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MDR INVESTIGATIV - Hinter der Recherche (Folge 71)Wölfe in Mitteldeutschland: Schützen oder Schießen?Audiotranskription

Seit 25 Jahren ist der Wolf zurück in Deutschland, und immer noch sorgt er für hitzige Debatten. Während einige nach wie vor den Schutz des Raubtieres wollen, sehen andere vor allem die negativen Auswirkungen für Nutztiere. Seit Jahren fließt viel Geld in Herdenschutzmaßnahmen, aber was bringen die wirklich?

"Hey Großmutter, was hast du nur für große Ohren?" "Dass ich dich besser hören kann!" "Hey, Großmutter, was hast du für große Augen?" "Dass ich dich besser sehen kann." "Hey Großmutter, was hast du nur für große Hände?" "Dass ich dich besser packen kann!" "Aber Großmutter, was hast du für ein entsetzlich großes Maul?" "Dass ich dich besser fressen kann!"

Das Rotkäppchen

Esther Stephan (ES): Ja, die Angst vor, Wolf, die hat sich ganz schön in unsere Kultur eingebrannt. Wir alle kennen die Schauergeschichten und Märchen wie das vom Rotkäppchen. Unter anderem die Angst vorm "bösen Wolf" hat dazu geführt, dass bis Mitte des neunzehnten Jahrhunderts fast alle freilebenden Wölfe in Deutschland ausgerottet wurden. Mittlerweile ist aber nicht nur der Wolf zurückgekehrt, sondern die Angst gleich mit. Und so mancher Landwirt fürchtet um seine Tiere wie zum Beispiel auch Damwildzüchter Ralf Nahrstedt aus Ostsachsen.

Der geht mittlerweile auf ausgewachsene Kühe. Es ist zu viel!

Ralf Nahrstedt, Damwildzüchter

ES: Sie hören den Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Der Podcast, in dem wir mit Journalist*innen über ihre Recherchen sprechen. Dabei schauen wir auf das Thema und die Erfahrungen, die die Journalist*innen während der Dreharbeiten gemacht haben. Ich bin Esther Stephan und ich arbeite für die Politischen Magazine des Mitteldeutschen Rundfunks. Und heute geht es um den Wolf. Dazu spreche ich zum einen mit Matthias Weidner, Hallo!

Matthias Weidner (MW): Hallo, Esther!

ES: Und mit Johannes Beese, Hi!

Johannes Beese (JB): Hallo, Esther!

ES: Habt ihr schon mal einen echten Wolf in freier Wildbahn getroffen?

MW: Ich nicht, nein.

JB: Ich habe ja ganz ehrlich gesagt bei dieser Recherche immer ein bisschen drauf gehofft und hatte ein bisschen Angst davor. Aber Nein, leider noch nicht.

ES: Ja, ach schade. Genau, das erste Wolfs-Paar, das lebt nämlich seit 2000 schon wieder in Deutschland. Wisst ihr, wie viele Einzeltiere oder Rudel das jetzt mittlerweile eigentlich sind?

MW: Ja, da gibt es eine ziemlich genaue Statistik vom November 2022 also so zwei, drei Monate alt momentan. Da gibt es insgesamt 161 bestätigte Rudel, 43 Paare und 21 sogenannte territoriale Einzeltiere. So ein Rudel ist ungefähr fünf bis zehn Tiere groß. Das kann man also ganz grob abschätzen. Es könnten mindestens 900 Wölfe sein in Deutschland, maximal 1700. Und ich denke mal, es wird irgendwo dazwischen sein. Also so um die tausend.

ES: Und als der Wolf dann vor ja jetzt schon über 20 Jahren zurückgekommen ist, da haben wir uns ja eigentlich alle sehr gefreut. Ich habe das Gefühl, seit so ein paar Jahren, da kippt die Stimmung. Es gibt immer mehr Landwirte, die sich auch beklagen, auch aus Sorge um ihre Tiere. Weiß man denn, wie viele Nutztiere mittlerweile diesen Wölfen zum Opfer gefallen sind?

