an der Ukraine-Reise, oder man muss schon sagen, das Gefährliche an der Ukraine-Reise war, wir wollten natürlich auch zeigen, dass Pipelines im Kriegsgebiet sind. Und auch diese strategische Bedeutung der Pipeline geben. Die Idee von Putin: naja, ich kann erst Krieg führen, wenn mein Gastransport nicht mehr gefährdet ist. Und das kann ich nun machen, indem ich mit Nord Stream 1 oder Nord Stream 2 diesen Weg umgehe. Und das wollten wir zeigen. Und da lief ja gerade in Charkiw, in der Region Charkiw, die große Offensive, die große Herbstoffensive. Und da muss man, das war das Schwierigste, da kann man sich im Grunde nur eine kurze Zeit lang in einer gewissen, einem gewissen Risiko aussetzen. Und da noch diese Bilder zu bekommen, das war schon eine große Leistung.

ES: Der Selenskyi-Berater Podoljak sagt ja im Interview, Russland nutze eben Gas, um auch andere in Europa unter Druck zu setzen.

Die Ukraine hatte im Gegensatz zur Europäischen Union mehr als zehn solcher Gaskriege mit der Russischen Föderation. Natürlich ist es eine Waffe, denn Russland ist ein Staat, der nur mit Erpressung und Druckmitteln arbeitet. Russland ist kein Land, das Geld in gutnachbarschaftliche Beziehungen investiert. Daher wurden die Nord-Stream-Pipeline sowie alle anderen Pipelines, die mit Russland in Verbindung stehen, natürlich dazu benutzt, Druck auf die Ukraine und jedes Land in Europa auszuüben.

Mychajlo Podoljak

ES: Muss man nach diesen Aussagen dementsprechend sagen, dass Deutschland sich auch erpressbar gemacht hat?

MK: Für uns ist die Sache klar und das im Grunde genommen sehenden Auges. Und es kommt ja auch in dem Film, glaube ich, auch gut zum Ausdruck. Wir hatten ja auch Merkel im O-Ton, in der Doku, damals auf der Sicherheitskonferenz, wo sie sagte: Also was habt ihr für ein Problem? So ungefähr. Wir haben doch zu Zeiten des Kalten Krieges auch schon Gas bekommen aus Russland. Oder damals aus der Sowjetunion. Und warum soll denn das heute anders sein? Wenn die Lage wesentlich entspannter ist.

Aber wenn wir im Kalten Krieg, als ich noch auf der DDR-Seite saß und sowieso russisches Gas bekommen habe, aber auch die alte Bundesrepublik russisches Gas in hohem Umfang eingeführt hat, dann weiß ich nicht, warum die Zeiten heute so viel schlechter sein sollen, dass wir nicht sagen: Russland bleibt ein Partner!

Angela Merkel

MK: Das ist halt eine sehr, sehr naive Herangehensweise. Wir haben sicherlich alle nicht mit dem Krieg gerechnet. Aber dass man strategisch vorsorgt für solche Fälle, das hat ja auch Alexander Graf Lambsdorff schon damals 2008 gesagt, sind die politischen Basics. Politiker denken strategisch, und ausgerechnet bei dieser Frage hat man das nicht gemacht. Also man hatte ja die Gaskriege 2005, 2006 in der Ukraine, da hätte man das sehen können. Und auch wir haben den Naftogaz-Chef Vitrenko im Film. Er hat ja immer mit den Politikern hier, auch mit Merkel, gesprochen und hat gesagt: Leute, es wird euch auch so gehen. Sie werden euch enttäuschen, irgendwann mal. Und insofern er muss man da schon einen großen Vorwurf auch an die Politik machen.

