Katja Pähle steht im Plenarsaal des Landtags von Sachsen-Anhalt am Rednerpult
Der Bund der Steuerzahler kritisiert die Reiselust der Landtagsabgeordneten in Sachsen-Anhalt. (Symbolbild) Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild

Schwarzbuch 2022 "Zu groß und zu teuer": Steuerzahlerbund rügt mitteldeutsche Parlamente und Krötentunnel

19. Oktober 2022, 11:00 Uhr

Sachsen-Anhalts Parlament wollte sparen: Eigentlich sollte der Landtag bis 2021 auf 83 Abgeordnete verkleinert werden. Der Wahlsieg der CDU machte diese Idee zu Nichte. Überhangmandate blähten das Parlament auf 97 Sitze auf. Der Bund der Steuerzahler sagt: Kein Einzelfall in Mitteldeutschland.

Mit 195 Seiten ist am Mittwoch das Schwarzbuch der Steuerzahler erschienen. Vier Fälle aus Sachsen-Anhalt haben es wieder ins Buch geschafft. Ein Fall geht diesmal auch über die Ländergrenzen hinaus. "Über drei Ländergrenzen hinweg leisten sich die Parlamente überdurchschnittliche viele Abgeordnete", kreidet der Vorsitzende des Bundes der Steuerzahler in Sachsen-Anhalt, Ralf Seibicke, an. 306 Mandatsträger (in Sachsen, Sachsen-Anhalt und Thüringen, Anm. d. Red.) vertreten die Interessen von 8,4 Millionen Menschen. Im Vergleich dazu sind es in Niedersachsen bei ähnlicher Bevölkerung nur 146 Abgeordnete. "Hier besteht bereits bei der Reduzierung um 20 Mandate Einsparpotenzial im Millionenbereich", so Seibicke.

Als Beispiel nennt der Steuerzahlerbund den öffentlichen Nahverkehr: Mit den dadurch eingesparten rund sechs Millionen Euro könne man 80 Linienbusse in den drei Bundesländern täglich vier Stunden zusätzlich fahren lassen.

Bund der Steuerzahler Der Verein "Bund der Steuerzahler" legt jährlich sein sogenanntes "Schwarzbuch" über angebliche Steuerverschwendung vor. Mitglieder des Vereins sind vor allem Unternehmer und Freiberufler.

Kritiker werfen der Organisation deshalb Sparversessenheit und eine ideologische Nähe zur FDP vor. Steuerzahler-Präsident Reiner Holznagel weist solche Kritik von sich.

Er betont die Unabhängigkeit und Transparenz seines 1949 gegründeten gemeinnützigen Vereins, der sich durch die Beiträge seiner Mitglieder finanziert.

Tierschutzmaßnahmen führen zu Mehrkosten

2013 wurde bei Köthen die B6n mit ihrem letzten Teilstück für rund 52 Millionen Euro geplant. 2018 sollte alles fertig sein, doch dann stoppte lautes Quaken den Bauplan: Bei einer Bauüberwachung im Jahr 2015/16 wurde festgestellt, dass dort unter anderem die streng geschützte Knoblauchkröte lebt. Das war den Planern ursprünglich nicht aufgefallen, was zu Mehrkosten führte. Erst 2024, jetzt 2026 sollte der Verkehr rollen. Die Landesstraßenbaubehörde halte sich nach Aussagen des Bundes für Steuerzahler derzeit bedeckt bezüglich eines Termins zur Fertigstellung. Außerdem schätzt dieser die zuletzt prognostizierten Baukosten über 75 Millionen Euro als zu niedrig ein. "Allein für die Amphibien-Leiteinrichtungen alle 65 Meter werden pro Stück rund 15.000 Euro fällig, Aufwand und Nutzen für die Betroffenen ist schwerlich nachzuvollziehen", so Seibicke.

Neue Besen kehren gut – und teuer

Seit Januar 2021 sind Bundesautobahnen auch Bundesangelegenheit. Ziel war es, über die "Autobahn GmbH" eben diese schneller und effektiver zu planen und bauen. Was gut klingt, wird für Sachsen-Anhalt in der Praxis teuer: Drei bestehende Straßenmeistereien müssen aufgelöst und neu geordnet werden. Es entstehen neue Straßenmeistereien in Bernburg (für 14 Millionen Euro), in Berga (für 9,5 Millionen Euro) und im Oberharz (für sieben Millionen Euro). "Selbst das zuständige Landesministerium sieht diese Neustrukturierung auf unsere Nachfrage kritisch", so der Steuerzahlerbund. Dazu kommt: Der Verwaltungsumzug kostet Zeit: Bernburg soll erst 2025 bezogen werden, die Übrigen sogar ein Jahr später. "Aus Steuerzahler-Sicht ist es unverständlich, dass funktionierende Strukturen und Kapazitäten aus Gründen des Zuständigkeitswechsels zerschlagen werden."