MW: Also wir haben die Zahlen genau recherchiert für Mitteldeutschland, also Sachsen, Sachsen-Anhalt, Thüringen. Und das sind relativ viele. Also in Sachsen hat sich die Zahl verdoppelt, im letzten Jahr. Da reden wir über mehr als 500 Tiere, die der Wolf geholt hat. In Sachsen-Anhalt ist es ähnlich schlimm. In Thüringen nicht ganz so schlimm, da hat sich der Wolf noch nicht so ausgebreitet. Aber es ist schon zu sehen, dass sich gerade in den letzten ein, zwei Jahren die Zahl der Wölfe und eben auch die Zahl der Risse in Sachsen wirklich dramatisch erhöht hat.

ES: Aber es ist schon so, dass die Landwirte auch dafür entschädigt werden, oder? Um mal so ein bisschen eine Lanze für den Wolf zu brechen.

MW: Wir können hier gerne eine Lanze für den Wolf brechen! Das geht ja immer so ein kleines bisschen unter. Wir sind uns ja alle im Grunde einig: Der Wolf ist wichtig, auch für das Ökosystem. Der Wolf, der entnimmt kranke und alte Tiere. Bevor es ihn hier gab, ging da eigentlich vieles schief und nicht nur Naturschützer, also wir alle sind im Grunde, wie kann man das sagen, schon schon froh, dass der Wolf wieder zurück ist, weil er einfach auch zu unserer Naturlandschaft dazugehört. Wir müssen nur jetzt, da es eben auch eine Kulturlandschaft ist, einfach auch da ein bisschen aufpassen, was der Wolf so nebenbei noch anrichtet. Und natürlich ist diese Entschädigung der Züchter und der Halter, die ihre Tiere verlieren, haben eben auch so einen Punkt, um zu sagen: gut, diese Menschen tragen jetzt die Lasten dessen, dass der Wolf wieder zurückgekommen ist. Deshalb gibt es da immer so ein paar hundert Euro, hängt ein bisschen ab von der Tierart. Am meisten werden ja Schafe gerissen. Und es wird, wenn klar ist, das wird immer in jedem Einzelfall untersucht, wenn klar ist, dass der Wolf das gerissen hat und wenn die Herde umzäunt war, wenn bestimmte Schutzmaßnahmen ergriffen wurden, werden die Landwirte auch entschädigt.

ES: Reichen diese paar hundert Euro?

JB: Also diese Entschädigung, die reichen natürlich für das einzelne Tier aus. Allerdings sorgen die natürlich auch für weit umfangreichere Schäden bei den eigentlichen Herden. Wenn wir zum Beispiel ganz kurz beim Beispiel von Ralf Nahrstedt bleiben. Der züchtet natürlich seine Tiere, und der Wolf hat vor allem im November angegriffen. Zu der Zeit paaren sich seine Tiere eigentlich. Wenn dort aber der Stress ist, weil die Tiere die ganze Zeit denken: Oh, der Wolf könnte wiederkommen, paaren die sich nicht. Und für dieses Jahr zum Beispiel gibt es dann gar keine Neugeburten. Das wären so um die 30 Tiere bei ihm gewesen. Die fallen aus, und die werden natürlich dann nicht entschädigt, weil die wurden natürlich nicht getötet in dem Fall. Das heißt, vor allem die Züchter bleiben dann auf massiven Kosten durch den Wolf eben einfach mal sitzen.

ES: Und wäre das eine Option, die Tiere noch besser zu schützen? Also der Herr Nahrstedt, der hat ja auch einen Zaun gebaut, der ist ja auch schon recht hoch, oder?

JB: Ja, also der Zaun ist mit 1,80 m entspricht jeder einzelnen Vorgabe. Es gibt einen Untergrabeschutz, weil die Wölfe sich gerne unten durchbuddeln. Der ist 60 Zentimeter höher, als es eigentlich sogar verlangt ist. Der Herr Nahrstedt kann nicht mehr viel machen in seinem Fall. Man könnte theoretisch noch das ganze Ding unter Strom setzen. Dafür müsste er dann aber auch wiederum selbst aufkommen. Das heißt also, viele Optionen hat er dann eigentlich auch nicht mehr.

MW: Also selbst aufkommen im Sinne von: er muss den Strom am Ende bezahlen. Es ist ja auch so, dass die Schutzmaßnahmen werden eben auch komplett oder zu großen Teilen auch von den Ländern gefördert. Also der Zaun bei Herrn Nahrstedt zum Beispiel würde jetzt 30.000 Euro nochmal kosten, um den zum Elektrozaun umzuwandeln. Das würde er komplett gefördert bekommen. Aber er sagt, es rechnet sich für ihn nicht, weil er ja dann den Strom bezahlen muss, später.

