"Europa ganz nah" Was Europa mit uns macht

20. Mai 2019, 06:00 Uhr

Wer die EU verstehen möchte, braucht nicht nach Brüssel zu reisen. Es reicht ein Blick auf die Straße, ins Nachbarhaus oder ins nächste Dorf. Denn die Europäische Union bestimmt das Leben der Menschen in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen viel stärker, als manche vermuten.

EU – für viele stehen diese zwei Buchstaben für ein abstraktes bürokratisches Gebilde im fernen Brüssel. Doch in der Praxis stellt sich ein ganz anderes Bild dar: Es genügt ein Blick auf die Straße, ins Nachbarhaus oder ins nächste Dorf, um Auswirkungen der EU wahrzunehmen.

Etwa im kleinen, ländlichen Huy im westlichen Sachsen-Anhalt. Die Gemeinde besteht aus mehreren Ortschaften und steht prototypisch für eine erfolgreiche Förderpolitik der EU in vermeintlich abgehängten, ländlichen Räumen.

EU-Förderung 6 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
6 min

Wie viel EU steckt eigentlich in unseren Kommunen und wohin genau sind die Fördermittel geflossen?

Exakt Mi 22.05.2019 20:15Uhr 06:11 min

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Fast 1,8 Millionen Euro für Gemeinde Huy

Seit 2009 sind rund 1,78 Millionen Euro Fördermittel von der EU in die Gemeinde geflossen. Diese finanziellen Unterstützungen lösten Gesamtinvestitionen von rund 3,83 Millionen Euro aus. Denn die EU finanziert Projekte nicht zu 100 Prozent. Jedem Euro Fördermittel stehen Eigenmittel gegenüber. Die müssen die Projekt-Initiatoren aufbringen.

Die Frage, wo die Gemeinde Huy heute ohne das Geld aus Brüssel stünde, ist hypothetisch. Es ist aber unbestritten, dass die Region massiv von den Fördermitteln der EU profitiert. Genauso wie ganz Mitteldeutschland: In der aktuellen, von 2014 bis 2020 laufenden Förderperiode fließen mindestens 14,6 Milliarden Euro nach Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen.

Mitteldeutschland profitiert von EU

Keine Region profitiert so stark von EU-Geldern wie die drei mitteldeutschen Länder. Die derzeit fließenden 14,6 Milliarden Euro machen 21,3% der gesamten in Deutschland investierten Fördersumme von mindestens 68,5 Milliarden Euro aus.

Rechnet man die Fördersumme auf einen Pro-Kopf-Wert um, stehen vor allem Sachsen-Anhalter ziemlich gut da. In der Förderperiode von 2014 bis 2020 investiert die EU pro Kopf jährlich eine Summe von 344,16 Euro in das Bundesland. Das ist deutlich mehr, als jeder Deutsche im Schnitt in den EU-Haushalt einzahlt (2017: 237 Euro).

Sachsen-Anhalter bekommen mehr, als sie zahlen

Noch besser auswerten lässt sich der vorherige Förderzeitraum 2007 bis 2013, da hier bereits alle Zahlen vorliegen. In diesem Zeitraum hat im Schnitt jeder Deutsche jährlich 249 Euro nach Brüssel überwiesen, insgesamt 1.743 Euro.

91,5 Milliarden Euro investierte die EU wieder zurück nach Deutschland, 1.105 Euro durchschnittlich pro Kopf. Mitteldeutschland als wirtschaftlich schwächere Region profitierte stärker davon als andere Regionen. Rechnet man die Gesamtförderungen auf einen Pro-Kopf-Wert um, investierte die EU über den gesamten Förderzeitraum 1.813 Euro in jeden Sachsen, 2.611 Euro in jeden Sachsen-Anhalter und 2.233 Euro in jeden Thüringer.

Damit investierte die EU in den sieben Jahren mehr in die jeweiligen Bundesländer, als diese einzahlten. Auf einen Pro-Kopf-Wert umgerechnet erhielt jeder Sachse 70 Euro mehr aus dem EU-Topf, als er einzahlte. In Thüringen betrug das Plus 490 Euro, in Sachsen-Anhalt sogar 868 Euro. Das ist zwar ein statistischer Wert, der nicht direkt im Portemonnaie spürbar ist. Aber am Ende profitiert von Infrastrukturprojekten und Wirtschaftsförderung das ganze Land.

