Modernes Arbeiten Co-Working-Spaces: "Sachsen-Anhalt ist ein Reallabor von Vielfältigkeit"

26. Juni 2022, 09:15 Uhr

Den Arbeitsort flexibel selber wählen – Co-Working-Spaces machen es möglich. Sie locken auch gestresste Großstädter auf das flache Land. Damit sind sie eine Chance für kleinere Gemeinde, ist Berater Tobias Kremkau überzeugt.

Sachsen-Anhalt: ein "Reallabor für Co-Working", so nennt es Tobias Kremkau. "Alles, was ich in Europa und weltweit an Entwicklung in Sachen Co-Working sehe, passiert auch in Sachsen-Anhalt." Kremkau muss es wissen, er ist Experte für Co-Working. Der gebürtige Magdeburger arbeitet bei "CoWorkLand", einer Genossenschaft, die Gründer und Betreiber von Co-Working-Spaces unterstützt und vernetzt.

Was ist ein Co-Working-Space? In Co-Working-Spaces können Einzelpersonen, Teams oder ganze Firmen Schreibtische oder Büroräume anmieten. Weitere Einnahmequellen der Co-Working-Spaces sind Events oder die Vermietung von Meetingräumen.

Die Einrichtungen durften trotz der Pandemie in Betrieb bleiben, allerdings unter Einhaltung der Hygienevorschriften. Schließlich waren die Spaces oft auch Firmensitze kleiner Unternehmen.

In Sachsen-Anhalt ist Co-Working-Szene besonders vielfältig. Im Land gebe es rund 30 Co-Working-Spaces, erzählt Kremkau im Gespräch mit MDR SACHSEN-ANHALT. "Das ist wesentlich mehr als in Thüringen oder Mecklenburg-Vorpommern." Natürlich sei die Zahl nicht mit Berlin oder Brandenburg vergleichbar, stellt Kremkau klar. "Brandenburg profitiert einfach auch von dem Pendeldrang nach Berlin."

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Co-Working ist längst kein Stadtphänomen

Natürlich gebe es die meisten Spaces in den großen Städten des Landes. "In Halle gibt es einen Co-Working-Space, der von der Größe und der Zielgruppe genau so in Berlin Mitte stehen könnte", erzählt Kremkau.

Inzwischen sind Co-Working-Spaces aber kein ausschließliches Stadtphänomen mehr. Kürzlich hat die Gemeinde Hohe Börde in Nordgermersleben, einem Dorf mit rund 700 Einwohnern, einen kommunalen Co-Working-Space gegründet.

Damit soll den Einwohnern ein Angebot gemacht werden, um wohnortnah zu arbeiten. So können die Menschen auch tagsüber in der Region bleiben und müssen nicht immer nach Magdeburg reinpendeln.

Tobias Kremkau Co-Working-Berater

Auch in Salzwedel hat der Landkreis einen Co-Working-Space gegründet.

Eine bunte Co-Working-Landschaft

Was auffällt, sind die unterschiedlichen Organisationsformen von Co-Working-Spaces. Kremkau spricht von einer "bunten Co-Working-Szene" in Sachsen-Anhalt. Neben den Gründungen durch Kreise oder Gemeinden gibt es auch verschiedene private Gründungen. In Güsen im Landkreis Jerichower Land habe ein Verein einen Co-Working-Space gegründet. Daneben würden auch Einzelpersonen Spaces gründen, wie beispielsweise in Wernigerode das "Wohnzimmer", erzählt Kremkau.

Auch Kirchen gründen inzwischen Co-Working-Spaces. In Deutschland gibt es noch nicht einmal zehn Stück. Und der einzige in Ostdeutschland ist das Gründerinnenhaus in Halle.

Tobias Kremkau Co-Working-Berater

Diese Vielfältigkeit in Sachsen-Anhalt sei einmalig, sagt Kremkau. "Ich beobachte so etwas in anderen Bundesländern nicht." Kremkau vermutet, dass niedrigere Mieten und ein vergleichsweise geringer wirtschaftlicher Druck für eine große Experimentierfreude sorgen würden.

Chance für kleine Kommunen

Gerade für kleine Kommunen würden Co-Working-Spaces eine große Chance bieten, ist sich Kremkau sicher. Schließlich seien Orte mit Co-Working-Spaces beliebte Zufluchtsorte für stressgeplagte Großstädter.

Wir sehen im ländlichen Raum, wenn er über einen guten Anschluss an den Fernverkehr verfügt, durchaus Wanderungsbewegungen.