ES: Das heißt, ab irgendeinem Punkt ist dann dieser Konflikt einfach auch nicht mehr aufzulösen. Also wenn man mit den Schutzmaßnahmen einfach dann an einem bestimmten Punkt am Ende ist, quasi?

MW: Bei ihm war es ja so, dass er schon gedacht hat, er ist sicher. Der Zaun ist sehr hoch, der ist auch sehr fest. Und es ist eine ganz interessante Geschichte, die Johannes war da auch selber dabei. Man hat dort nämlich Wildkameras installiert bei ihm, und man hat etwas sehr erschreckendes, kann man fast sagen, festgestellt.

JB: Und zwar gab es da bei ihm immer die große Frage: wie kommt denn dieser Wolf oder die mehreren Wölfe eigentlich rein? Weil, wie gesagt, großer Zaun eigentlich kann der Wolf nicht unten drunter durchkommen.

ES: Die gehen auch noch in die Erde rein, ne?

JB: Genau, also ich glaube bis zu fast einen halben Meter in die Erde. Und wir waren dabei, als es ausgewertet wurde, und konnten alle unseren Augen eigentlich nicht glauben: Der Wolf ist über den Zaun drüber geklettert und hat sich oben auf dem Zaun gedreht und ist rückwärts den Zaun heruntergeklettert, wie man es von einem Menschen eigentlich fast erwarten würde. Also dieser 1,80 m Zaun hält keinen Wolf auf, der sozusagen einmal gelernt hat zu klettern.

ES: Okay, das heißt für Herrn Nahrstedt ist jetzt dieser Konflikt tatsächlich an einem Punkt, wo es eben nicht mehr weiter geht. Beziehungsweise nur noch zu einem bestimmten Punkt. Da kommen wir dann gleich auch noch einmal drauf zurück. Ihr habt aber auch mit einem Landwirt gesprochen, der Markus Tanne, der setzt tatsächlich Esel ein, zum Schutz seiner Herde, oder? Das fand ich eigentlich ganz süß!

JB: Ja, ganz genau. Und zwar hat er den Tipp von einem befreundeten Landwirt aus Sachsen-Anhalt bekommen, der auch schon auf die Esel schwört. Und zwar hat sich der Markus da drei Esel geholt, und die funktionieren in zwei Arten. Zum einen erst mal als Warnsignal, weil jeder, der einen Esel schon mal gehört hat, weiß die sind unglaublich laut, wenn die losschreien. Und sobald praktisch, wenn ein Wolf im Gehege ist, würden alle drei Esel laut losschreien. Und als zweites sind das wirklich gute Kämpfer und Verteidiger eben für in seinem Fall seine Rinderherde. Weil wenn die mit ihren Hufen zuschlagen, zutreten, das könnte selbst, ich sage jetzt mal einem ausgewachsenen Wolf, wirklich großen Schaden zufügen. Und er, man muss auch dazu sagen, hat bisher auch noch keinen Wolfs-Übergriff erlebt, obwohl er direkt neben einem Rudel lebt. Vielleicht haben seine Esel da auch schon ihren Teil dazu geleistet.

ES: Ihr zeigt in eurem Beitrag aber auch, dass der Wolf bei Oschatz ja zum Beispiel auch schon ins Dorf gekommen ist, um sich da so Überreste wie zum Beispiel Katzenfutter zu holen. Ihr habt dort mit einer Anwohnerin gesprochen. Die hat einen Wolf dort in der Nacht getroffen. Wir hören uns das mal ganz kurz an.

Das letzte Mal war ich zum Beispiel um halb zwölf spazieren, mit meinem Hund. Und da lief da 200-300 Meter von uns. (...) Ich habe sehr schnell mein Hund wieder angeleint und da sind wir sehr schnell wieder zurückgegangen, weil das war auch von weitem, haben Sie gesagt, ein Riesending. Wenn die so nah herankommen, wenn die direkt in den Garten kommen. Man weiß auch nicht, wie die dann reagieren. Man sagt, die sind scheu. Nein, sind sie nicht. Der ist stehengeblieben und hat uns angeguckt.