ES: Ja, andererseits erinnere ich mich, dass hier immer das Argument für den Bau von Nord Stream 2, zum Beispiel immer war: Der Atomausstieg ist beschlossen, wir wollen auch aus der Kohle raus, und die Erneuerbaren sind eben noch nicht weit genug ausgebaut. Und gerade deshalb halten wir jetzt erst mal an Gas als Brückentechnologie fest. Das ist ja immer so das Schlagwort der Brückentechnologie. Und ihr habt auch mit mehreren Leuten gesprochen, die euch gesagt haben, dass der Bau von Nord Stream 2 wirtschaftlich eigentlich überhaupt gar nicht sinnvoll war und deswegen eigentlich in der Konsequenz politisch sein musste. Beispielsweise, indem die Ukraine umgangen wurde. Hat das hier in Deutschland niemand wissen wollen? Oder wurde hier trotzdem einfach so daran festgehalten? Also das sind ja so diese beiden Argumente, die da nebeneinander stehen.

MK: Tja, das ist eine gute Frage. Hat es niemand wissen wollen? Ich würde mal sagen, bei Nord Stream 1 kann man das noch gelten lassen, dass man gerade für die Energiewende einen höheren Gasbedarf hatte. Bei Nord Stream 2 hat das schon nicht mehr gegolten. Da hätte man alles mit den bestehenden Pipelines, im Grunde und auch den erhöhten Bedarf, mit den bestehenden Pipeline decken können. Und insofern musste man, wie gesagt, wir sind ja hier keine Politiker. Aber von Politikern kann man das, glaube ich, als Bürger schon erwarten, dass er mal strategisch überlegt: Was könnte denn jetzt hier der Grund sein, wenn es wirtschaftlich keinen Sinn macht? Und wirtschaftlich hat es keinen Sinn ergeben. Weil, erstmal so ein Pipeline-Projekt unglaublich teuer ist. Also das sind wahnsinnig hohe Kosten. Und im Vergleich dazu hätte man ja den Gastransport durch das bestehende Pipelinenetz durchaus bewerkstelligen können.

IK: Man hätte es machen können. Man hätte das ja über die Transitleitung über die Ukraine, und es gibt noch andere Pipelines. Man hätte die Lieferung durchaus auch noch aufstocken können. Das Problem ist eben, dass ist so ein Prozess gewesen, wo Graf Lambsdorff auch zum Beispiel gesagt hat: Dass die Industrie, die ja auf diese Kooperation gesetzt hat und das Nord-Stream-Konsortium war ja mit fünf wichtigen europäischen, also zwei deutschen und drei weiteren europäischen großen Unternehmen besetzt und er sagt, also das war vor allen Dingen auf deutscher Seite. Man hat Geostrategie, also geostrategisch haben Unternehmen nicht gedacht. Für die ging es einfach um den Profit. Diese Komponente ist da gar nicht reingekommen. Und dann ist es so gewesen, das fängt schon 2012 an, dass sich dieses Geschäft dieses Gasgeschäft für BASF Wintershall, so wie es geplant war, nämlich, dass man Gasspeicher und auch die ganzen Pipelines und den Vertrieb zusammen mit Gazprom gemacht hat. Das Gasspeichergeschäft hat sich auf einmal nicht mehr gelohnt. Und auch dieses Vertriebsgeschäft hat sich auch nicht mehr gelohnt. Und dann ist es so gewesen, dass die gesagt haben: das rentiert sich nicht. Auf der anderen Seite Gazprom aber sehr stark an diesem Speichergeschäft interessiert war, sodass es da zu einem Tausch gekommen ist, der quasi eine Win-win-Situation für beide Seiten war. Sprich: man hat dann gesagt: Okay, BASF Wintershall bekommt große Anteile an einem Gasfeld in Sibirien, und dafür bekommt also quasi Gazprom den größten Speicher in Westeuropa noch, plus einen weiteren großen Speicher.

ES: Genau das ist der Speicher in Rehden, ne?

