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MDR INVESTIGATIV - HINTER DER RECHERCHE (FOLGE 74)Positive Dopingprobe – wie eine junge Gewichtheberin um Rehabilitation kämpftAudiotranskription

24. März 2023, 10:28 Uhr

Eine einzige positive Dopingprobe könnte die Karriere der jungen Gewichtheberin Vicky Schlittig aus Sachsen beenden, bevor sie richtig angefangen hat. Schlittig bestreitet, jemals gedopt zu haben – auch die Umstände der Probe sind merkwürdig. Seit anderthalb Jahren ist die Sportlerin gesperrt und kämpft um ihre Rehabilitation. Gast: Peer Vorderwülbecke Moderation: Secilia Kloppmann

Einstieg: O-Töne

Reporter Peer Vorderwülbecke: Rein offiziell ist es ja so, dass Sie einen positiven Dopingtest haben. Deswegen frage ich einfach mal ganz direkt: Haben Sie jemals verbotene Substanzen – Oral-Turinabol - das wird Ihnen vorgeworfen, zu sich genommen? Vicky Schlittig: Nein, niemals. Reporter: Das ist jetzt wirklich hundertprozentig? Vicky Schlittig: Ich hätte niemals in meinem Leben dran gedacht, weil, wenn ich zu schlecht für den Sport wäre, hätte ich nie angefangen.

Peer Vorderwülbecke im Gespräch mit Vicky Schlittig | MDR exakt, 8.3.2023

Moderation:

Ein mysteriöser Dopingfall und eine junge Frau, die um ihre sportliche Karriere kämpft. Darum geht es in dieser Folge von MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche, zu der ich sie herzlich begrüße. In diesem Podcast sprechen wir mit unseren Autorinnen und Autoren über ihre Recherchen und persönliche Eindrücke während der Arbeit am Thema. Immer freitags, alle zwei Wochen, gibt es hier in der ARD-Audiothek eine neue Folge. Ich bin Secilia Kloppmann und arbeite für die politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks. Und diesmal ist bei mir zu Gast. Mein Kollege Peer Vorderwülbecke

Secilia Kloppmann (SK)

Peer, Du hast einen Beitrag gemacht, im MDR Nachrichtenmagazin exakt vom 8 März zu finden in der ARD Mediathek - das schon einmal für alle vorweg, die sich das vielleicht auch noch einmal anschauen wollen. Und gleich vorweg auch wir sprechen jetzt Mitte/ Ende März 2023 über den Fall von Vicky Schlittig. Das ist relativ wichtig, weil es gab eine richterliche Entscheidung, eine strafrechtliche Entscheidung, und zwar einen Freispruch. Aber der Vorwurf des Dopings, über den wir uns ja jetzt auch unterhalten wollen, der ist damit noch nicht vom Tisch – richtig?

Peer Vorderwülbecke (PV)

Na, so ganz richtig ist es nicht - es ist ein bisschen komplizierter, weil es gibt seit 2015 das Anti-Doping-Gesetz in Deutschland. Das heißt, Dopingsünder, wenn sie eine positive Dopingprobe haben, werden automatisch strafrechtlich verfolgt. Da gibt es eine Strafanzeige von der Nationalen Anti-Doping-Agentur in Deutschland, das ist auch bei Vicky Schlittig so gewesen und da ist sie freigesprochen worden. Das liegt an mehreren Gründen. Einmal ist es strafrechtlich natürlich so, dass die Unschuldsvermutung gilt. Dass heißt, der Staatsanwalt oder im dem Fall die Staatsanwältin, muss Vicky Schlittig nachweisen, wissentlich gedopt zu haben. Und zwar - das ist auch wichtig! - mit dem Ziel der Leistungssteigerung. Und das hat man ihr tatsächlich nicht nachweisen können beim Amtsgericht in Chemnitz. Und da ist sie dann folgerichtig freigesprochen worden. Aber für eine Leistungssportlerin natürlich eigentlich wichtiger ist der sportrechtliche Aspekt. Und das Sportrecht sieht eben ein bisschen anders aus. Da redet man von einer Beweislastumkehr. Da muss nicht der Sportgerichtshof nachweisen, dass Vicky Schlittig wissentlich gedopt hat, sondern umgekehrt. Der Internationale Sportgerichtshof in Lausanne sagt: Wir haben eine positive Dopingprobe. Jetzt müssen Sie uns nachweisen, dass sie unschuldig sind. Und da steht die Entscheidung noch aus. Die letzte Anhörung hat es im Februar gegeben. Und da wird praktisch entschieden über die Karriere, wenn man so will, weil es droht wirklich eine vierjährige Sperre. Das ist die aktuelle Forderung der ITA, dass ist die internationale Testing Agentur, die so etwas wie die Staatsanwaltschaft im Vergleich wäre. Und dieses Urteil kann tatsächlich jederzeit kommen. Also vielleicht auch, wenn dieser Podcast produziert ist, ist das Urteil vielleicht schon da. Das wäre dann sozusagen die finale Entscheidung für die Sportlerin Vicky Schlittig, auf die wir noch warten.