Nicole Härtel

ES: Kann so eine Situation für Menschen gefährlich werden, wenn man da nachts einem Wolf begegnet, auf der Straße?

MW: Also wir haben dazu auch mit den Wolfsexperten gesprochen, die es ja in jedem Bundesland gibt. Und die haben gesagt: eigentlich ist der Wolf menschenscheu, und der geht nicht auf die Menschen. Und es besteht eigentlich keine Gefahr. Aber wiederum auch die Einschränkung: er ist ein wildes Tier. Man weiß es nicht. Also niemand schließt aus, dass irgendetwas passiert. Aber, und das müssen wir wirklich festhalten, bisher ist in Deutschland nichts passiert. Der Wolf hat noch nie einen Menschen angegriffen. Er hat Hunde angegriffen. Das ist natürlich auch ärgerlich für viele Halter. Er hat auch Hunde schon getötet. Aber Menschen hat der Wolf in Deutschland noch nicht angegriffen.

ES: Was kann ich denn machen als Hundehalterin zum Beispiel, wenn ich nachts einem Wolf begegne?

MW: Also im Endeffekt verhält es sich genauso, wie wenn man einem, ich sage mal einem aggressiven Hund auf der Straße begegnet. Man soll keine raschen Bewegungen machen. Wenn man sich dann irgendwie zurückziehen möchte, dann soll man ganz langsam rückwärts laufen. Man soll den Wolf einfach nicht erschrecken. Es ist eben in dem Sinne ein wirklich verängstigtes Tier in dem Moment, das das nur angreift, wenn es sich selbst bedroht fühlt. Wenn man einen Hund dabei hat, das kann natürlich etwas erschwerend sein, weil der Wolf den ja eher als Bedrohung wahrnimmt als den Menschen. Da kann man sich dann einfach nur aus der Situation herausnehmen, ganz langsam rückwärts laufen. Und dann sollte einem eigentlich auch nichts passieren. Wie gesagt: Menschen wurden ja bisher auch noch nicht angegriffen.

MW: Es gibt, ich will jetzt mal ergänzen, eine etwas gruselige Liste von Wolfsübergriffen im Internet, wo auch tödliche Wolfsangriffe teilweise drin sind. Allerdings nicht in Deutschland. Der letzte, der da drin ist, der bekannte, ist am 16. Juni 2019 in Kurdistan im Iran passiert. Da ist ein vierjähriges Mädchen von einem Wolf angefallen worden und ist dann mehrere Kilometer weiter weg tot aufgefunden worden. Das sind alles Sachen, die können wir natürlich nicht nachprüfen, in Kurdistan. Wir selbst haben es nicht beobachtet, aber das ist schon eine Liste, also innerhalb der letzten zehn Jahre sind wohl weltweit acht bis neun Menschen von Wölfen getötet worden, keiner davon in Europa.

ES: Und so schlimm jeder einzelne Fall natürlich auch ist, muss man sagen: das, was du jetzt gerade gesagt hat, es ist jetzt auch eher eine geringe Zahl.

MW: Es ist, glaube ich, auch nicht vergleichbar, weil die Wölfe leben ja dort unter ganz anderen Bedingungen. Das klingt so ein bisschen wie Panikmache. Tödliche Übergriffe. Es scheint sie zu geben, weltweit. Aber wir müssen nicht davon ausgehen, dass da in Deutschland irgendeine Angst angebracht ist, deshalb.

ES: Um auf Herrn Nahrstedt zurückzukommen. Ihr erzählt im Film, dass auch der Landrat vom Landkreis Görlitz, der Herr Stephan Meyer von der CDU, der hat gefordert, dass auch dieser Wolf jetzt entnommen werden soll. So heißt das so schön in der Fachsprache. Das ist eine Entscheidung, die in Deutschland ja immer noch sehr selten ist. Das bedeutet nämlich, dass dieser Wolf geschossen werden darf. Wie läuft so was denn ab? Werden dann jetzt alle Jäger in der Umgebung informiert: Wenn ihr einen Wolf sieht, dann dürft ihr den auch töten?