IK: Einmal der Speicher in Rehden ist der größte, wie gesagt, in Westeuropa. Dann noch den Speicher in Jemgum und auf österreichischer Seite den Speicher ein Haidach. Und der Speicher in Haidach beliefert zum Teil auch wiederum Deutschland. Also letztlich sind es drei große Speicher gewesen, die Gazprom über dieses Tauschgeschäft bekommen hat. So und dieses Tauschgeschäft hatte man eigentlich eingefädelt, 2012. Da stellte sich das schon so aus, dann hat es sich ein bisschen hingezogen, dann müssen ja auch also die Bundesregierung muss da schon auch mit zustimmen. Also so ganz ohne Regierung geht es dann da auch nicht. Und auch das Wirtschaftsministerium. Dann kam die Invasion der Russen auf der Krim. Und dann hat man gesagt: Jetzt stellen wir das mal ein bisschen zurück. Das ist jetzt politisch nicht gerade en vogue. Wenn wir genau in dieser Zeit dieses Speicher-Tauschgeschäft machen und 2015 als man, also ich sage jetzt mal, hier die Wirtschaftsinteressen, dann doch wieder stärker geworden sind und man das mit der Krim dann nicht mehr so gesehen hat, hat man dann dieses Geschäft durchgezogen. Und das ist eben halt die Voraussetzung dazu gewesen, dass letztlich Gazprom den Zugriff komplett auf diese Speicher hatte und sie dann letztlich dann auch strategisch leer laufen lassen kann. Und dann zu sagen, das ist letztlich, hat es dann auch was mit dem geplanten Kriegsbeginn mit der Ukraine zu tun.

ES: Habt ihr mit Gazprom darüber gesprochen?

IK: Wir haben versucht, mit Gazprom Germania in Kontakt zu kommen. Aber das erzählst du besser.

MK: Ja, wir haben sehr viele Anfragen, Interviewanfragen unter anderem, auch an Gazprom gestellt. Das ist aber alles abgelehnt worden. Das ist halt das Problem, wie Alexander Graf Lambsdorff das auch ausgedrückt hat: Die deutsche Wirtschaft ist erstaunlich unpolitisch, und die haben halt von Russland die Gasfelder bekommen. Daran waren sie interessiert, und mehr hat sie, glaube ich, auch nicht interessiert. Und in den Pipelinebau sind sie auch nur im Tausch mit Gasförderung eingestiegen, weil diese Pipeline war auch überhaupt nicht lukrativ. Das wollten die eigentlich gar nicht. Aber Russland brauchte den deutschen Partner, und daran sieht man das sehr schön, wie Russland das im Grunde auch ja fast alles gelenkt hat. Und auch auf dieses Unpolitische der deutschen Wirtschaft im Grunde auch gesetzt hat.

IK: Na ja, und dann gab es eben halt 2016 einen Vorfall, den sollte man nicht ganz unerwähnt lassen. Also es ist im Zusammenhang mit dem Bau von der Nord Stream 2 gewesen. Dort wurde, ähnlich wie bei der Nord Stream 1, eine Projektgesellschaft gegründet, an der fünf große europäische Energieunternehmen beteiligt waren. Darunter auch wieder BASF Wintershall. Die sind dann 2016 aus der Projektgesellschaft ausgestiegen, weil der Widerstand gegen die Nord Stream 2 in anderen europäischen Ländern und besonders Polen einfach sehr groß war. Und damit bestand Nord Stream 2 ganz einfach nur noch aus Gazprom. Und wenn sich dann eine Bundesregierung hinstellt und sagt: Das ist eine rein privatwirtschaftliche Angelegenheit mit einem Staatsunternehmen oder einem Unternehmen, an dem der russischen Staat mehrheitlich beteiligt ist, und letztlich der verlängerte Arm von Wladimir Putin ist, ist das also schon mehr als erstaunlich, dass nicht da alle, alle Alarmglocken geschrillt haben. Wo man sagt: okay, die Konzerne gehen raus. Wir haben wirklich den Monopolisten, und der ist der einzige, der dieses Projekt überhaupt noch befürwortet und weitertreiben will. Und damit weiter zusammenzuarbeiten, das ist schon… also, das ist für mich und auch für viele andere, auch Experten und auch Politiker vor allen Dingen also auch in Osteuropa, einfach politisches Versagen.

