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Ansprechpartner für jüdisches LebenAntisemitismus in Sachsen-Anhalt: ein großer Graubereich

19. Oktober 2019, 11:26 Uhr

Antisemitismus ist ein Problem in Sachsen-Anhalt. Das hat der Anschlag von Halle auf schreckliche Art gezeigt. Doch zunehmend bedroht fühlt sich die jüdische Gemeinschaft schon länger: durch subtilen Antisemitismus, der sich schwer erfassen lässt. Teil 2 unserer Serie zu jüdischem Leben in Sachsen-Anhalt.

von Maria Hendrischke, MDR SACHSEN-ANHALT

"Es ist traurig, dass es dieses Amt gibt. Das Ziel müsste eigentlich sein, es abzuschaffen", sagt Wolfgang Schneiß über die Stelle in der Staatskanzlei, die er seit November 2018 hat. Schneiß ist der Ansprechpartner für jüdisches Leben in Sachsen-Anhalt – und gegen Antisemitismus. Und auf letzterem Teil der Stellenbeschreibung liegt der Schwerpunkt, sagt er – auch wenn er versucht, das jüdische Leben in den Fokus zu rücken. Antisemitismus, also Vorbehalte und Hass gegen Juden, sichtbar machen, vorbeugen und bekämpfen, ist der Dreiklang seiner Arbeit.

Der rechtsextreme Anschlag von Halle verdeutlicht auf schreckliche Weise, dass Antisemitismus in Sachsen-Anhalt ein Problem ist. Die jüdische Gemeinschaft in Deutschland habe bereits vor der Tat signalisiert, dass sie beunruhigt seien und Antisemitismus zunehme, sagt Schneiß. Die Zahlen zu antisemitischen Straftaten, die von der Polizei erfasst werden, legten diesen Anstieg zwar nicht nahe. Sie sind in den vergangenen Jahren nicht erkennbar angestiegen. Für 2019 hat die Polizei vor allem Fälle registriert, bei denen es um Volksverhetzung, Hakenkreuz-Schmierereien und Beleidigungen ging.

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Bedrohungsgefühl ist gestiegen

Aber es gebe einen großen Graubereich, sagt Schneiß: Vorfälle mit antisemitischem Bezug, die aber nicht in der Polizeistatistik auftauchen. Schneiß nennt als ein Beispiel, dass das Banner mit der Aufschrift "otto braucht eine synagoge" in Magdeburg mittlerweile mit einer Sicherheitskamera bewacht werden muss, weil es öfter abgerissen wurde. Oder: "In Halberstadt höre ich, dass es Gerüchte gibt wie 'Reiche Juden kaufen die Halberstädter Innenstadt'." Ein Mann habe seine Gemeinde gebeten, ihm keine Geburtstagskarte mehr zu schicken, weil auf dem Umschlag ein Davidstern sei – und er nicht wolle, dass seine Nachbarn wissen, dass es Jude sei.

Das habe nichts direkt mit einer Straftat, aber mit einem Bedrohungsgefühl zu tun, sagt Schneiß. Um auch diesen Graubereich abbilden zu können, baut er derzeit zusammen mit den anderen Ansprechpartnern für jüdisches Leben auf Landes- und Bundesebene ein einheitliches Erfassungssystem für antisemitische Vorfälle auf.

Antisemitismus, ein jahrtausendealtes Thema

Nicht erst in der NS-Zeit sind Juden verfolgt und getötet worden. Antisemitismus ist ein jahrtausendealtes Thema. "In der Geschichte ist der Jude immer der Andere gewesen. Der vielleicht irgendwelche Fäden zieht, der vielleicht an irgendetwas schuld sein könnte", sagt Schneiß. Das sei der alte Antisemitismus. Vorurteile würden häufig mit Weltverschwörungstheorien verknüpft. Das Erschreckende aus seiner Sicht: "Genau das tritt uns heute in modernsten Formen entgegen, in den sozialen Medien." Auch mit Israel und dem Nahostkonflikt sei der heutige Antisemitismus oft verbunden.

Schneiß will Menschen in Sachsen-Anhalt ermutigen, antisemitische Vorfälle verstärkt anzuzeigen. Denn erst dann werden sie registriert und die Polizei kann handeln. Das Problem Antisemitismus werde sich mit Landes- oder Bundesbeauftragten nicht lösen lassen, sagt er. "Was wir tun können, ist: Impulse geben, die Zivilgesellschaft ermutigen, vernetzen und gezielt unterstützen."

Bildrechte: MDR/Jörn Rettig

Über die AutorinMaria Hendrischke arbeitet seit Mai 2017 als Online-Redakteurin für MDR SACHSEN-ANHALT - in Halle und in Magdeburg. Ihre Schwerpunkte sind Nachrichten aus dem Süden Sachsen-Anhalts, Politik sowie Erklärstücke und Datenprojekte. Ihre erste Station in Sachsen-Anhalt war Magdeburg, wo sie ihren Journalistik-Bachelor machte. Darauf folgten Auslandssemester in Auckland und Lissabon sowie ein Masterstudium der Kommunikationsforschung mit Schwerpunkt Politik in Erfurt und Austin, Texas. Nach einem Volontariat in einer Online-Redaktion in Berlin ging es schließlich zurück nach Sachsen-Anhalt, dieses Mal aber in die Landeshauptstadt der Herzen – nach Halle. Ihr Lieblingsort in Sachsen-Anhalt sind die Klausberge an der Saale. Aber der Harz ist auch ein Traum, findet sie.

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Quelle: MDR/mh

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