Tobias Kremkau Co-Working-Berater

Allerdings sind passende Orte zum Arbeiten auf dem Land nur ein Kriterium. Wanderungswillige Städter brauchen auch Kindergärten, Schulen und Supermärkte. Dadurch profitiert auch die lokale Wirtschaft von Co-Working-Spaces. "Durchschnittlich gibt jeder Co-Working-Space-Nutzer elf Euro am Tag im Umfeld seines Arbeitsortes aus", rechnet Kremkau vor. Dazu kommt: Die Menschen pendeln weniger. Infrastruktur und Umwelt werden so geschont.

Co-Working hat Wachstumspotenzial

Es überrascht nicht, dass Berater Kremkau Co-Working-Spaces in Sachsen-Anhalt eine erfolgreiche Zukunft prophezeit. "Rund fünfzig Prozent aller Arbeitnehmer können mobil arbeiten", rechnet er vor. Handwerker könnten sich mit den Spaces die Kosten für ein permanentes Büro sparen. Große Unternehmen oder Verwaltungen würden dezentrale Arbeitsplätze für ihre Mitarbeitenden suchen, dafür seien Co-Working-Space-Anbieter der geeignete Ansprechpartner.

Große Firmen wollen nicht mit einzelnen Co-Working-Anbietern jedes Mal einen Nutzungsvertrag aushandeln. Die wollen ein dezentrales Netzwerk mit einer zentralen Abrechnung und einer rechtssicheren Nutzung. Das geht nur über Zusammenschlüsse.

Tobias Kremkau Co-Working-Berater

Fakt ist aber auch: Gründer von Co-Working-Spaces brauchen Durchhaltevermögen. Im Schnitt dauert es zwei Jahre, bis sich so ein Angebot selbst trägt. Laut Kremkau würden Förderprogramme zur Überbrückung der Anfangszeit eine Gründung einfacher machen.

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MDR (Hannes Leonard), dpa

8 Kommentare

Tobias Kremkau am 27.06.2022

Doch, der Begriff wird einfach mit "Zusammenarbeit" übersetzt. Als ein Branchenbegriff ist die deutsche Übersetzung aber ungeeignet – siehe »die deutsche Zusammenarbeit-Branche« –, weshalb sich der Anglizismus durchgesetzt hat.

Es ist eine offene Diskussion innerhalb der Coworking-Szene, ob es einen deutschen Begriff wirklich braucht. Mich persönlich hat das Argument dagegen überzeugt, dass die Menschen nicht dumm sind und wenn man ihnen etwas erklärt, sie das auch begreifen werden. Eine ergänzende Erklärung ist also sicher noch notwendig, aber jeder Anlass dazu macht Coworking auch bekannter und das Wort gängiger.

Fakt am 26.06.2022

@pwsksk:

Und wo ist das Problem?
In Kiel gibt es beispielsweise ein Co-Working Space, wo auch Hanswerker ihr Gewerbe betreiben - vom Hersteller hochwertiger Surfbretter bis hin zur Tischlerei.
Nebenbei: Ohne Leute, die ihr Geld am Schreibtisch verdienen, würden reine Handwerker recht alt aussehen.

Tobias Kremkau am 26.06.2022

Die wortwörtliche Übersetzung für Coworking lautet Zusammenarbeit. Als Branchenbegriff ist diese sehr allgemeine Begrifflichkeit aber sehr unpräzise, weshalb sich das englische Wort Coworking etabliert hat.

Sozialversicherungspflichtige Angestellte nutzen Coworking Spaces nur dann, wenn dies der Arbeitnehmer gestattet oder im Sinne als Telearbeitplatz angewiesen hat. Dadurch ist sich stets ein Versicherungsschutz gegeben.

Der vermeintliche Widerspruch ist eine Fehlinterpretation des Textes. Es geht primär darum, dass Menschen aus der Großstadt auch in den ländlichen Raum ziehen können, wenn sich ihre Arbeit mobil erledigen lässt, denn dann müssen sie nicht täglich wieder rein pendeln. Das machen sie dann vielleicht nur noch ein- bis zweimal die Woche, um Kolleg:innen zu treffen. Alle anderen Aufgaben, für die das nicht nötig ist, erledigen sie wohnortnah.

Die Angabe zu den 11 Euro stammt aus der Global Coworking Survey 2019 und gilt für Deutschland. Europaweit sind es sogar 13 Euro.

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