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Berufswunsch und WirklichkeitGroße Hürden für Quereinsteiger in Kitas

10. November 2022, 17:47 Uhr

Eltern in Sachsen-Anhalt sind in einer komfortablen Situation: Im Vergleich mit anderen Bundesländern gibt es hier viele Kitaplätze. Allerdings haben Betreiber zunehmend Probleme, ausreichend Fachpersonal zu bekommen. Veraltete Ausbildungsinhalte, hohe Hürden für Quereinsteiger und fehlende Aufstiegschancen schmälern die Attraktivität von potenziellen Arbeitgebern. Im zuständigen Ministerium sieht man aber keinen Handlungsbedarf. Die Qualität der Betreuung müsse sichergestellt werden.

"Ich bin angekommen", sagt der 27-jährige Agnus Feige aus Halberstadt im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT. Er meint damit seinen Job. Feige arbeitet Erzieher im Abenteuerland der Kita "Mini und Maxi" in Quedlinburg des Deutschen Roten Kreuzes (DRK). Am Morgen sind zwei Kinder seiner Gruppe die ersten Schritte ihres Lebens gelaufen. "So etwas beobachten zu können, fasziniert mich jeden Tag."

So etwas beobachten zu können, fasziniert mich jeden Tag.

Erzieher Agnus Feige | über Fortschritte der Kinder in der Kita

Doch bis Feige in seinem Traumjob angekommen ist, muss er einen langen Weg zurücklegen. "Ich wollte arbeiten und Geld verdienen." Ein Auto soll angeschafft werden, also beginnt er zunächst eine Ausbildung zum Fleischer in einem Supermarkt in Halberstadt. Schnell kommen ihm erste Zweifel an dem Job. "Wenn dann in der Grillsaison wieder gut eine Tonne Schweinenacken gekommen ist, war es irgendwann schwer, sich noch zu motivieren, das Fleisch zu verarbeiten."

Das gute Gefühl, mit Menschen zu arbeiten

Er sucht in Gedanken nach Alternativen und findet sie in seinem nahen Umfeld. Als ältestes Kind in einer großen Familie hat er früh ein Gefühl dafür bekommen, wie es ist, sich um andere zu kümmern. "Da war ich in der Situation, anderen Tricks zu zeigen, wie sie gut durch das Leben kommen." Seine Tricks kommen an und bestärken Feige in dem Gefühl, mit Menschen arbeiten zu wollen. Er erkundigt sich, was es braucht, um Erzieher zu werden.

Kita-Erzieher dringend gesucht

Damals geht Feige noch davon aus, dass er die dreijährige Ausbildung selber finanzieren und auch Schulgeld zahlen muss. Mehr als zehntausend Euro spart er dafür an. Durch eine Gesetzesänderung fallen immerhin diese Hürden weg, trotzdem ist der Wechsel kein Kinderspiel. Wer in Sachsen-Anhalt Erzieher lernen möchte, braucht vorher noch eine Ausbildung zum Sozialassistenten. Die fehlt Feige und würde ihn zusätzliche Zeit kosten. Glück für ihn: Weil er vorab ein Freiwilliges Soziales Jahr absolviert hatte, konnte er sich diese Qualifikation sparen.

Kosten für die Ausbildung zum ErzieherWer den Erzieherberuf an einer privaten Schule erlernt, musste in Sachsen-Anhalt bis 2019 teils mit mehreren Hundert Euro pro Monat für seine Ausbildung bezahlen.

Mit Bundesmitteln wurde zuletzt eine Aussetzung finanziert. Rund 3.200 Auszubildende würden davon im Durchschnitt jedes Schuljahr profitieren, sagte Sozialministerin Petra Grimm-Benne (SPD) im Mai im Parlament.

Die im Sommer auslaufende Regelung ist um ein Jahr verlängert worden. Der Bund habe weitere Mittel fest zugesagt. In der Regel wird die Ausbildung zum Erzieher nicht vergütet.

