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Interview nach Böhmermann-BeitragAnzeigen von Hass im Netz laut Hilfsorganisation "Hate Aid" häufig nicht ernst genommen

05. Juni 2022, 13:13 Uhr

Die Initiative "Hate Aid" unterstützt Menschen, die Hass im Netz erfahren. Dass Anzeigen von der Polizei nicht ernst genommen werden, käme immer wieder vor, so "Hate Aid" im Interview mit MDR SACHSEN-ANHALT. Bei einer Recherche des ZDF Magazin Royale hatte ein Polizist in Magdeburg die Anzeige von Drohungen und Beleidigungen im Internet nicht aufgenommen. Innenministerin Tamara Zieschang hatte das als absolut inakzeptablen Vorgang bezeichnet. Sie sehe aber kein systemisches Versagen.

von MDR SACHSEN-ANHALT

Hören Sie im MDR SACHSEN-ANHALT Podcast "Was bleibt" das ganze Interview mit Josephine Ballon von Hate Aid:

Abgelehnte oder verweigerte Anzeigen zu Hass im Netz sind kein Einzelfall, sagt Josephine Ballon von der Initiative Hate Aid. Auch wenn es teilweise schon spezialisierte Stellen gebe, brauche es die Sensibilisierung der Polizeidienststellen in der Fläche, so Ballon im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT.

Denn wenn die Anzeigen dort nicht aufgenommen und bearbeitet werden und die Betroffenen möglicherweise sogar ohne eine Anzeige erstattet zu haben, wieder nach Hause geschickt werden, dann erreichen diese spezialisierten Stellen die Fälle überhaupt nicht.

Josephine Ballon | Hate Aid

Die Initiative Hate AidDie Initiative ist 2018 als gGmbH gegründet worden und hilft Opfern von Hasskommentaren im Internet, sich juristisch zu Wehr zu setzen – unter anderem mit kostenloser Rechtsberatung und der Übernahme von Prozesskosten.

Hate Aid arbeitet mit Anwälten zusammen, die juristisch gegen die Verfasser von Hasskommentaren vorgehen.

Die Initiative will sich langfristig durch die erstrittenen Schadensersatzansprüche finanzieren und wird Stiftungen, öffentliche Förderungen und privaten Spenden finanziert.

Betroffene werden nicht ernst genommen

Betroffene würden sich immer wieder bei Hate Aid melden und berichten, dass diese Delikte gering geschätzt werden. Ihnen werde gesagt, dass das nicht so schlimm sei oder sie einfach das Internet abschalten sollten, schildert Ballon ihre Erfahrungen.

Das sind so die Beispiele, die wir immer noch mitbekommen, auch im Jahr 2022. Deswegen ist es leider so, dass ich hier auch nicht von einem Einzelfall ausgehe. Ich muss natürlich betonen, dass es durchaus engagierte Menschen und Stellen gibt. Aber die sind eben in der Fläche leider nicht vorhanden.

Josephine Ballon | Hate Aid

Ballon fordert bei der Polizei eine besser Aufklärung über das Problem mit Hass im Netz. Wichtig sei auch eine Sensibilisierung im Umgang mit Betroffenen. Gleichzeitig macht Ballon klar, dass nicht alles Schuld der Polizei sei. "Das wäre falsch, das zu behaupten."

Denn meistens spielt sich das Ganze auf Social Media ab, und diese Unternehmen haben ihren Sitz im Ausland, weswegen leider dann Strafverfolgung auch an der Landesgrenze manchmal zu Ende ist, wenn die Täter und Täterinnen ihre Identität professionell verschleiern.

Josephine Ballon | Hate Aid

Es brauche eine gesamteuropäische Gesetzesgrundlage, um das Phänomen Hass im Netz eindämmen zu können, so Ballon.

Innenministerin zum Vorfall: ein absolut inakzeptabler Vorgang

Sachsen-Anhalts Innenministerin Tamara Zieschang (CDU) hatte die Nichtannahme von Strafanzeigen zu Hassbotschaften im Netz im Zusammenhang mit einem Bericht des TV-Satirikers Jan Böhmermann verurteilt. Das sei ein absolut inakzeptabler Vorgang, ein absolutes No-Go.

Es ist Kernaufgabe jedes Polizisten und jeder Polizistin, Strafanzeigen aufzunehmen und Straftaten zu verfolgen. Die Bürgerinnen und Bürger müssen darauf vertrauen können, dass die Polizei in diesen Fällen ermittelt.

Tamara Zieschang (CDU) | Innenministerin

Bei Offizialdelikten wie auch dem Zeigen verfassungswidriger Zeichen reiche die reine Kenntnisnahme um verpflichtet zu sein, Ermittlungen aufzunehmen, so Zieschang.

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Verfahren gegen Polizisten eingeleitet

Die Polizeiinspektion Magdeburg habe vollkommen zurecht bereits am 23. Mai wegen des Verdachts der Strafvereitelung im Amt ein Verfahren eingeleitet. Ein systemisches Versagen bei der Aufnahme von Straftaten gebe es aber "sicher nicht", so Zieschang.

Der Satiriker Jan Böhmermann hatte im "ZDF Magazin Royale" berichtete, dass Mitarbeiter im August 2021 in Polizeidienststellen aller Bundesländer dieselben sieben Hasskommentare aus dem Internet zur Anzeige vorgelegt haben.

Um welche Straftaten und Kommentare es gehtDie Redaktion des ZDF Magazin Royale beschreibt auf der Seite tatütata.fail wie sie im August 2021 sieben Hasskommentare mit unter anderem rechtsextremen und nationalsozialistischen Sprüchen und Symbolen, antisemitische Aussagen und Morddrohungen angezeigt hat.

Dabei habe es sich um "ausschließlich 'echte' und strafrechtlich relevante Hasskommentare" gehandelt, welche die Polizei von Amts wegen verfolgen müsse, schreibt die Redaktion. Zusätzlich zu der mündlichen Anzeige vor Ort habe man eine zusätzliche Anzeige per Post an eine andere Polizeidienststelle versendet.

Der konkrete Wortlaut der Kommentare und weitere Detailinformationen zum Vorgehen der Redaktion finden sich auf der Seite "tatütata.fail".

Nach Angaben der Polizeiinspektion Magdeburg war "die Entgegennahme einer Strafanzeige seinerzeit unterblieben". Gegen den Polizeibeamten des Polizeireviers Magdeburg wird intern wegen des Verdachts der Strafvereitelung ermittelt.

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MDR (Hannes Leonard), dpa

Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 02. Juni 2022 | 12:06 Uhr

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