MK: Ich glaube, das hat der Frank Umbach sehr gutem in unserem Beitrag zusammengefasst. Also nicht nur, dass Russland am Anfang sich praktisch als potenzieller Lieferant etabliert hat. Sondern Russland hat dann auch noch die Kontrolle über die Leitung, die Gasleitung mit Nord Stream 2 gewonnen, hatte da schon ein unglaubliches Machtpotenzial. Und dann bekommen Sie auch noch die Speicher. Ein Großteil der Speicher und den größten Speicher, den Deutschland hat. Dass da niemand mal aufgewacht ist. Und sagt: jetzt haben wir aber wirklich strategische Nachteile im Fall der Fälle oder strategische Nachteile und im Fall der Fälle einen enormem Schaden. Also das ist schon nicht nur aus der Retrospektive mehr als kritikwürdig, sondern das verlangt man eigentlich von der Politik, dass sie strategisch denkt, auch außenpolitisch strategisch denkt: Wie ist meine Verhandlungsposition. Und dass das alles im Grunde genommen nicht beachtet worden ist, das ist schon ein großes Versagen.

IK: Es ist ja, das muss man ja sehen, solche Gasspeicher sind ja quasi eine nationale Sicherheit. Und die ist einfach aufgegeben worden. Also da hat man nicht mehr, hat man nicht mehr draufgeguckt. Das ist aber schon außerordentlich erstaunlich. Also, wir haben für alles mögliche strategische Reserven. Wir haben Öltanks gefüllt, wir haben Lebensmittel, strategische Reserven bei der Bundeswehr und was weiß ich überall eingelagert. Wir haben eine strategische Medikamentenreserve und bei so einem wirklich wichtigen Faktor wie Gas. Und ich sage jetzt mal warme Wohnung, weil wir zu einem hohen Anteil von Gas einfach abhängig sind, das außen vor zu lassen und das nicht mehr zu beachten, das ist schon…ja.

MK: Und trotz Warnungen aus Osteuropa, trotz Warnungen aus der Ukraine.

IK: Und der EU!

MK: Da muss muss man schon, also ich weiß gar nicht, wie man das… irgendwann wird es hoffentlich mal jemand erklären, wie man wirklich so naiv rangehen konnte.

IK: Und da kommt ja eigentlich der Sommer 2021 ins Spiel, wo die dann tatsächlich die Speicher nicht mehr gefüllt worden sind. Und da kommen ja dann auch irgendwann, haben wir uns gefragt: hey, wer ist denn da verantwortlich? Wir haben Geheimdienste, wir haben das Bundesamt für Verfassungsschutz, wir haben einen Bundesnachrichtendienst. Wir haben die Bundesnetzagentur, die da eben halt auch in einem hohen Maße verantwortlich ist. Und das war schon sehr erstaunlich. Also ihr habt das alles angefragt.

ES: Und was kam da raus?

MK: Da hat es auch keine Antworten gegeben. Und wir hatten dann auch gefragt, ob das eventuell noch staatsanwaltliche Ermittlungen gibt. Da gab es auch nur sehr vage Antworten, die nicht zitierfähig gewesen wären. Ja, das wird auch noch aufzuklären sein, wer da was gesehen hat und wie da auch Russland eingegriffen hat. Und es muss ja irgendwelche Anweisungen gegeben haben von Gazprom-Seite, das ist wirklich außergewöhnlich. Es ist kein Zufall. Und das wird spannend, noch.

ES: Nord Stream 2 ist jetzt ja sowieso erst mal lahmgelegt. Der Arndt, den sieht man in dem Film immer wieder auf einem Schiff an der Stelle, wo die Lecks in der Pipeline sind. Kann man da einfach so hinfahren?

