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Trotz Beobachtung durch Verfassungsschutz: Ohne Hans-Thomas Tillschneider geht kaum noch was in der AfD Sachsen-Anhalt. Bildrechte: imago/Christian Schroedter

ExtremismusHans-Thomas Tillschneider, die AfD und der Verfassungsschutz

23. September 2020, 06:39 Uhr

Der neue Landesvize der AfD in Sachsen-Anhalt sieht seine Partei als "einzigen Verfassungsschutz im Land". Dabei wird er selbst vom echten Verfassungsschutz beobachtet. Die Wahl Tillschneiders zeigt, wie sicher sich die Rechtsaußen der Partei hier fühlen. Beim Parteitag in Dessau durfte zudem auch ein Mitglied abstimmen, das zuletzt noch offen die rechtsextreme Identitäre Bewegung unterstützt hatte.

Der Verfassungsschutz dürfte demnächst bestens über die Vorgänge in der AfD Sachsen-Anhalt informiert sein. Seit Februar überwacht man den Landtagsabgeordneten Hans-Thomas Tillschneider mit nachrichtendienstlichen Mitteln, kann Telefonate abhören und E-Mails mitlesen. Tillschneider steht damit in einer Reihe mit Björn Höcke und Andreas Kalbitz. Und seit Sonntag steht er auch in vorderster Reihe der AfD Sachsen-Anhalt: Trotz der Beobachtung wählten die Parteimitglieder Tillschneider beim Parteitag in Dessau zum stellvertretenden Landesvorsitzenden.

Fast hundertmal in Gutachten des Verfassungsschutzes erwähnt

Mit 84 Prozent stimmte eine breite Mehrheit für den 42-jährigen Tillschneider. Es war bereits sein dritter Anlauf, seit er 2014 aus dem Landesverband Sachsen nach Sachsen-Anhalt gewechselt war. Noch 2015 und 2018 war er bei den Vorstandswahlen durchgefallen. Auch ein Versuch, in den Bundesvorstand einzuziehen, scheiterte. Umso mehr ist seine jetzige Wahl ein Signal des völkischen und nur oberflächlichen aufgelösten "Flügel"-Netzwerks in der AfD: Seht her, wir lassen uns nicht einschüchtern. Das richtet sich neben dem Verfassungsschutz vor allem an den AfD-Bundessprecher Jörg Meuthen und all jene, die zuletzt einen Parteiausschluss des Brandenburger "Flügel"-Kopfes Andreas Kalbitz vorangetrieben hatten.

Denn Tillschneider ist seit Beginn der AfD eine der Hauptfiguren in der Frage, ob die Partei rechtsextrem ist. Deutlich wird sein Denken in einer angeblichen Klarstellung aus dem vergangenen Dezember. Der Verfassungsschutz hatte Tillschneider zuvor fast hundertmal in einem Gutachten über "Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung" innerhalb der AfD zitiert.

Laut den dort gelisteten Aussagen von Tillschneider seien Staat und Demokratie etwa "deformiert". Der Islam habe sich in den "kranken" westeuropäischen Gesellschaften "eingenistet" und "Parallelgesellschaften" gebildet, "die wie ein Baumpilz am Stamm der deutschen Eiche wuchern". Ein Einwanderungsgesetz bräuchte es "nur als Gesetz gegen, aber nicht als Gesetz für Einwanderung". Doch Tillschneider erklärte: alles missverständlich zwar, aber doch grundgesetzkonform. Davon ließ sich der Verfassungsschutz nicht überzeugen. Wenige Monate später folgte die Beobachtung des "Flügels" und Tillschneiders.

Tillschneider: AfD ist "einziger Verfassungsschutz im Land"

Bei seiner Vorstellungsrede am Sonntag hatte er selbst über den Verfassungsschutz gesprochen. All jene, die auf dessen Einschätzung vertrauten, nannte der Politiker "ziemlich blöd". Eine Einsicht hört sich anders an. Unter dem Jubel seiner Partei sagte er: "Wir, die AfD, sind der einzige Verfassungsschutz in diesem Land."

Wie gut dieser "AfD-Verfassungsschutz" funktioniert, zeigt etwa die Anwesenheit von Steven H. beim Landesparteitag. Über H. ist seit spätestens Ende 2016 bekannt, dass er sich sowohl bei der AfD und ihrer Jugendorganisation der Jungen Alternative engagiert hat als auch bei der rechtsextremen, vom Verfassungsschutz beobachteten Identitären Bewegung. So war H. Ordner auf einem IB-Festival in Dresden, lief in der ersten Reihe einer Demo in Berlin und beteiligte sich an IB-Infoständen in den Innenstädten von Magdeburg und Halle. Sogar als die New York Times im Dezember 2018 über die Identitären in Halle berichtete, ließ H. sich offenbar bereitwillig fotografieren.