SK

Bevor wir in die Details gehen, wann die Dopingprobe gewesen ist, bei welchem Anlass und so weiter … Für die Zuhörerinnen und Zuhörer, lass uns erst mal die Person Vicky Schlittig vorstellen. Das ist eine junge Frau, die ist Gewichtheberin, stammt aus Sachsen, ist mittlerweile 19 Jahre alt. Ich habe den Namen vorher noch nicht gehört, muss ich zugeben. Ist das jetzt ein großes Talent im deutschen Frauen-Gewichtheben?

PV

Also ich hatte den Namen vorher auch noch nicht gehört, muss ich sagen. Aber Frauen-Gewichtheben ist ja olympisch mittlerweile. Das ist trotzdem gerade bei Frauen eine ziemliche Randsportart. Das ist schon eine sehr männerdominierte Sportart, und Vicky gehört da schon zu den bundesdeutschen Talenten. Sie kommt aus Gröditz in der Nähe von Riesa. Sie ist mehrfach im Schüler- und Jugendbereich deutsche Meisterin worden. Und der Übergang in den Erwachsenenbereich, der ist in jeder Sportart sehr, sehr, sehr schwierig. Und bei dem war sie sozusagen gerade. Also sie war 18, ist dann in die Sportförderkompanie der Bundeswehr aufgenommen worden, was auch ein schöner Erfolg ist und eben auch dafür sorgt, dass man unter professionellen Bedingungen trainieren kann. Und vier Wochen später kam dann dieser positive Dopingtest

SK

Trotzdem noch mal die Frage: Hast du rausgefunden, warum sie ausgerechnet Gewichtheben, als Sportart gewählt hat? Das ist ja doch schon ungewöhnlich..?

PV

Also warum sie tatsächlich Gewichtheben ausgewählt hat, weiß ich so genau nicht. Aber ich war ja in Riesa beim Riesaer Athletic Club und habe da auch mit ihrem Entdecker und ihrem ersten Trainer gesprochen. Eckehard Thau heißt der, ein ganz sympathischer Mann. Und er hat geschildert, wie diese zehnjährige Vicky Schlittig, wie er sagte, ein Strich in der Landschaft, dahin gekommen wäre und gesagt hat, ich will das machen. Und das war offensichtlich nicht nur so dahin gesagt, sondern mit ganz viel Überzeugung und Zielstrebigkeit. Und dann hat er mit ihr angefangen zu arbeiten und sechs Wochen später, praktisch als blutige Anfängerin, hat sie den sächsischen Schülerpokal gewonnen. Und da hat der Trainer natürlich schon gesagt, oha, da habe ich einen Talent. Und er hat zu mir gesagt, ein Talent in der Dimension, wie man es alle 10 bis 20 Jahre einmal vielleicht hat.

SK

Vier Wochen nachdem sie in den Bundeswehr-Kader aufgenommen worden ist, gab es diese positive Dopingprobe. Lass uns mal erstmal die Fakten vorstellen: Wann ist das passiert? Worauf ist sie getestet worden? Was waren die Folgen?

PV

Genau. Also sie war bei der Junioren-Europameisterschaft der Gewichtheberinnen. Die hat in Finnland stattgefunden, das war für Vicky der erste große internationale Wettkampf ihrer Karriere. Und da ist sie ganz standardmäßig nach ihrem Auftritt getestet worden. Und es hat etwas gedauert, so drei, vier Wochen später, bis sie dann tatsächlich informiert wurde. Also das war am 26.. September. Und dann war es Ende November. Fast zwei Monate später hat sie diesen positiven Doping Bescheid dann bekommen, und sie ist getestet worden auf ein Mittel, was früher zu DDR-Zeiten von Jenapharm hergestellt wurde. Oral-Turinabol war der Markenname. Das ist ein anaboles Steroid. Das ist in Doping-Kreisen total bekannt, das war ein absolutes Standardmittel im DDR-Dopingsystem, ist aber sehr aus der Mode gekommen. Weil es eben mittlerweile sehr leicht nachweisbar ist. Das war früher nicht so. Früher konnte man das einfach ein bisschen vor dem Wettkampf absetzen und man wurde nicht positiv getestet. Mittlerweile ist das so, dass man das Monate zurück nachweisen kann. Also wer mit Oral-Turinabol dobt, ist ehrlich gesagt, ein bisschen doof. Man müsste dann cleverer sein beim Dopen, und auf dieses Mittel ist sie getestet worden. Und trotzdem wurde dann schon sehr schnell klar, dass es da einfach sehr viele Ungereimtheiten gab.

