Ein Mann sitzt in einem Raum und blickt in die Kamera. 2 min
Hanno Schulz ist leitender Polizeibeamter und kritisiert, die Nebenklage habe in dem Fall sehr provozierende Fragen gestellt. Bildrechte: ARD

Neue Doku-Serie Fall Oury Jalloh: Erstmals äußert sich leitender Polizeibeamter

29. November 2024, 08:56 Uhr

Knapp 20 Jahre ist es her, dass der Asylbewerber Oury Jalloh in einer Dessauer Polizeizelle verbrannte. Die genauen Umstände sind bis heute ungeklärt. Immer wieder gibt es Vorwürfe, Jalloh sei von Polizisten misshandelt und getötet worden. Nun meldet sich erstmals ein Polizeibeamter aus dem Revier öffentlich zu Wort – und stellt sich hinter die damals eingesetzten Streifenpolizisten.

Im Fall des Todes des Asylbewerbers Oury Jalloh in einer Dessauer Polizei-Zelle hat sich erstmals ein leitender Polizeibeamter geäußert. Hanno Schulz war 2005 Leiter des Revierkriminaldienstes und ist der erste Polizist aus der damaligen Revier-Besatzung Dessau, der mit den Medien spricht.

Schulz kritisiert in der neuen ARD-Doku-Serie "ARD CrimeTime – Warum verbrannte Oury Jalloh?" die juristische Aufarbeitung in dem Fall. Der Polizei wurde im Zuge der Ermittlungen vorgeworfen, eine Mauer des Schweigens aufgebaut zu haben. In den Gerichtsprozessen gaben viele Beamte an, sich nicht erinnern zu können.

Oury Jalloh soll sich selbst angezündet haben

Aus Sicht von Schulz sind die Fragen an die Dessauer Polizisten voreingenommen gewesen. Insbesondere die Nebenklage habe sehr provozierende Fragen gestellt. Sie hätten nicht das Ziel gehabt, die Wahrheit über den Brand in der Zelle herauszufinden, so Schulz – "sondern irgendwo deutlich zu machen, dass die Polizei da irgendwie ein ganz böser, schlimmer Haufen ist. Wir sind jetzt alle schuld. Das hat dann erst wirklich zu einer Mauer des Schweigens geführt."

Wie genau der gefesselte Jalloh – der auf einer feuerfesten Matratze lag – in einer gefliesten Zelle verbrennen konnte, ist auch nach zwei Landgerichtsprozessen in Dessau-Roßlau und Magdeburg nicht geklärt. Die Justiz kam zu dem Schluss, dass er sich selbst mit einem Feuerzeug anzündete. Jallohs Umfeld glaubt nicht daran.

Teilnehmer einer Demonstration gehen mit einem Transparent mit der Aufschrift "Oury Jalloh das war Mord" auf der Straße.
Seit Jahren demonstriert Jallohs Umfeld und erinnert an den Fall. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Sebastian Willnow

Zum Aufklappen: Urteile im Fall Oury Jalloh

Das Landgericht Dessau-Roßlau sprach im Dezember 2008 zwei angeklagte Polizisten frei. Die Staatsanwaltschaft hatte gegen einen Dienstgruppenleiter Anklage wegen Körperverletzung mit Todesfolge erhoben. Der zweite Beamte war wegen fahrlässiger Tötung angeklagt.

Im Dezember 2012 wurde der Dienstgruppenleiter wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe von insgesamt 10.800 Euro verurteilt. Die Vorsitzende Richterin machte aber auch deutlich: Die Polizisten hätten Jalloh gar nicht mit auf das Revier nehmen dürfen. Zwar hatten sich demnach auf der Straße Frauen von ihm belästigt gefühlt, es habe aber keine Straftat vorgelegen. Zudem sei er keine Gefahr für sich selbst gewesen.

Der Bundesgerichtshof bestätigte 2014 die Beweisführung des Landgerichts Magdeburg, wonach Jalloh in betrunkenem Zustand das Feuer in seiner Zelle selbst gelegt haben soll.

Schulz bezeichnet Streifenpolizisten als "ganz ruhig und zurückhaltend"

Der leitende Polizeibeamte Schulz weist Vorwürfe gegen die Streifenpolizisten, die Jalloh 2005 aufgegriffen hatten, zurück. "Die beiden Streifen-Beamten gehörten nicht zu der Kategorie Beamte, die es auch gibt [...], die gerne mal ein bisschen Action und Krawall haben. Das kann ich also ruhigen Gewissens behaupten, dass das beides zwei ganz ruhige, zurückhaltende Vertreter waren."

In der nun veröffentlichten ARD-Doku-Serie kommt unter anderem auch Felix Isensee zu Wort. Er hat die Nebenklage am Landgericht Dessau mit vertreten und bemängelt grobe Fehler, etwa bei der Spurensicherung am Tatort. So sei etwa eine der Handfesseln verschwunden, mit denen Jalloh gefesselt war und sich dennoch selbst entzündet haben soll. 

Eine Frau legt eine Rose auf die Stufen des Reviers.
Oury Jalloh war am 7. Januar 2005 in der Dessauer Polizeizelle gestorben. Bildrechte: picture alliance/dpa/dpa-Zentralbild | Jan Woitas

Untersuchung deutet auf zugefügte Verletzungen hin

Die Dokumentation zeigt zudem weitere Ungereimtheiten der bisherigen Verfahren auf. So wurden zum Beispiel bei der Obduktion von Jallohs verbranntem Körper keine Röntgenaufnahmen gemacht. Dafür, hieß es damals seitens der Staatsanwaltschaft, habe es keine Notwendigkeit gegeben.

Oury Jallohs Freund, der Dessauer Mouctar Bah, kämpft seit dem Tod des Mannes aus Sierra Leone für die Aufklärung der Todes-Umstände und tritt in der Nebenklage auf. Er schaffte es schließlich, eine zweite Autopsie zu veranlassen. Laut Rechtsmediziner Hansjürgen Bratzke wurde dabei ein Nasenbeinbruch festgestellt – eine Verletzung, die in der Regel durch Gewalt zustande komme.

Familie von Jalloh hofft auf Europäischen Gerichtshof

In Deutschland ist der Fall Jalloh juristisch abgeschlossen. Jallohs Familie kämpft allerdings weiter: Sie hat im Juli 2023 Beschwerde beim Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte eingelegt und will erreichen, dass die Ermittlungen wieder aufgenommen werden.

ARD CrimeTime - Warum verbrannte Oury Jalloh?
Bildrechte: ARD/WDR/MDR

Doku-Serie "ARD CrimeTime – Warum verbrannte Oury Jalloh?" Die Serie ist seit dem 27. November in der ARD-Mediathek zu sehen und wird am 6. Januar im Ersten ausgestrahlt. Die Serie versucht, in gut drei Stunden Antworten zu finden. Zu Wort kommen auch Freude Jallohs sowie die Mutter seines zur Adoption freigegebenen Sohnes.

Mehr zum Fall Oury Jalloh

dpa, MDR (Nikta Vahid-Moghtada, Kalina Bunk) | erstmals veröffentlicht am 27.11.2024

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 27. November 2024 | 19:00 Uhr

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