Die Identitäre Bewegung steht auf der sogenannten Unvereinbarkeitsliste der AfD. Dennoch saß Steven H. am Sonntag unter den Mitgliedern der AfD in Dessau und stimmte mit ab. Das zeigt ein Foto der DPA. Auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT erklärte der Chef von H.s bisherigen Kreisverband, dass dieser dort nicht mehr Mitglied sei. Der Landesverband ließ eine Anfrage am Dienstag unbeantwortet.

Tillschneiders Anfänge mit der Patriotischen Plattform

Auch Neu-Landesvize-Tillschneider hat lange mit der Identitären Bewegung zusammengearbeitet. Im September 2017 eröffnete er ein Büro in einem Haus in Halle, das die Aktivisten als Wohnprojekt nutzten. Zuvor war er seit 2015 als Fürsprecher des rechten Kampagnennetzwerks Ein Prozent aufgetreten. Hier hatten sich neben der AfD mehrere Vertreter zusammengetan, die mittlerweile alle den Verfassungsschutz beschäftigen: Identitäre, das rechte Medium "Compact" und der Gründer des in Sachsen-Anhalt ansässigen Instituts für Staatspolitik, Götz Kubitschek – Stichwortgeber der Identitären.

Die Biografie von Hans-Thomas Tillschneider

Hans-Thomas Tillschneider wurde 1978 in Timișoara, Rumänien geboren. Der Islamwissenschaftler und ehemalige Stipendiat der Studienstiftung des deutschen Volkes hat in Freiburg, Damaskus und Leipzig studiert und unter anderem in Bayreuth gearbeitet. Seit 2016 sitzt er als direkt gewählter Abgeordneter der AfD im Landtag von Magdeburg. Die Beobachtung durch den Verfassungsschutz betrifft nicht seine Arbeit als Landtagsabgeordneter.

Blick auf das mit Farbe beschmierte Haus der Identitären Bewegung in der Adam-Kuckhoff-Straße 16 in Halle Bildrechte: MDR/Tanita Steckel

Tillschneider hatte sich zuvor vehement für eine Aufnahme Kubitscheks in die AfD eingesetzt. Als der Bundesvorstand unter Bernd Lucke im April 2015 gegen die Aufnahme intervenierte, drohte Tillschneider mit seinem Austritt. Kubitschek und Kositza wurden nicht aufgenommen, Tillschneider blieb. Drei Monate später sah er Lucke abtreten. Nochmal zwei Jahre später die folgende Bundessprecherin und "Flügel"-Gegnerin Frauke Petry.

Tillschneider hat früh erkannt, welches völkische und extrem rechte Potenzial in der anfangs noch neoliberalen und eurokritischen AfD lag. Als einer der ersten suchte er den Schulterschluss zur völkischen Bewegung PEGIDA. 2014 gründete er die "Patriotische Plattform", die den späteren "Flügel" vorweg nahm. Die Mitglieder der Plattform provozierten in der Folge mit immer schrilleren Aussagen und trieben die Radikalisierung der AfD voran. Als man sich 2018 dennoch auflöste, sagte Tillschneider:

Wir können alles, was wir sagen und tun wollen, auch auf allen Ebenen der AfD sagen und tun.

Hans-Thomas Tillschneider, nach der Auflösung der "Patriotischen Plattform" 2018

So hat Tillschneider seine Position in der Landes-AfD gesichert

Dass Tillschneider in der AfD dennoch längst nicht in ein höheres Amt gelangt war, dürfte neben seinen Positionen auch an seiner wenig volkstümlichen Art liegen. Seine Anzüge sind immer etwas schicker als die der Kollegen, seine Sprache erinnert mitunter an die 1920er-Jahre. So bezeichnete er sich am Sonntag als "Adjutant" in der Armee des Landeschefs. Dennoch hat er es zuletzt geschafft, sich in der Landes-AfD unentbehrlich zu machen.

So war Alt- und Neu-Landeschef Reichardt eine Woche vor dem Landesparteitag zum Direktkandidaten für die Bundestagswahl 2021 gewählt worden – nicht in seiner Heimat, der Börde, sondern im Süden, für den Wahlkreis Burgenland – Saalekreis. Der Kreisverband Börde soll ihm zuvor die Unterstützung versagt haben. Hans-Thomas Tillschneider hatte Reichardts Platzwechsel deutlich unterstützt.