SK

Kurze Zwischenfrage: Dieses Mittel von Jenapharm - gibt es da noch Altbestände? Wo kann man das überhaupt herbekommen? Frage eins. Und was macht das mit dem Körper?

PV

Also dieses Mittel ist in den 90er-Jahren vom Markt genommen worden. Auf jeden Fall gibt es dieses Mittel nicht mehr. Man kann auch nicht in die Apotheke gehen und es kaufen. Aber spätestens seitdem man im Internet alles kaufen, kann man auch diese Pillen kaufen, hergestellt in Indien, China oder sonst wo. Das heißt, man kommt relativ leicht dran. Man kann das auch mal, wenn man möchte, eingeben im Internet - da bekommt man sofort auch Angaben, wie viel man da verwenden muss und wie häufig und so. Das kommt, glaube ich, sehr viel aus dem Kraftsport und Bodybuilding, wo eben solche Steroide - aber eben hauptsächlich von Männern - genommen werden.

SK
Das heißt, das bewirkt einen Muskelaufbau?

PV

Genau. Es greift in den Hormonhaushalt ein und erhöht den Testosteronspiegel sehr stark. Testosteron wissen wir, dass ist das männliche Geschlechtshormone. Es hat also sehr viele Nebenwirkungen. Bei Männern nicht so sehr, aber bei Frauen. Und das wissen wir aus der traurigen DDR-Dopinggeschichte, wenn diese gerade Werferinnen Stoßerrinnen ... die dann itefe Stimmen bekommen . ..teilweise Haarwuchs, Bartwuchs, und das ist ja wirklich auch ganz dramatisch gewesen. Also, das sind wirklich massive Folgen, die dieses Präparat hat. Aber es fördert eben den Muskelaufbau. Deswegen es ist genommen worden, und sie ist nur dieses eine einzige Mal auf dieses Mittel getestet worden. Also das ist auch eine der Besonderheiten. Es gibt noch mehrere, die dann in der Probe an sich begründet liegen. Die Besonderheit ist wirklich, dass der Deutsche Gewichtheber Bund ganz weit vorne ist im Anti-Doping-Kampf. International. Man sagt ja, Gewichtheben sei Doping verseucht. In Deutschland gab es noch nie einen Dopingfall, da ist man also sehr vorbildlich. Und Vicky wird seit ihrem fünfzehnten Lebensjahr praktisch alle zwei Monate getestet. Sie hat vor dieser Dopingprobe 22 Tests gehabt, also zwischen ihrem fünfzehnten und dem achtzehnten Lebensjahr sie 22 Mal getestet worden. Immer negativ. Dann kam diese eine Probe in Finnland und danach, als sie das Ergebnis noch gar nicht wusste, ist sie weitere sechs Mal getestet worden, auch immer negativ. Und das ist auch einer der Gründe, warum sie am Ende glaube ich, in Chemnitz freigesprochen worden ist. Weil man sagt, da stimmt irgendwas nicht. Also so dämlich kann man nicht sein, sich dieses Präparat einzuwerfen. Und das hätte auch gar nichts gebracht. Es hätte keine Leistungssteigerung gebracht. Jeder weiß, dass es nachweisbar ist, und insofern ist sie da einfach extrem engmaschig, kontrolliert worden.

SK

Du hast ja für deinen Beitrag, der bei MDR exakt am 8. März lief und noch zu sehen ist in der ARD Mediathek, Detlef Thieme getroffen. Der ist kommissarischer Leiter des Doping-Kontrolllabors im sächsischen Kreischa. Und der hält die die Vorgänge da auch zumindest sehr ungewöhnlich...

Die Umstände sind sehr ungewöhnlich. Dass es sich um eine Athletin handelt, die derartig oft kontrolliert wurde, wo eine niedrig, positiv nachgewiesene Konzentration eingerahmt ist durch zwei negative zeitnah Proben. Das ist schon eine Konstellation, die ich für einmalig halte.

Detlef Thieme, kommissar. Leiter Doping-Labor Kreischa | MDR exakt, 8.3.2023

SK

Und was Detlef Thieme auch noch gesagt hat, ist, dass die Konzentration in der Probe sich eigentlich auch gar nicht zum Dopen effektiv eignet...

Wenn sie das Ziel verfolgt hätte, sich damit zu dopen, dann wäre das nicht von Erfolg gekrönt gewesen.