Eine EU-Unterstützung können Kommunen, Privatpersonen, Unternehmer, Vereine sowie Kirchen erhalten. Für alle gelten andere Fördermittelsätze, die bis zu 80 Prozent betragen können. In der Gemeinde Huy im Norden Sachsen-Anhalts wurden mehrere Projekte aus unterschiedlichen Fördertöpfen mitfinanziert. Wir stellen einige der Projekte vor:

Der Regionalmanager

Den Radweg im Gleisbett einer stillgelegten Bahnstrecke wünschte sich die Gemeinde Huy schon seit vielen Jahren, doch wie sollte man die Idee finanziell umsetzen? Es wurde eine Mischung aus Fördertöpfen der EU, des Bundes und des Landes Sachsen-Anhalt: 320.000 Euro kamen von der EU, dazu 693.000 Euro vom Bund und weitere 840.000 Euro vom Land Sachsen-Anhalt.

Der Radweg ist noch nicht komplett fertig, trotzdem hat sich der bürokratische Aufwand für die Gemeinde Huy schon jetzt gelohnt. "Alles, was Regionen liebens- und lebenswert macht, wäre ohne Förderungen nicht entstanden. Die Menschen nehmen das leider nicht wahr", sagt Michael Schmidt, der sich vor Ort um EU-Fördermittel für die Gemeinde kümmert.

Mann 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
2 min

Regionalmanager Michael Schmidt begleitet die Gemeinde Huy schon seit etlichen Jahren durch den Bürokratie-Dschungel der EU-Förderungen.

Fr 17.05.2019 22:20Uhr 02:08 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wahlen/europawahl/video-301754.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Die Landwirte

Kein EU-Topf ist so groß wie der Fonds für eine gemeinsame Agrarpolitik. Dieser teilt sich in den europäischen Landwirtschaftsfonds für die Entwicklung des ländlichen Raums (ELER) und den Europäischen Garantiefonds für die Landwirtschaft (EGFL). Bei Letzterem handelt es sich um Direktzahlungen an Landwirte. Sie sollen als finanzieller Ausgleich dienen, da in der EU höhere Umweltschutz-, Tierschutz- und Verbraucherschutzstandards gelten als in vielen Nicht-EU-Ländern.

Die Höhe der Direktzahlungen orientiert sich zum Teil an der Fläche, die ein landwirtschaftlicher Betrieb bewirtschaftet, aber auch daran, was er anbaut und ob er für Umwelt- und Klimaschutz sorgt.

Bei vielen Bauern machen die EU-Subventionen einen erheblichen Anteil des Umsatzes aus. So auch bei Rüdiger Bothe, einem Landwirt aus der Gemeinde Huy. Er hat im Jahr 2017 etwa 150.000 Euro aus Brüssel bekommen, das war ungefähr ein Drittel seines Jahresumsatzes.

Die EU-Subventionen sind für ihn ein wichtiger Ausgleich für Fixkosten, die für deutsche Bauern vergleichsweise hoch sind. Vor allem die Kosten für die Pacht seien für einen Betrieb seiner Größe gigantisch, sagt Bothe.

Mit seinem Betrieb sichert er nicht nur seinen eigenen Lebensunterhalt, er hat vier festangestellte Mitarbeiter und beschäftigt bis zu 15 Saisonkräfte. Trotzdem sitzt er nicht nur im Büro, sondern steigt noch täglich selbst auf den Traktor. "Ohne das EU-Geld würden wir nicht existieren", ist sich der Landwirt sicher.

Landwirt Rüdiger Bothe in seinem Büro 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
2 min

Landwirt Rüdiger Bothe kämpft mit den bürokratischen Hürden für Gelder von der EU.

Fr 17.05.2019 15:51Uhr 02:01 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wahlen/europawahl/video-301564.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video
Logo der Hörfunkwelle MDR AKTUELL 3 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
3 min

MDR AKTUELL Di 22.10.2019 14:21Uhr 03:07 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wahlen/europawahl/audio-1200224.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Die Unternehmer

Hans-Günter Demmel ist mit seinen 80 Jahren eigentlich längst im wohlverdienten Ruhestand. Doch entspannt die Rente genießen ist nichts für ihn. Vor zehn Jahren gründete Demmel sein Unternehmen: Eine Destillerie, in der Whiskey, Gin und Obstbrände gebrannt werden.