Einen Tag später beschlossen der Landesvorstand der AfD und die Kreisvorstände unter Reichardts Führung, wie die Führungsriege des Verbandes künftig aussehen soll. Tillschneider wurde als einer von zwei stellvertretenden Vorsitzenden vorgeschlagen.

Die beiden Vorgänge legen nahe, dass Tillschneider auch das beherrscht, was er anderen Parteien vorwirft: Machtspielchen und Klüngel. Schon der ehemalige Landeschef Poggenburg hatte Tillschneider vorgeworfen, gegen ihn intrigiert zu haben.

Poggenburg ist in der AfD Sachsen-Anhalt längst Geschichte. Auch seinen AfD-Gegenspieler im Saalekreis, Landtagsvizepräsident Willi Mittelstädt, dürfte Tillschneider seit Sonntag endgültig neutralisiert haben. 2018 hatte der Landesvorstand der AfD darüber abstimmen sollen, Tillschneider als Kreisverbandschef im Saalekreis abzusetzen. Mehrere Mitglieder hatten sich das gewünscht. Allerdings sollen einige Mitglieder des Landesvorstands durch Verlassen der Sitzung eine Abstimmung verhindert haben, schrieb die Mitteldeutsche Zeitung damals.

Tillschneider und der Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt

In dieser Zeit war Tillschneider dennoch bundes- und landesweit unter Druck und von seinem jetzigen Posten meilenweit entfernt. Das zeigte sich auch in seinem Umgang mit dem Verfassungsschutz. Obwohl er dessen Rechtmäßigkeit damals wie heute infragestellte, gab er sein Büro bei der IB in Halle ebenso auf wie die Patriotische Plattform. Er schrieb, von der IB müsse man sich "in Freundschaft (…) entkoppeln", da sich sonst "von ihr aus die AfD in Angriff nehmen" ließe. Die AfD solle außerdem "maximal fundiert, maximal seriös" gegen die Behörden vorgehen. Dabei führte Tillschneider zur selben Zeit selbst Einschätzungen der Verfassungsbehörden bereits gegen interne Gegner ins Felde.

Jetzt aber, wo Tillschneider sich einer breiten Unterstützung sicher weiß, ist wieder jeder "ziemlich blöd", der auf den Verfassungsschutz hört.

Am Sonntagabend veröffentlichte er eine kurze Stellungnahme zu seiner Wahl auf YouTube. Der Verfassungsschutz werde von der Regierung "missbraucht", sagt Tillschneider darin einmal mehr. Seine Wahl in den Landesvorstand habe aber gezeigt, "wenn hier jemand angegriffen wird, dann wirkt sich das als eine Empfehlung aus".

Einen weiteren "Rechtsruck" dürfte das Votum der Parteimitglieder trotzdem nicht bedeuten. Zu weit am rechten Rand bewegt sich der gesamte Landesverband bereits seit Jahren. Diese Einschätzung scheint auch Landeschef Reichardt zu teilen. Der hatte MDR SACHSEN-ANHALT nach der Wahl gesagt, die gerade Gewählten stünden "für den Kurs, den die Partei hier im Landesverband hier bisher immer gefahren hat".

Das sollte vielleicht auch dem Verfassungsschutz Sachsen-Anhalt zu denken geben. Das Bundesland hat sich zu einem Zentrum der sogenannten neuen Rechten in Deutschland entwickelt und Leute wie Tillschneider konnten die Vernetzung untereinander proben. Dennoch beobachtet man anders als andere Landes- und Bundesbehörden weder die Junge Alternative noch das in Sachsen-Anhalt dominante "Flügel"-Netzwerk in der AfD. Das hat das zuständige Innenministerium im Juni dieses Jahres nochmals bestätigt.

Bildrechte: MDR/Luca Deutschländer

Über Thomas VorreyerThomas Vorreyer arbeitet seit Herbst 2020 für die Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT. Seine Schwerpunkte sind Politik, Gesellschaft und investigative Recherchen. Er ist in der Börde und in Magdeburg aufgewachsen, begann anschließend ein Politikstudium in Berlin. Zuletzt hat er als Redakteur und Reporter beim Online-Magazin VICE.com gearbeitet. In Sachsen-Anhalt ist er am liebsten an Elbe, Havel oder Bode unterwegs.

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Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 20. September 2020 | 19:00 Uhr

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