Detlef Thieme | MDR exakt, 8.3.2023

PV

Ja, das hat er auch in der Gerichtsverhandlung in Chemnitz nochmal ausgeführt. Ich habe auch sein schriftliches Gutachten vorliegen. Es ist tatsächlich so, dass die Konzentration dieses Wirkstoffes bei 0,6 Milligramm liegt, die Nachweisgrenze ist bei 0,1 Milligramm. Also drunter kann man es gar nicht mehr aus der Probe heraus finden. Wer das tatsächlich zum Dopen verwendet will, nimmt ungefähr fünf Milligramm, und zwar jeden Tag, über mehrere Wochen. Also das heißt, diese Konzentration, die wir bei Vicky Schlittig sehen, ist extrem gering. Und selbst wenn man mit dem Doping hätte anfangen wollen, mitten in einem Wettkampf, was nichts bringt bei diesem bei diesem Mittel, würde diese geringe Dosierung des Wirkstoffes überhaupt nichts bringen. Und auch das führt wieder dahin, dass man sagt, wie ist das überhaupt in ihren Körper gekommen, in so einer geringen Dosierung? Und da gibt es dann manche Theorien auch dahingehend, dass es entweder auf jeden Fall von extern gekommen ist, unbewusst - entweder ein Unfall oder vielleicht sogar ein Anschlag.

SK

Seit dieser positiven Dopingprobe, Peer, was ist seit dem mit Vicky Schlittig passiert?

PV

Sie sagt selber, das hat sie im Gericht mehrfach gesagt und auch mir persönlich gegenüber, das eigentlich eine Welt für sie zusammengebrochen ist. Von jetzt auf gleich. Da kommt eine E-Mail und sagt , Sie haben eine positive Dopingprobe und sind jetzt gesperrt, sofort.

Erleben zu müssen, dass man für etwas bestraft wird, was man nicht getan hat. Kann man mit Unterstützung von Experten sagen, dass es nicht so gewesen ist. Trotzdem wird man bestraft.

Vicky Schlittig, Gewichtheberin, wegen Dopingvorwurf gesperrt | MDR exakt, 8.3.2023

Das heißt, die darf eigentlich gar nicht mehr im Olympiastützpunkt in Chemnitz, wo sie trainiert hat, durfte sie sofort nicht mehr trainieren. Sie war da auch untergebracht. Sie ist dann da auch weggezogen. Sie konnte auch nicht mehr die ganze die Leistungssport-Infrastruktur nutzen und war tatsächlich rausgekickt, wenn man das mal so ein bisschen bildlich beschreiben will. Und dann, und das ist wieder vielleicht auch typisch für diese junge Sportlerin, hat sie sich nicht eingegraben und verzweifelt alles hingeschmissen. Und sie hat auch nie gesagt, dass sie was genommen hat, immer immer immer gesagt, ich habe es nicht genommen. Ich bin unschuldig. Was da alles später noch versucht wurde in den Analysen können wir vielleicht noch mal einzeln besprechen. Und dann, das finde ich tatsächlich recht eindrucksvoll, hat ihr Vater, der ihre Karriere immer gefördert hat, zu Hause, in einem ungenutzten so eine Art Abstellraum, ihr ein professionelles Trainingszentrum hingezimmert. Also, das ist wirklich ein kleiner Raum mit einem sehr kleinen Fenster , einer kleine Luke drin, und da waren in ihre Gewichte und die großen Hanteln. Da hat sie dann sechs Monate lang zweimal am Tag über zwei Stunden auf eigene Faust trainiert, weil sie einfach gesagt hat, irgendetwas stimmt hier nicht. Das muss sich aufklären. Und wenn das aufgeklärt ist, dann kann ich wieder einsteigen. Dann will ich wieder einsteigen, aber sie hat sich eben nie aufgegeben.

SK

Jetzt gibt es ja prominente Dopingfälle, Lance Armstrong, Jan Ullrich, sehr bekannt auch der Fall der Eisschnellläuferin Claudia Pechstein

PV

.. ein besonderer Fall ..

SK

die ja auch immer ihre Unschuld beteuert hat. Was ist jetzt eigentlich anders bei Vicky Schlittig? Und wie bist du als Reporter an diesen Dopingfall herangegangen ist? Du arbeitest schon sehr lange als Sportreporter. Du hast ja wahrscheinlich schon endlos Geschichten über Doping gehört und erzählt...?