MK: Ja (lacht). Also, wir waren uns nicht sicher vorher. Für uns war das einfach wichtig, das auch im Bild zu zeigen. Also wir hatten einen Taucher engagiert, der eigentlich mit einer Kamera runtergehen sollte. Und wir wollten das einfach auch zeigen, auch weil das ist so symbolisch für Gas als Waffe ist, dass man es eigentlich unabhängig davon, wer das jetzt genau gewesen ist, das wissen wir nicht. Das ist einfach symbolisch für Gas als Waffe. Und dann ist es auch wichtig für so einen Film, das auch mal zu zeigen. Wir wollten natürlich einen richtig tiefen Einblick bekommen, indem wir auch runtertauchen. Wir hatten versucht, einen Taucher zu engagieren. Der hat dann leider Corona bekommen. Und dann wollten wir eigentlich noch mit einer Unterwasserdrohne runtergehen. Aber das hat dann alles nicht geklappt aufgrund der Windstärke. Das war dann zu gefährlich. Und so war es dann am Ende so ein Ausflug dahin. Und man hat dann noch die Kriegsschiffe gesehen, um auch die Bedeutung zu zeigen. Aber eigentlich ist es nicht das, was wir eigentlich wollen.

ES: Im Film behandelt ihr ja auch diese fragwürdige Stiftung Klima- und Umweltschutz Mecklenburg-Vorpommern, die von der SPD, der CDU und der Linkspartei gegründet worden ist, um US-Sanktionen beim Bau von Nord Stream 2 zu umgehen. Dann gibt es Gerhard Schröder, der sich nach seiner politischen Karriere als Lobbyist für russische Energiekonzerne eingesetzt hat. Könnt ihr sagen, welchen Einfluss der Kreml auf die Landesregierung in Mecklenburg-Vorpommern hat?

MK: Naja, das läuft ja wieder über Gazprom, der unter russisch staatlicher Kontrolle ist. Nicht im im totalen, 100-prozentigem Besitz, aber da hat der Kreml das Sagen bei diesem Konzern. Und darüber hat Russland versucht, natürlich auf die Politik Einfluss zu nehmen. Schröder ist sicherlich das Standardbeispiel. Manche sagen, das ist die Korruption im Nachhinein. Aber das sieht man deutlich. Und für Mecklenburg-Vorpommern, da hat man ja versucht, mit dieser Stiftung praktisch die Sanktionen zu umgehen. Also Gazprom war das Problem bewusst. Mecklenburg-Vorpommern, die Landesregierung, wollte Nord Stream 2 sicherlich auch als Standortfaktor. Und da hat man sich zusammengetan und das gar nicht mal so verdeckt. Da gab es dann ja sogar eine Landtagssitzung dazu und da hat sich im Grunde komplett auf die Seite von Gazprom und von Russland gestellt. Und Kritik an den USA, die so etwas sanktionieren, geübt. Und hat sich dann auch beraten lassen von den, das haben wir ja auch im Film gezeigt, von den PR-Beratern, da gab es dann noch praktisch gab es so Argumentationshilfen von Nord Stream. Also auch wiederum von Gazprom, dem Nord Stream komplett gehört hat. Da gibt es zum Beispiel das Beispiel, gibt es in der Landtagsdebatte, und dann steht ein Pressegespräch an zu dieser Stiftung. Und da kommuniziert, Nord Stream ganz offen mit der Landesregierung. Der bittet zum Beispiel, so ein PR-Berater von Nord Stream doch bei einem Pressegespräch, was telefonisch erfolgt, heimlich mit zuzuhören. Was ein absolutes No-Go ist. Wir wissen nicht, ob das wirklich passiert ist. Aber das zeigt die Enge eigentlich zwischen den beiden.

IK: Vor allen Dingen also auch innerhalb der EU, hat das Deutschland extrem geschadet. Weil es im Prinzip im Alleingang war. Es war immer, dass man da eben halt seine eigenen nationalen Vorstellungen durchgedrückt hat mit dem Blick auf Gas. Und das, was also andere EU-Partner für besser oder sicherer gehalten haben, hat man einfach völlig ignoriert. Augen zu und durch.