Seit 2015 gibt es auf dem Gelände eines ehemaligen Gutshofs auch noch ein Gästehaus. Weil die Nachfrage nach seinen Spirituosen so hoch ist, will Demmel nun in eine größere Destille investieren – wieder mit Hilfe der EU.

Zwei Männer 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
2 min

Unternehmer Hans-Günter Demmel wurde von der EU mit dem "Leader-Programm" unterstützt. Er sagt: "Wir hätten es kaum allein schaffen können."

Fr 17.05.2019 22:20Uhr 02:13 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wahlen/europawahl/video-301752.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video
Logo der Hörfunkwelle MDR AKTUELL 3 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
3 min

MDR AKTUELL Di 22.10.2019 14:21Uhr 03:07 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wahlen/europawahl/audio-1200226.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Die Familie

Am südlichen Ortsrand von Dingelstedt steht das denkmalgeschützte Bauernhaus von Familie Hiller. 2002 hat die Familie begonnen, das Haus mit viel Eigenarbeit zu sanieren. Derzeit wird ein weiterer Teil des Hauses ausgebaut, damit das alte Gebäude der Familie künftig komplett als Wohnraum dienen kann.

Da es sich bei dem Haus um ein denkmalgeschütztes Gebäude handelt, hat Familie Hiller Unterstützung aus Brüssel erhalten. Denn es ist erklärtes Ziel der EU, die Lebensqualität im ländlichen Raum aufrecht zu erhalten und jungen Familien mit Kind eine Zukunftsperspektive außerhalb der großen Metropolregionen zu bieten.

Mann und Frau 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
2 min

Familie Hiller hat ihr denkmalgeschütztes Bauernhaus in Eigenarbeit saniert - dafür bekam sie finanzielle Unterstützung aus Brüssel.

Fr 17.05.2019 22:21Uhr 01:57 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wahlen/europawahl/video-301756.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video

Die Politiker

Horst Schnellhardt war von 1994 bis 2014 Abgeordneter im Europaparlament. Ein Mann mit 20 Jahren Erfahrung in Brüssel und Straßburg.

Schon seit 1970 lebt der gebürtige Thüringer in seiner Wahlheimat im Harz. Von hier aus organisiert er als Vorsitzender des von ihm gegründeten Europaclubs Harz noch heute Busreisen zu den EU-Einrichtungen in Straßburg, Luxemburg und Brüssel und ist auch sonst weiter aktiv bei der Umsetzung von EU-Projekten in der Region rund um Huy.

Unterstützung bekommt er dabei von Thomas Krüger, früher Leiter des Magdeburger Büros des Europaabgeordneten, heute Bürgermeister der Gemeinde Huy. Krüger und Schnellhardt sind bekennende Europäer und haben auch mithilfe von EU-Geldern viel bewegt in der Region.

Außerdem widersprechen beide dem hartnäckigen Klischee vom Bürokratiemonster EU. "Für die kleinen Orte ist die Bürokratie das entscheidende Problem. Die aber nicht von der EU gemacht wird, sondern von den Ländern. Das bremst viele gute Aktionen gerade in kleinen Kommunen aus", sagt Schnellhardt und Krüger pflichtet ihm bei: "Der EU wird gerne die Schuld zugeschoben, in den seltensten Fällen kriegen es die Menschen mit, dass es nicht nur an der EU liegt, sondern an der Bundes- oder Landesregierung."

Thomas Krüger, Bürgermeister der Gemeinde Huy. 2 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
2 min

Thomas Krüger ist der Bürgermeister der Gemeinde Huy. Er sagt: "Ohne die EU und ohne die Fördermittel könnte hier Vieles nicht stattfinden".

Fr 17.05.2019 15:54Uhr 02:23 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wahlen/europawahl/video-301566.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Video
Logo der Hörfunkwelle MDR AKTUELL 3 min
Bildrechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK
3 min

MDR AKTUELL Di 22.10.2019 14:22Uhr 03:07 min

https://www.mdr.de/nachrichten/deutschland/wahlen/europawahl/audio-1200228.html

Rechte: MITTELDEUTSCHER RUNDFUNK

Audio

Dieses Thema im Programm: MDR FERNSEHEN | MDR AKTUELL | 20. Mai 2019 | 21:45 Uhr

Mehr aus Deutschland