PV

Ich bin ja auch gerade in den letzten Jahren viel an diesen Hintergrundgeschichten dran, wo eben auch Doping einer meiner Schwerpunkte ist. Und du hast jetzt Lance Armstrong und Jan Ullrich gesagt, und ich glaube tatsächlich, in den allermeisten Fällen lügen diese Sportler. Sie lügen, weil sie systematisch dopen. Und das seit jungen Jahren und gerade in Sportarten wie Radsport. Und beim Gewichtheben wissen wir, dass teilweise 13 bis 14-Jährige da schon anfangen zu dopen. Das heißt, mein erster Impuls war, natürlich hat die gedopt. Das war mein erster Impuls. Und dann habe ich das natürlich verfolgt und habe dann die Ungereimtheiten auch wahrgenommen. Dann wurden ja verschiedene Proben gemacht. Tatsächlich war es so, dass auf ihrer Probe gar nicht ihr Name drauf stand, sondern der Name eines iranischen Gewichthebers. Da haben alle gesagt, okay, da haben wir es ja schon. Hier ist die Verwechslung. Da steht ein falscher Name auf dem Formular. Das hat sich dann relativ schnell geklärt, es war tatsächlich ihre Probe. Dann wurde geguckt, stimmt die DNA überein? Ja, also es ist ihr Urin. Es wird immer der Urin überprüft. Das wurde dann bejaht. Dann ging es darum, ist dieser Stoff tatsächlich durch ihren Körper gegangen? also hat sie ihn eingenommen? Da musste die Probe nochmal zur Hand genommen werden, mussten noch einmal besondere Proben gemacht werden. Das geht ja immer über den indirekten Nachweis, sozusagen über Abbauprodukte. Und da war klar okay, hier haben wir ein Abbauprodukt, das in der Leber produziert wird.

Das heißt, es ist durch ihren Körper gegangen. Und dann waren alle diese diese Zweifel ausgeräumt, dass es irgendwie eine Verwechslung oder eine Verunreinigung hätte sein können. Das gab es alles nicht mehr. Und dann stand Vicky Schlittig natürlich da mit ihrer Familie, und sagt: wie ist es denn jetzt in meinem Körper gekommen? Und da hatte ich das natürlich alles schon verfolgt und habe dann den Kontakt gesucht. Und natürlich auch mit einer, wie soll ich das sagen, mit einer gewissen Sensibilität, weil es ging um eine 18-Jährige, also gerade erwachsene gewordene junge Frau in einer Randsportart. Da wird kein Geld verdient, die hat keine Werbeverträge. Das ist also wirklich der pure Sport um den es da geht. Und dann habe ich gedacht, okay, dann fahre ich dahin, nach Gröditz, und lass das einfach mal auf mich wirken, was ich da erlebe. Und am Ende saßen wir da am Kaffeetisch, die beiden Eltern und Vicky, und die haben mir das geschildert, und das war sehr emotional. Vicky war sehr mitgenommen, die Familie war sehr mitgenommen, und das wirkte schlüssig. Also habe ich eine professionelle Distanz. Ich sage mal, man kann ganz viel Theater vorspielen. Und diese professionelle Distanz habe ich natürlich bis heute. Ja, weil ja auch manche Dinge einfach nicht nachgewiesen sind. Also ich würde jetzt mich nie hier hinstellen und sagen, Vicky Schlittig ist unschuldig oder ein Dopingopfer - es spricht aber sehr vieles dafür. Und insofern habe ich diese Familie kennengelernt und so ein Gesamtbild mir auch machen können. Wo dann sich auch meine Einschätzung ein bisschen gewandelt hat und ich mir gesagt habe, okay, da könnte wirklich was dran sein an der Geschichte, dass es hier um unwissentliches Doping geht.

SK

Und das ist ja zum einen eine enorme emotionale Belastung für die Sportlerin, aber auch für die Familie. Aber es ist auch eine finanzielle Belastung, wie der Vater, in dem Beitrag erzählt hat,

Nervlich, finanziell, geht es nicht weiter, wir sprechen von Ausgaben von 24.000 Euro. Wo soll das jetzt noch hingehen? Die Experten haben gekostet, der Dolmetscher, der Anwalt.

Heiko SChlittig, Vater von Vicky | MDR exakt, 8.3.2023

PV

Klar ist, man hat sich da einen ganz renommierten Anwalt genommen. Das ist ein Anti-Doping-Spezialist, der kostet natürlich. Dann hat man sich einen Doping-Analysten aus den Niederlanden organisiert, auch ein international renommierter Spezialist. Der macht das natürlich alles nicht umsonst. Das muss man alles bezahlen. Um das Ganze dann vor Gericht noch einreichen zu können, muss man es dann noch übersetzen in dem Fall aus dem Niederländischen ins Deutsche. Und so ist man dann eben schnell innerhalb von einem guten Jahr bei diesen 24.000 Euro.

