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"Black Lives Matter"Warum eine Fußballmannschaft aus Magdeburg auf die Knie geht

20. Juli 2020, 14:52 Uhr

Mude, Rami und Amadou sind vor dem Krieg geflüchtet. Sie stammen aus Syrien und Mali. Nun spielen sie in Magdeburg gemeinsam Fußball. Sie sind integriert. Doch im Alltag und auf dem Platz erleben sie oft Rassismus. Ihr Verein fordert jetzt Veränderungen.

Als Amadou Thierno auf dem Domplatz stand, hörten ihm hunderte Menschen zu. Zweieinhalb Minuten lang sprach er bei einer Demonstration über die Rechte der Schwarzen. An manchen Stellen streckten die Teilnehmer bekräftigend geballte Fäuste gen Himmel. Am Ende war Applaus. Keinen Monat ist das her.

Nun steht Amadou Thierno auf dem Fußballplatz des SV Seilerwiesen im Stadtpark und seine Mitspieler hören ihm zu. Wie er wieder einmal von Alltagsrassismus berichtet. Ihm sei sein Fahrrad gestohlen worden. Die erste Frage der Polizisten: "Ob es denn überhaupt mir gehört hat", erzählt Amadou Thierno.

Der Mann aus Mali flüchtete 2017 vor dem Krieg aus seinem Heimatland nach Deutschland. Er spricht die Sprache und macht eine Ausbildung in Haldensleben. Er ist integriert. Genau wie seine Mitspieler Rami Aldamen und Mude Kalaji. Sie kamen vor fünf Jahren aus Syrien nach Magdeburg. Sie studieren. Ihr gemeinsames Hobby: der Fußball.

Doch auf dem Platz und abseits davon erleben sie immer wieder Rassismus. Ihre Schilderungen sind ganz persönliche – und stehen doch beispielhaft für die Realität unzähliger Menschen mit Migrationshintergrund in Sachsen-Anhalt.

"Geh zurück in dein Land"

Nach dem gewaltsamen Tod von George Floyd kam es im Zuge der "Black-Lives-Matter"-Bewegung zu zahlreichen Demonstrationen. Ein Polizist hatte sein Knie acht Minuten und 46 Sekunden lang in den Nacken des am Boden liegenden Floyds gedrückt. Menschen weltweit fordern seit dem Vorfall am 25. Mai im US-amerikanischen Minneapolis ein Ende von Polizeigewalt, Rassismus und Ungleichheit. Auch ein Stadtoberligist aus Magdeburg.

Die Mannschaft des SV Seilerwiesen, die in der letzten Liga kickt, ging nun auf die Knie und veröffentlichte das Foto im Anschluss auf den sozialen Netzwerken. Ein Zeichen der Solidarität.

"Alltagsrassismus und auch rassistische Vorfälle im Amateurfußball werden oft totgeschwiegen", sagt der Trainer Christian Katzbach. Aber: "Wir wollen darüber reden, weil für uns das Menschliche im Vordergrund steht, ganz gleich, welche Herkunft oder Hautfarbe – und so sollte es überall sein."

Ist es laut seinen Schilderungen aber nicht. So manch aufgezeichnete Testspiele hätte er seinen Spielern im Nachhinein nur ohne Ton zeigen können, erzählt Katzbach. Denn: "Rassistische Beleidigungen von Zuschauern sind fast schon an der Tagesordnung."

Was sie oft hören: "Geh zurück in dein Land und spiele da", erzählt Rami Aldamen. Gerade auf den Dörfern im Umland sei so etwas immer wieder zu hören. Schwarze Mitspieler hätten es besonders schwer. Christian Katzbach sagt: "Natürlich werde ich auch mal beleidigt, aber ich werde nie spüren, wie es sich anfühlt, wenn du nur wegen deiner Herkunft beleidigt wirst." Rami Aldamen sagt: "Das lenkt dich ab. Das macht etwas mit deinem Kopf."

"Härtere Strafen und mehr Transparenz"

Beim SV Seilerwiesen kicken Männer ganz unterschiedlicher Herkunft. Sie stammen aus Albanien, Pakistan, Deutschland, Mali, Syrien oder Nigeria. Die Spielzüge tragen die Namen ihrer Heimatländer. "Wir sind ein offener Verein und haben keinen Platz für Rassismus. Wer so eine Einstellung vertritt, muss uns verlassen", sagt Tim Fabian Suxdorf, Vorsitzender, Torwart und Schiedsrichter beim SV Seilerwiesen.