MW: Das ist eine sehr gute Frage, die wir dem Landratsamt auch gestellt haben, und auch dem Landesumweltamt in Sachsen. Wir haben dort keine Auskunft bekommen. Und das ist in der Tat wirklich ein Problem, weil bei Herrn Nahrstedt geht es ja um konkret drei Wölfe, die da immer wieder einfallen. Und eigentlich sollte man die auch abschießen dürfen. Man kann die aber nicht erkennen. Wenn ich als Jäger auf meinem Hochstand sitze. Und sehe da in der schummrigen Waldlichtung irgendwo einen Wolf, weiß ich natürlich überhaupt nicht, ob das der richtige ist. Und das ist auch interessant, weil in Niedersachsen zum Beispiel gab es schon sieben von diesen Erlaubnissen der Entnahme, und es hat sich herausgestellt, dass sechsmal der falsche Wolf getroffen wurde, also gar nicht der, den man eigentlich entnehmen wollte. Wie man sich das da genau gedacht hat, das ist wirklich ehrlich gesagt, schleierhaft.

ES: Aber man kann sich das schon so vorstellen, dass dann eben jetzt eine Freigabe quasi für Jägerinnen und Jäger bekanntgegeben wird, in der drinsteht meinetwegen, wenn ihr einen Wolf seht - ja, wahrscheinlich eben nicht diesen – dann dürft ihr darauf schießen.

MW: Ja genau, so läuft’s ab.

ES: Abgesehen von diesen Genehmigungen gibt es aber auch immer wieder illegale Abschüsse.

MW: Genau, es gibt einfach Jäger, die einfach drauflosschießen. Es gibt auch sehr, sehr hohe Zahlen. So um die 80 sind es auch gewesen in den letzten 20 Jahren, seit der Wolf wieder hier ist. Da gibt es auch Strafen. Oft weiß man es nicht, da wird dann einfach irgendwo ein toter Wolf gefunden und so ein bisschen so wie Selbstjustiz. Vielleicht hatte er irgendwie dann keine Lust mehr und hat einfach selber dann losgelegt. Ist natürlich nicht gut.

ES: Wie findet man dann einen Wolf, wenn man einen Wolf sucht?

JB: Da waren wir in unserem Film ja mit Julia Kamp unterwegs. Sie ist eben auch so eine Fährten-Sucherin vom Landesumweltamt in Sachsen-Anhalt. Und da fängt man erst mal am Anfang an, dass man weiß, ungefähr, wo sich Rudel aufhalten könnten. Man kennt ungefähr eine Region oder einen Wald und erhofft sich dann meistens erst einmal Hinweise aus der Bevölkerung. Und sobald die dann da sind, wird man aktiv. Und da kommt eine Sache den Menschen jetzt wirklich zugute, und zwar, dass Wölfe faul sind. Wölfe laufen gerne auf denselben befestigten Wegen, die wir Menschen halt eben auch gerne gehen. Das heißt, wenn man im Endeffekt einfach diese schönen Strecken im Wald entlang geht, die man eh lang läuft und die Augen ein bisschen offen hat, irgendwann wird man dann zum Beispiel Pfoten-Abrücke auf dem Boden erkennen, und die sind beim Wolf recht einzigartig. Und zwar läuft der nämlich so, dass seine Tatzen immer auf denselben Abdruck laufen. Also die linke und die rechte Pfote landen immer auf derselben Stelle. Und wenn sich das wiederum für ein paar Meter zieht, dann weiß man: okay, in dieser Gegend könnte sich ein Wolf befinden. Eine andere Sache ist eben auch, darauf sind dann die Spezialisten geschult, dass man auch zum Beispiel den Kot oder die Losungen wie das beim Wolf eben auch heißt, erkennt. Die sehen dann praktisch, was am Wegesrand liegt und wissen direkt: Ah, das war jetzt kein Hund, sondern das war ein Wolf. Da gibt es dann verschiedene Maßgaben, zum Beispiel die Länge, Konsistenz und Farbe oder zum Beispiel auch den Geruch. Und darin erkennt man das dann. Und dann werden in diesen Gegenden zum Beispiel Wildkameras aufgehangen, damit man dann auch wirklich den Beweis hat, dass die Wölfe dort sind. Man muss natürlich auch dazu sagen, das Ziel dabei ist nicht wirklich die Konfrontation mit dem Wolf, sondern man möchte wissen, wie viele Wölfe da sind. Und man möchte ihnen nicht begegnen, weil man weiß eben nie ganz genau, wenn man den Wolf jetzt in eine Stresssituation packt, was dann wirklich passieren könnte. Das dient rein der Einordnung und das Tracking.