SK

Aber was trotzdem fest steht ist, dass diese Probe positiv gewesen ist? Richtig, da gibt es keinen Zweifel daran? Und jetzt ist aber die Frage, wie kann es sein, dass sie positiv ist, auch aufgrund dessen davor und danach waren die Proben negativ. Kann es sein, dass es eine Verunreinigung gegeben hat?

PV

Nein. Also alle diese Faktoren, Verunreinigungen oder auch fremdes Urin oder eine Beimischung irgendwas, das ist tatsächlich alles ausgeschlossen. Es ist ihre Probe. Der Stoff ist durch ihren Körper gegangen. Punkt. Da gibt es keinen Zweifel. Und wie er in ihren Körper reingekommen ist, genau das ist natürlich das, was sich alle fragen. Wenn man jetzt Vicky glaubt, die sagt, ich habe nichts genommen. Und auch diese geringe Dosierung kann man fast gar nicht einnehmen. Also früher, das war eine diese blauen Tabletten im DDR-Sport. Eine davon wäre schon deutlich mehr als das, was man am Ende gefunden wurde. Und dann gibt es eben verschiedene Theorien, und die hat zum Beispiel die Anti-Doping Redaktion der ARD schon vor zwei Jahren aufgemacht und das auch getestet mit zwölf Probanden und auch wissenschaftlich untermauert an der Sporthochschule Köln, und zwar quasi ein Doping Anschlag über die Haut. Das heißt, sie haben da getestet. Wir machen eine eine Dopingsubstanz in eine Creme. Und dann reicht tatsächlich ein flüchtiger Kontakt, ein Händeschütteln, einen Klaps auf die Schulter, kurz noch viel Glück gewünscht. Oder gehen Sie kurz zur Seite, also ein Hautkontakt, also Haut auf Haut. Und da ist bei diesen zwölf Probanden bei allen zwölf 14 Tage lang die Dopingprobe im Anschluss positiv gewesen. Also das heißt es gibt diese Möglichkeit zum Beispiel über die Haut. Und dann wäre auch zum Beispiel diese geringe Konzentration zu erklären. Und dann gibt es noch andere Gründe, die eben dieser niederländische Experte auch ausgeführt hat

Neueste Studien zeigen, dass jemand über Hautberührung Doping-Positiv werden kann. Die Probe hat dann ein sehr spezifisches Muster. Im Fall Vicky Schlittig findet sich genau so ein Muster in ihrem Urin. Das weist stark darauf hin, dass die Übertragung über die Haut stattgefunden hat

Douwe de Boer - Doping-Analytiker | MDR exakt, 8.3.2023

SK

Jetzt ist aber eigentlich die große Frage, hat sie denn irgendetwas gemerkt bei dieser EM? Also, dass ihr irgendwie jemand auf die Schulter geklopft hat oder sie sanft im Nacken gestreichelt hat?

PV

Das war natürlich eine der zentralen Fragen, bei dem Gerichtsverfahren. Ich meine, was will man da erwarten? Das ist jetzt anderthalb Jahre her. Wie oft wird man irgendwie berührt? Sie hat geschildert, die Situation rund um diese Dopingtests bei der EM sei für sie ungewöhnlich gewesen, weil relativ viele Athletinnen da sozusagen in der Warteschleife waren, an so einem kleinen Tisch auch zusammengesessen hatten. Das hat damit zu tun, dass v eiele ja die geforderte Mindestmenge an Urin, die man ab geben kann, nach einem Wettkampf gar nicht schaffen. Das heißt, sie gehen erst einmal mit dem Kontrolleur zusammen auf die Toilette, dann wieder zurück, wieder hin und wieder hin. Da sitzen da also auch junge Frauen mit Druck, mit Urin. Drum will ich jetzt nicht so ins Detail gehen. Aber es war auf jeden Fall wohl ungewöhnlich. Auch Vicky brauchte drei Anläufe, um die geforderte Mindestmenge zusammenzubekommen.

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Und das ist da irgendwo, also eng hat sie es beschrieben viele Athletinnen, und dass man da irgendwie berührt wird, kann man sich denken. Aber sie hat auch ganz klar gesagt er ist nichts aufgefallen, nichts Verdächtiges, nicht irgendwann, der speziell, den sie nicht kannte und sie plötzlich am Abend hat. Oder irgendetwas also tatsächlich nichts.

SK

Kann man sich vorstellen, dass es da so eine Art Anschlag gegeben hat, um die deutsche Gewichtheberin aus dem Rennen zu werfen? Ist es denn vorstellbar? Ich meine, du hast schon gesagt, das ist ja jetzt nicht so eine Sportart, wo die jetzt viel Geld verdient oder wo es um Werbeverträge geht...