Fragt man Betreiber von Kindertageseinrichtungen, kommen Klagen über veraltete Ausbildungsinhalte und hohe Hürden für Quereinsteiger wie Agnus Feige und fehlende Bewerber. Fakt ist: Der Arbeitsmarkt für Erzieher in Sachsen-Anhalt ist mehr als leer. "Wir haben einen absoluten Engpass bei ausgebildeten Erziehern", sagt auch Uta Mayer von der Agentur für Arbeit in Halle auf Nachfrage von MDR SACHSEN-ANHALT. Bei den Arbeitsvermittlern sind derzeit mehr als 220 offene Stellen registriert. Es gibt aber im ganzen Land nur knapp 450 arbeitssuchende Menschen mit dieser Qualifikation.

"In Sachsen-Anhalt werden händeringend Erzieherinnen und Erzieher gesucht", stellt auch Jörn Rettig vom DRK fest. "Passende Fachkräfte zu finden, ist eine Herausforderung", bestätigt auch Cornelia Kurowski im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT. Kurowski leitet das Kinder-, Jugend- und Familienwerk der Volkssolidarität, einem großen Betreiber von Kindertagesstätten. Ein Problem, wenn man bedenkt, dass in Sachsen-Anhalt bis 2026 rund 2.000 Kitaerzieher in den Ruhestand gehen. Damit muss etwa jede zehnte Stelle neu besetzt werden. 

Dazu kommt: Die Ausbildung zum Erzieher ist veraltet. Erzieher sollen inklusiv arbeiten, "dafür muss die Ausbildung aber inhaltlich überarbeitet werden", merkt Kurowski an. Derzeit bekommen die Schüler Wissen für Krippe, Kita und Hort vermittelt. "Eine Spezialisierung würde die Ausbildung attraktiver machen", hat Geschäftsführerin Kurowski festgestellt. Auch Aufstiegsmöglichkeiten für Erzieher würden fehlen.

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Eine Folge der schlechten personellen Situation in Kitas in Sachsen-Anhalt: Einer Studie zufolge muss sich ein Kitaerzieher weiterhin um vergleichsweise viele Kinder kümmern. In den Krippengruppen kommt eine Vollzeitbeschäftigte rechnerisch auf 5,4 Kinder, bundesweit sind es 3,9. Ähnlich ist es in Kindergartengruppen: Dort seien es 10,4 Kinder, während es bundesweit 8,4 seien.

Das geht aus dem Ende Oktober vorgelegten Ländermonitoring Frühkindliche Bildungssysteme der Bertelsmann Stiftung hervor. Dazu kommt: Der Fachkräftemangel ist ein doppeltes Problem. Zu wenig Personal verschlechtert auch die Arbeitsbedingungen für die Fachkräfte. Dadurch sinken die Chancen, vorhandenes Personal im Beruf zu halten, so die Studie.

Ministerium sieht keinen Handlungsbedarf

Doch während beispielsweise die Hürden für Quereinsteiger in den Lehrerberuf kontinuierlich gesenkt worden sind, um mehr Menschen in den Beruf zu bringen, sucht man vergleichbare Maßnahmen bei den Erziehern vergeblich. Immerhin: Im Mai hat das Land eine Modellprojekt gestartet und die bezahlte Ausbildung von 155 Erziehern gefördert. Die Resonanz darauf war sehr groß.

Nachgefragt beim Ministerium, gibt man sich mangels Zuständigkeit unwissend. Denn das Land gibt nur die Personalquoten vor. Ob und wie die Betreiber von Kindertagesstätten diese Quoten erfüllen, ist dann nicht mehr die Angelegenheit des Ministeriums. Ein Übersicht, wie viele Kitaerzieher in Sachsen-Anhalt fehlen "liegt deshalb nicht vor", heißt es auf MDR SACHSEN-ANHALT-Nachfrage.

Gefragt, ob es Menschen wie Agnus Feige zukünftiger einfacher gemacht werden soll Erzieher zu werden, heißt es kurz und bündig: "Nein." Die Qualität der Betreuung müsse sichergestellt werden. Ein Punkt, den auch Jörn Rettig vom DRK teilt: "Bei aller Notwendigkeit, dem Fachkräftemangel schnell entgegenzuwirken, darf ein Seiteneinstieg allerdings nicht zulasten der Qualität in der Betreuungsleistung führen." Quereinsteiger Feige ist das egal: "Als Fleischer hatte ich teilweise keine Lust, früh aufzustehen, aber jetzt in der Kita ist das ganz anders."

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MDR (Hannes Leonard), dpa

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