ES: Okay, das heißt die Frau Kamp, die ihr dort begleitet hat, die macht das tatsächlich nur zu Forschungszwecken.

Jetzt ist es ja bei anderen Wildtieren durchaus üblich, dass da auch auf die geschossen wird. Also in Deutschland werden im Jahr circa 70.000 Stück Rotwild getötet und auch eine ganze Menge Wildschweine, weil die eben ja auch einigen Schaden im Wald einrichten, wenn die sich zum Beispiel ungehindert vermehren. Was ist denn bei dem Wolf anders, dass man sagt: da wollen wir das jetzt eigentlich nicht.

MW: Es ist ganz klar, dass der Wolf sehr, sehr stark geschützt ist. Also der steht wirklich unter Artenschutz. Und der darf im Grunde grundsätzlich nicht abgeschossen werden. Liegt eben auch daran, dass es momentan noch nicht so viele gibt. Es ist ja gerade erst mal 20 Jahre her, dass er wieder zurückgekommen ist. Und es deutet sich aber momentan an, da gibt es auch Initiativen bei der EU, auch die CDU zum Beispiel in Deutschland hat sich dafür stark gemacht, dass man das mal überdenken möchte, dass man jetzt doch auch die Population stärker begrenzen möchte. Das sind allerdings alles nur erste Vorschläge. Und das könnte dann eben auch dazu führen, dass es auch möglicherweise Abschussquoten für den Wolf gibt, irgendwann in der Zukunft. So weit sind wir noch lange nicht.

ES: Ich habe aber auch mal nachgeguckt, der Naturschutzbund Deutschland, der Nabu, der sagt auf deren Website, dass man den Wolf eigentlich überhaupt gar nicht jagen müsse, weil ja sowieso immer nur wenig Wölfe auf einem Gebiet leben. Und wenn dieses Gebiet voll ist, dann bekommen die auch weniger Nachkommen. Wisst ihr, was da dran ist, dass sich das sozusagen automatisch reguliert?

MW: Es ist schon so. Also die Rudel, die haben ja den Nachwuchs. Und irgendwann ist das Rudel dann zu groß. Und dann verlassen Wölfe das Rudel und bilden irgendwo ein neues Rudel. Und die sind relativ stationär. Die bleiben dann auch da, wo sie sind. Und da ist auch nicht episch Platz. Und die achten auch untereinander darauf, dass sie alle genug Platz haben. Also im Prinzip ist das auch so. Die würden sich dann auch nicht unbegrenzt vermehren. Aber trotzdem gibt es ja Menschen, die sagen auch so, wie es jetzt ist in der Lausitz zum Beispiel, wo wirklich die meisten Wölfe sind jetzt pro Quadratkilometer gesehen in Sachsen. Da gibt es eben Menschen, die sagen: selbst diese begrenzte Vermehrung, die die Wölfe selber anstreben, ist noch zu viel für die Menschen. Und die wollen selbst da noch eingreifen.

ES: Genau das ist dann ja eine Frage der Perspektive, was wenig Wölfe sind, für die Landwirte etwas anderes als für den Nabu.

Matthias Weidner und Johannes Beese, ich danke euch, dass ihr euch die Zeit genommen habt.

MW: Gerne!

ES: Das war der Podcast "MDR Investigativ - Hinter der Recherche". Der Film mit dem Titel "Görlitzer Landrat fordert Wolf-Abschuss", den finden Sie in der ARD Mediathek und auf der Website des MDR. Die nächste Folge dieses Podcast, die hören Sie in zwei Wochen und zwar wieder mit meiner Kollegin Secilia Kloppmann. Wenn Sie das nicht verpassen wollen, dann können Sie uns einfach folgen beziehungsweise abonnieren, das heißt immer ein bisschen unterschiedlich, je nachdem, welchen Podcast-Player Sie benutzen. In der Zwischenzeit finden Sie übrigens viele weitere spannende Reportagen auf dem Youtube-Kanal von MDR Investigativ und auf der Website des MDR. Wir hören uns in einem Monat wieder machen Sie es gut und bleiben Sie gesund!

Dieses Thema im Programm:MDR FERNSEHEN | Exakt | 25. Januar 2023 | 20:15 Uhr