PV

Also klar ist, dass rein sportlich der Wettbewerb für Vicky Schlittig gar nicht so gut gelaufen ist. Das hat sie auch selber so gesagt. Und die Analyse legt nahe, dass dieser Dopingstoff kurz vor der Probe, möglicherweise wenige Stunden vor der Probe, erst in ihren Körper gelangt ist. Wenn sie jetzt Erste geworden wäre, dann hätte man vielleicht sagen okay, jetzt, nehmen wir die aus dem Rennen, die Medaille kriegt sie nicht. So war es aber nicht. Sie lief ergebnistechnisch ohnehin unter ferner liefen. Insofern fällt das schon mal als Motivation raus. Dann habe ich schon erwähnt, dass der deutsche Gewichtheber Bund im Anti-Doping-Kampf ganz weit vorne ist. In vielen anderen Ländern - sage ich vorsichtig - geht man da anders mit um und hat vielleicht auch ein bisschen Lust, dieses Saubermann-Image der Deutschen möglicherweise. .. wir sind hier wirklich im spekulativen Bereich ... ein Dorn im Auge. Und dann könnte man sagen so, ihr Deutschen kriegt jetzt auch euren Dopingfall. Das halte ich am Ende nicht so richtig für wahrscheinlich. Aber das wäre sozusagen die Option Anschlag. Man muss aber auch wissen, dass ist vor Gericht noch einmal klar gesagt worden, es gibt diesen Wirkstoff als Salbe gar nicht. Das heißt, man müsste einen Trägerstoff, eine Salbe, haben und da dann sozusagen den Wirkstoff einarbeiten und damit dann jemanden berühren. Das würde schon sehr viel kriminelle Energie voraussetzen. Also insofern ist das ein bisschen unwahrscheinlich. Was natürlich sein kann, dass in diesen Gewichtheberkreisen einfach viele Leute sind, die mit so etwas hantieren. Anabole Steroide sind ja auch bei Männern nicht so schädlich wie bei Frauen. Das könnte also auch sein, dass ehemalige Athleten, Trainer, Betreuer, sonstige ... damit hantieren und wie auch immer … die haben sich die Hände nicht gewaschen. Und dann wäre es ein Unfall. Aber eine klare Hypothese, wie das in ihren Körper gekommen ist, gibt es tatsächlich nicht.

SK

Und noch einmal zur Erinnerung: Wenn das kurz vorher erst in ihren Körper reingekommen ist, hätte es überhaupt gar keinen Sinn gemacht für diesen Wettkampf. Wenn das für den Muskelaufbau ist – das passiert ja nicht innerhalb von einer Stunde.

PV

Das muss man vielleicht auch noch mal präziser sagen. Die meisten Menschen haben zum Glück keine Erfahrung mit Doping. Also wenn man sich mit diesem Dopingpräparaten, mit einem anabolen Steroid dopen will, muss man das über Wochen regelmäßig machen, mit einer weitaus höheren täglichen Dosis, als sie bei Vicky Schlittig gefunden worden ist. Und das ist jetzt kein Aufputschmittel, wo ich sage, das werfe ich mir jetzt rein. Und danach habe ich eine Leistungssteigerung im Wettkampf. So funktionieren anabole Steroide nicht. Also das macht keinen Sinn, sich damit zu dopen.

SK

Jetzt hatten wir es ganz am Anfang schon mal gesagt. Es gab dieses Gerichtsurteil in Chemnitz in dem Strafrechtsprozess, da ist sie freigesprochen worden. Aber es geht jetzt noch um den sogenannten CAS, wo sie ihre Unschuld beweisen muss. Kläre uns nochmal auf, worum es da geht.

PV

Also am Ende ist das ein Standardverfahren. Es gibt eine positive Dopingprobe, und wenn man die nicht anerkennt, wenn man nicht gesteht, sozusagen, dann geht das vor den Internationalen Sportgerichtshof in Lausanne. Da gibt es dann eine Verhandlung. Die „Staatsanwaltschaft“ ist in dem Fall die ITA, die International Testing Agency. Und die haben halt ganz klar gesagt, wir fordern vier Jahre Sperre, und denen ist vollkommen egal, dass diese Menge, die gefunden worden ist, so niedrig ist, weil anabole Steroide werden gar nicht nach Mengen ausgewertet, sondern schlicht die Tatsache, dass dieser Stoff im Blut gefunden wurde, ist gleichzusetzen mit einer positiven Dopingprobe. Und deswegen soll sie eben vier Jahre gesperrt werden. Das ist die Forderung der ITA.