Asylunterkunft sei ein Planungsdesaster

Die ehemalige Grenztruppenkaserne in Stendal sollte ab 2016 nach dem Willen der Kenia-Koalition zur Erstaufnahmeeinrichtung für Geflüchtete ausgebaut werden. Ende 2020 sollten 1000 Plätze zur Verfügung stehen. Jetzt soll frühestens Anfang 2025 der erste Geflüchtete einziehen können. Grund: Im Sommer 2020 wurde wegen jahrelangen Leerstandes massive Schimmelbildung im Gebäude festgestellt. Rund sechs Millionen Euro Mehrkosten und der erste Aufschub auf 2022. Mitte 2021 stellte sich heraus, dass die Schäden am Sozialtrakt gravierender waren. Zu dem gesellten sich Baupreissteigerungen, Ausfall von Arbeitskräften und Materialprobleme. Im Mai 2022 waren die Kosten schon von 30 auf 45 Millionen Euro gestiegen. "Falsche Planungen und nicht rechtzeitig erkannte Substanzschäden haben hier die Kosten explodieren lassen", so Seibicke.

Reiselust der Landtagsabgeordneten gesondert erwähnt

Zu den potenziellen Aufgaben der Mitglieder des Landtags zählen auch Reisen ins Ausland. Der Europa-Ausschuss des Landtags flog 2020 nach Vietnam und dachte auch über eine Reise nach Chile nach. Allein das letzte Reiseziel hätte den Landtag 30.000 Euro gekostet und wurde erst auf öffentlichen Druck wieder abgesagt. Die Reiselust der Abgeordneten hat in der letzten Legislaturperiode bereits Kosten von 310.000 Euro angesammelt. Allein der Trip nach Vietnam mit einer Bootstour "durch das malerische Halong-Bay", wie die Magdeburger Volksstimme berichtete, kostete 36.135,09 Euro. Diese Information ist laut Seibicke erst durch eine Musterklage des Bundes der Steuerzahler vor dem Verwaltungsgericht öffentlich geworden. Der Ältestenrat im Landtag will nun die Öffentlichkeit zukünftig über die Ausschussreisen informieren.

MDR (Lars Frohmüller, Hannes Leonard)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT | 19. Oktober 2022 | 11:00 Uhr

6 Kommentare

O.B. am 19.10.2022

Es lebt sich offensichtlich gut auf steuerkosten. Was es dem Steuerzahler bringt das Abgeordnete in Vietnam eine Bootsfahrt unternehmen werden wir wohl nie erfahren.

Shantuma am 19.10.2022

Hier treffen die Gedanken jener zusammen, welche sich klar an die marktwirtschaftlichen Regeln halten müssen.
Und die Realität jener, welche von den Abgaben anderer leben dürfen.

Wenn man im wirklichen Leben vom Auftraggeber nur 5.000€ für den Auftrag bekommt, aber 15.000€ Ausgaben hat, dann wird man nicht lange am Markt sein.

Wenn aber einem, theoretisch immense Summen zur Verfügung stehen, dann ist die Ausgabendisziplin recht gering. Hier liegt es in der Verantwortung(!) der entscheidenen Personen auf sowas zu achten.
Wenn diese Personen es versäumen die Ausgabendisziplin zu überwachen, dann gehören sie auf einen anderen Posten.
Den am Ende hantiert man dort mit dem Steuergeld der Bürger und dies muss einem tagtäglich bewusst sein.

Daher empfehle ich allen Politikern eine "Ausbildungszeit" in der freien Wirtschaft von 10-15 Jahren.

Pattel am 19.10.2022

Es ist doch kein Wunder bei denen welche sich einbilden Politik und Ökonomie zu beherrschen . Bauchgefühl kennt keine Zahlen! Wünsche hab ich auch jede Menge. Aber kein Geld.
Ohne einem bestimmten Bildungsstand bzw.Abschluß dürfte keiner zu Wahl zugelassen werden.
Dazu kommt das von den Besserwissern keiner in der Politik oder in der Verantwortung ist .

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