Stichwort Schiedsrichter: "Bei manchen spürst du, dass sie persönlich etwas gegen dich haben", sagt Rami Aldamen. "Dann traust du dich gar nicht mehr, in die Aktionen zu gehen, weil du weißt, dass du sofort eine Karte bekommst." Suxdorf sieht ein strukturelles Problem: "Wir brauchen härtere Strafen und mehr Transparenz im Umgang mit rassistischen Vorfällen. So etwas muss öffentlich gemacht und nicht mehr unter den Tisch gekehrt werden."

Die Angst vor Konsequenzen sei groß, denn: "Wenn du als Verein so einen Vorfall meldest, dann kommen mindestens 50 Prozent der anderen Klubs auf dich zu und sagen, dass sie dir nicht mehr vertrauen können. Die anderen stimmen dir vornerum vielleicht zu, aber bei einigen sieht es hintenrum in Wahrheit dann doch anders aus."

"Alle Schwarzen haben immer Gras!"

Aus dem Alltag und vom Fußballfeld kennt Mude Kalaji neben eindeutig rassistischen Sprüchen auch solche, die spaßig gemeint sein sollen. Doch er sagt ganz klar: "Auch, wenn du etwas aus Spaß sagst, hast du diesen Gedanken im Kopf. Das reflektiert deine Lebensvorstellungen."

Erst vor wenigen Tagen habe ihm ein Autofahrer bewusst die Vorfahrt als Fahrradfahrer genommen: "Er ist erst stehengeblieben und hat mich angeschaut. Aber ich habe schwarze Haare und dunkle Haut – also ist er einfach weitergefahren." Mude Kalaji erzählt von zahlreichen solchen Begegnungen.

Genau wie Amadou Thierno. Da wären die regelmäßigen Polizeikontrollen. Oder Begebenheiten wie diese: "Ein Deutscher hat mich mal gefragt: 'Hast du Gras?' Ich habe gesagt, dass ich nicht rauche. Er meinte: 'Das stimmt nicht, alle Schwarzen haben immer Gras!' Ich habe gelacht, dachte das war ein Spaß. Aber er hat gesagt: 'Wie kannst du so gut angezogen sein? Wo kriegst du dein Geld dann her?'"

Für Thierno ist so etwas Alltag. "Wenn nichts passiert, finde ich das komisch", sagt er. "Eine Woche, in der mich niemand beleidigt hat? Das ist eine komische Woche.“

Auch Worte können Narben hinterlassen.

"Ein Mensch ist gleich ein Mensch"

Rami Aldamen sagt: "Wenn wir Rassismus erleben, dann sprechen wir mit denjenigen, die uns beleidigen. Denn wenn ich schweigen würde in solchen Situationen, würden sie einfach weitermachen und sich noch mehr trauen. Ich wünsche mir, dass die Leute sich einfach ein bisschen informieren. Die Leute, die denken, dass wir nur hier sind, um faul zu sein und Geld zu nehmen, sollten sich trauen, mit uns zu reden und zu erfahren, was wir im Leben machen."

Mude Kalaji hofft, "dass sich die Leute in Zukunft mit rassistischen Beleidigungen zurückhalten. Wir haben das Jahr 2020 und immer noch haben manche Menschen solche Gedanken. Es ist einfach nur furchtbar."

Deshalb musste Amadou Thierno damals auf dem Domplatz sprechen. "Ich finde es wichtig, sich dazu zu äußern", sagt er, denn: "Wenn du als Schwarzer dieses Video vom Tod von George Floyd gesehen hast, dann denkst du, dass du morgen vielleicht in derselben Situation sein könntest. Auch hier in Deutschland. Auch hier in Sachsen-Anhalt. Nur wegen deiner Hautfarbe."

Doch: "Diese Welt gehört niemandem. Jeder kann hingehen, wo er will. Wir sind keine Bäume", sagt Amadou Thierno. "Ein Mensch ist gleich ein Mensch. Für jeden sollten dieselben Regeln gelten – egal, wo er herkommt."

Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über den AutorDaniel George wurde 1992 in Magdeburg geboren. Nach dem Studium Journalistik und Medienmanagement zog es ihn erst nach Dessau und später nach Halle. Dort arbeitete er für die Mitteldeutsche Zeitung.

Vom Internet und den neuen Möglichkeiten darin ist er fasziniert. Deshalb zog es ihn im April 2017 zurück in seine Heimatstadt, in der er seitdem in der Online-Redaktion von MDR SACHSEN-ANHALT arbeitet – als Sport-, Social-Media- und Politik-Redakteur, immer auf der Suche nach guten Geschichten, immer im Austausch mit unseren Nutzern.

Quelle: MDR/dg

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 06. Juni 2020 | 16:00 Uhr

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