SK

Besteht denn überhaupt eine Chance, dass sie freigesprochen wird?

PV

Das ist nur eine theoretische Chance. In den normalen Abläufen ist das eigentlich nicht vorgesehen. Weil gesagt wird, wir haben den Nachweis in der Probe und damit ist eigentlich ein bisschen egal, wie das reingekommen ist in deinem Körper. Man führt das ja auch eine Art ad absurdum, wenn man sagt, du bist 28 Mal negativ getestet worden und einmal positiv, und das passt alles hin und vorne gar nicht. Die niedrige Menge, die fehlenden Abbauprodukte. Da haben wir noch gar nicht drüber gesprochen. Wenn sie also längerfristig gedopt hätte mit diesem Mittel, dann hätte es Abbauprodukte in ihrer Probe geben müssen. Diese Abbauprodukte gab es aber nicht. Insofern spricht wirklich ganz viel für sie. Und theoretisch könnte sie also freigesprochen werden. Experten, mit denen ich gesprochen habe, die sagen hinter vorgehaltener Hand, das werden die nicht machen, weil man dann möglicherweise einen Präzedenzfall schafft. Und das möglicherweise einen Paradigmenwechsel in der ganzen Anti-Doping-Bekämpfung oder Dopingbekämpfung einleiten würde. Dann würde nämlich jeder Doper erst mal kommen und sagen: Ich habe zwar eine positive Dopingprobe, aber ich war es nicht. Ich habe es nicht genommen. Es war ein Anschlag, ich weiß nicht, wie sie in den Körper gekommen ist. Und damit würden natürlich auch diese ganzen Verfahren zumindest verlängert. Ich persönlich sehe das gar nicht so dramatisch, weil es reicht ja nicht zu sagen, ich war's nicht. Wenn ich eine Dopingprobe habe, wo diese Abbauprodukte sind, dann ist es eindeutig. Wenn ich aber eine Dopingprobe habe, die so aussieht wie die von Vicky Schlittig, könnte man sie durchaus freisprechen.

SK

Und was glaubst du persönlich? Was wird passieren?

PV

Also ich glaube, dass der Internationale Sportgerichtshof diesen Präzedenzfall scheuen wird. Und das es keinen Freispruch für Vicky Schlittig geben wird. Das glaube ich erst mal so als grundlegende Entscheidung. Ich könnte mir vorstellen, dass es so eine Art Kuhhandel gibt. Das ist jetzt nicht sehr juristisch, das heißt Einzelfallentscheidungen im Juristendeutsch. Wo man das irgendwie anerkennt, diese gesamten Ungereimtheiten und dann eben vielleicht nicht auf diese vier Jahre geht, sondern möglicherweise das Ganze ist jetzt anderthalb Jahre her, dass man sagt okay, du kriegst anderthalb Jahre Sperre, dann ist es kein Präzedenzfall. Dann hat sie trotzdem eine Sperre bekommen, könnte aber sozusagen sofort wieder einsteigen in den Leistungssport. Das halte ich für möglich.

SK

Sie hat im Beitrag erzählt, das eigentliche große Ziel war Olympia, Paris 2024 war, das könnte eng werden. Oder ?

PV

Ja, das ist eigentlich nicht mehr zu schaffen, weil sie ja auch aus diesen ganzen Fördermechanismen rausgefallen ist. Sie muss sich ja auch sportlich qualifizieren. Sie müsste wieder das Training hochschrauben. Im Moment macht sie eine Ausbildung als Sport und Fitnesskauffrau, trainiert nebenbei weiterhin, aber natürlich nicht in dem Umfang, wie man das machen müsste, wenn man sich für Olympia qualifizieren will. Wir reden ja vom nächsten Jahr 2024 in Paris.

SK

Das wird sie also nicht schaffen. Das heißt, hat sie abgeschlossen mit dem Leistungssport?

PV

Tatsächlich nicht. Und das zeichnet diese junge Gewichtheberin auch aus, und die mir wirklich glaubhaft immer wieder geschildert hat, wie sehr sie diesen Sport liebt. Und sie hat mir auch gesagt, ihre sportlichen Ziele wird sie nie aufgeben. Sie hat sie verschoben, und zwar um eine Olympiade. Das sind die vier Jahre, das wäre 2028 in Los Angeles. Da könnte sie dann so oder so schaffen. Selbst wenn sie vier Jahre gesperrt würde, hätte sie dann immer noch Zeit zu trainieren und das auf dem regulären Weg zu schaffen. Und das ist ihr Plan. Also sie wird nicht aufgeben. Sie wird diesen Sport weiterbetreiben.

Ich danke dir sehr für dieses interessante Gespräch. Peer Vorderwülbecke

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