MK: Das ist glaube ich schon eines der größten Politikversagen der letzten Jahrzehnte. Es gab ja am Anfang auch das Stichwort "Wandel durch Handel". Also es war ja, sage ich mal noch in den 2000er-Jahren noch die Idee, dass man eventuell Russland durch wirtschaftliche Zusammenarbeit, ich will es mal so formulieren, demokratischer macht, pluralistischer macht. Und da muss man aber trotzdem sagen, dann kann man sich trotzdem diesem Land nicht komplett ausliefern, wenn man das will. Das wird ja immer so als Argument noch genommen, dass man sagt: okay, wir wollten ja, und wir wollten Russland näher bringen. Aber spätestens nach der Annexion der Krim. Und eigentlich hätte man es schon an den Gaskriegen 2006, 2005 sehen können, dass das keine gute Idee sein kann.

IK: Und das ist schon ganz erstaunlich. Der Vorstandsvorsitzende von BASF, die haben tatsächlich eingeräumt und haben gesagt also, man hätte ab 2014 eine andere Politik befolgen sollen, also im Nachhinein betrachtet. Das ist ein großer Konzern, das ist eine sehr eindeutige Aussage. Und diese Aussage habe ich also von Frau Merkel bis heute nicht gehört. Herr Steinmeier hat sich neu positioniert. Aber Frau Merkel hat an dieser Politik bislang zumindest weiter festgehalten.

ES: Trotzdem ist es aktuell so, dass die Gasspeicher jetzt erstmal gut gefüllt sind. Wie sieht es dann im nächsten Jahr aus?

MK: Eine Notlage im nächsten Jahr sehe ich auch nicht, weil man muss sich glaube ich vor Augen halten, warum die Preise steigen. Das sind kurzzeitige Angebotsverknappungen. Und Deutschland wird über die kommenden Monate genügend Gelegenheit haben, auch andere Quellen, Gasquellen, sage ich mal zu besorgen. Es gibt Gas auf dem Weltmarkt. Es gibt jetzt nicht so viel, dass man jetzt sagen kann: ach, die Preise fallen ins Unendliche. Aber ich glaube, dass sich die Lage schon entspannen wird angebotsseitig. Ich sehe da eher für Putin ein Problem, wenn er andere Abnehmer seines Gases sucht. Dafür muss er nämlich auch erst einmal Pipelines bauen. Und dafür braucht er ein, zwei Jahre. Aber auch das wird er sicherlich lösen können. Also das muss man sich, glaube ich, jetzt so vorstellen: Da gibt es kurzzeitig eine Angebotsverknappung, aber die dauert nicht jahrelang. Also ich könnte mir vorstellen, dass 2023, der Preis noch einmal leicht steigen wird, aber nicht in die Sphären, die wir heute sehen und die ja die Verbraucher auch so teuer zu stehen gekommen sind.

ES: Martin Kraushaar und Inga Klees! Danke!

MK: Gerne!

ES: Das war der Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Den Film "Gas als Waffe - Wie sich Deutschland von Putin abhängig machte", den finden Sie in der ARD Mediathek oder auf YouTube auf dem Kanal von MDR Investigativ.

ES: Da finden Sie übrigens auch noch mehr spannende Reportagen. Also können sie uns da gerne auch ein Abo dalassen. In zwei Wochen gibt es dann die letzte Folge des Podcast für dieses Jahr. Und in dem spricht Secilia Kloppmann darüber, wie es obdachlosen Eltern und ihren Kindern geht, deren Leben auf der Straße begonnen hat. Ich bin erst wieder im neuen Jahr hier zu hören, und ich wünsche Ihnen deshalb schon mal einen guten Übergang ins neue Jahr. Bleiben Sie gesund. Tschüss.

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | FAKT | 08. November 2022 | 21:45 Uhr