Gleichheit Warum der Begriff "Rasse" aus dem Grundgesetz gestrichen werden soll
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Nach dem Tod George Floyds diskutiert alle Welt über Rassismus. Politiker in Deutschland diskutieren, ob man den Begriff Rasse aus dem Grundgesetz streichen sollte. Das haben die Grünen jetzt – erneut – vorgeschlagen. Die Initiative Schwarzer Menschen fordert, rassistisches Handeln anstelle der Betroffenen in den Fokus zu rücken.

Hendrik Cremer fühlt sich bestätigt. Er setzt sich seit Jahren dafür ein, den Begriff Rasse aus der Verfassung zu tilgen.
Betroffene von rassistischer Diskriminierung sind im Grunde gezwungen, sich einer bestimmten Rasse zuzuordnen und sind damit auch gezwungen, rassistische Terminologie zu verwenden.
Rassentheorien sind wissenschaftlich nicht haltbar
Cremer arbeitet beim Deutschen Institut für Menschenrechte. Sein Arbeitsschwerpunkt: Rassismus. In Grundgesetzartikel 3 / Absatz 3 steht kurz gesagt, dass niemand wegen seiner Rasse benachteiligt werden darf. Für Cremer ist das schwer erträglich. Der Begriff Rasse im Grundgesetz suggeriere, dass es tatsächlich auch unterschiedliche menschliche Rassen gebe.
Vor allem im 19. und in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts waren Rassentheorien einflussreich. Sie teilen Menschen in Rassen – nach Hautfarbe, Kopfform, angeblicher Fähigkeiten. Inzwischen gelten die Theorien als überholt und wissenschaftlich nicht haltbar. Die Biologie geht von einer Art aus – dem Homo Sapiens. Ohne Rassen, ohne Unterarten.
Was hat der Begriff also immer noch im Grundgesetz zu suchen? Das sei tatsächlich fraglich, meint auch Dr. Alexander Thiele vom Institut für Allgemeine Staatslehre und Politische Wissenschaften an der Uni Göttingen. Angesichts dieses perpetuierenden Effekts sozusagen, dass das Grundgesetz, wenn man so wolle, die Einteilung nach Rassen irgendwie anerkenne, spreche schon einiges dafür, den Begriff zu streichen.
Der Begriff "Rasse"
Der Begriff "Rasse" ist nicht vergleichbar mit dem englischen Begriff "race". Während "race" etwa in den USA in einem soziokulturellen Kontext von selbst definierten Zuordnungen zu Gruppen und Communities oder um Kämpfe sozialer Gerechtigkeit steht, ist das bei "Rasse" nicht der Fall. Im Kontext des Begriffs "Rasse" fehlt die systematische Behandlung von damit verbundenen, ethnisierenden Stereotypen weitestgehend. Politische Initiativen, den Begriff aus dem Grundgesetz zu streichen, waren bisher nicht erfolgreich. Die Verfassungen der Länder Thüringen, Mecklenburg-Vorpommern und Brandenburg wurden dagegen bereits in Bezug auf rassistische Diskriminierung geändert.
Rassistisches Handeln soll im Fokus stehen
Mit dem fraglichen Artikel kennt er sich bestens aus. Gemeinsam mit anderen Juristen schreibt er Grundgesetz-Kommentare. Das sind dicke Bücher, die einzelne Artikel analysieren. Thiele nimmt dabei nicht nur bestehende Normen auseinander, sondern macht sich auch Gedanken über Alternativen:
"Andererseits muss man natürlich festhalten, dass rassistische Diskriminierungen ja stattfinden." Also würde das völlige Streichen möglicherweise zu weit gehen. Besser erschiene es Thiele, den Begriff zu ersetzen. Es dürften keine Schutzlücken entstehen.
Richtiger Gedanke, sagt auch Tahir Della - gerade ein gefragter Mann, er ist Sprecher der Initiative Schwarze Menschen in Deutschland: "Streichen nein, sondern: ersetzen durch." Und zwar ausdrücklich nicht durch ein Synonym:
Wir wollen dahin kommen, dass wir sagen: Das Handeln an sich muss beschrieben werden. Also, wenn jemand rassistisch handelt, das muss in den Fokus geraten und nicht diejenigen, die davon betroffen sind.
Zweidrittelmehrheit erforderlich
Dellas Vorschlag: Niemand darf aus rassistischen Gründen diskriminiert werden. Und auch Rechtswissenschaftler Cremer schlägt in der Formulierung eine Grundgesetzänderung vor, wonach "rassistische" Diskriminierung verboten wäre.
Auch auf bundespolitischer Ebene sehen den Begriff Rasse im Grundgesetz plötzlich viele kritisch – bis hin zu Spitzenpolitikern der Großen Koalition. Besonders kompliziert wäre eine Änderung übrigens nicht, so Staatsrechtler Thiele. Das Verfahren sei ziemlich einfach – in Anführungsstrichen. Man brauche eine Zweidrittelmehrheit im Bundestag und im Bundesrat. Bei diesem Thema sei das doch durchaus realistisch, sagt Thiele.
Dieses Thema im Programm: MDR AKTUELL RADIO | 12. Juni 2020 | 06:10 Uhr
frank d vor 31 Wochen
@Der Beobachter: sie schreiben da der Neandertaler sei dem
Homo Sapiens Sapiens genetisch unterlegen gewesen und deshalb verdrängt und oder assimiliert worden? Das war aber jetzt ein böses Eigentor.
Sapere Aude
Roberto vor 31 Wochen
"Also soll das Offensichtliche (Hautfarbe oder Kopfform) einfach so behandelt werden, als ob es das gar nicht gibt? " - Warum stellen Sie solche kruden Thesen auf? Hat das irgendwer behauptet?
Roberto vor 31 Wochen
"Glaubt man bei den Initiatoren ernsthaft, dass man nur einen Begriff im GG streichen muss, um tatsächlich vorhandenen Rassismus einfach so loszuwerden? " - Hat das irgendwer behauptet?