Ermittlungsstopp war rechtens Bundesverfassungsgericht: Fall Jalloh ausreichend juristisch aufgearbeitet
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23. Februar 2023, 14:43 Uhr
Seit fünfeinhalb Jahren ist das Verfahren um den Feuertod von Oury Jalloh im Dessauer Polizeigewahrsam eingestellt. Dabei soll es auch bleiben. So sieht es das Bundesverfassungsgericht. Es hat eine Verfassungsbeschwerde von Jallohs Bruder nicht zur Entscheidung angenommen. Nach Ansicht des Gerichts ist der Fall ausreichend beleuchtet.
- Der Fall Oury Jalloh bleibt bei den Akten.
- Sein Bruder wollte per Verfassungsbeschwerde weitere Ermittlungen erreichen – das lehnte das Bundesverfassungsgericht aber ab.
- Bis heute ist unklar, wie Oury Jalloh gefesselt in einer Polizeizelle verbrennen konnte.
Im Fall des gefesselt in Dessauer Polizeigewahrsam verbrannten Oury Jalloh muss nicht weiter ermittelt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat eine Verfassungsbeschwerde des Bruders nicht zur Entscheidung angenommen. Dieser wollte entgegen eines Beschlusses des Oberlandesgerichts Naumburg erreichen, dass weitere Ermittlungen stattfinden. Rechtlich bleibt dem Angehörigen noch der Gang vor den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte.
Aus Sicht des Verfassungsgerichts hat der damalige Beschluss den Fall und die Details ausreichend beleuchtet. Damit werde dem verfassungsgemäßen Recht des Bruders auf eine effektive Strafverfolgung hinreichend Rechnung getragen, so die Karlsruher.
Verfassungsgericht sieht keine Zweifel an juristischer Sorgfalt
In der Begründung verweist die 2. Kammer des Zweiten Senats darauf, dass das Oberlandesgericht seinerzeit sowohl eine Selbstentzündung Jallohs nicht ausschließen, als auch keinen hinreichenden Tatverdacht gegen einen konkreten Beschuldigten herstellen konnte. Die Naumburger hätten zu Recht darauf hingewiesen, dass es keine Anhaltspunkte gab, welche Polizeibeamten aufgrund welcher Beweismittel als Täter hätten in Frage kommen sollen.
Bedauern über Gerichtsentscheidung
Die Entscheidung des Bundesverfassungsgerichts gegen neue Ermittlungen im Fall Oury Jalloh stößt in Sachsen-Anhalt auf Bedauern. Die Fraktionschefin von BÜNDNIS 90/DIE GRÜNEN, Cornelia Lüddemann, sagte MDR SACHSEN-ANHALT am Donnerstag, es sei bitter, nicht zu wissen, wie Jalloh vor 18 Jahren zu Tode gekommen sei. Ernüchternd sei auch, dass die Polizei kaum etwas aus dem Fall gelernt habe. Auch heute gebe es noch rassistische und rechtsextreme Tendenzen in der Polizei.
Razak Minhel vom Multikulturellen Zentrum in Dessau-Roßlau sagte MDR SACHSEN-ANHALT am Donnerstag, er respektiere das Urteil, sei aber enttäuscht. Denn damit sei klar, dass der rätselhafte Tod Jallohs nicht aufgeklärt werde. Jalloh sei nicht irgendwo auf der Straße gestorben, sondern an einem eigentlich sicheren Ort - im Dessauer Polizeirevier. Und das sei nicht hinnehmbar, so der Iraker. Deshalb werde es auch in Zukunft Demonstrationen in Dessau geben.
Fall beschäftigt seit 16 Jahren die Gerichte
Das Oberlandesgericht Naumburg hatte am 22. Oktober 2019 entschieden, dass der Fall Jalloh bei den Akten bleibt. Es folgte damit der Auffassung der Generalstaatsanwaltschaft im November 2018, die ebenfalls Beschwerden von Hinterbliebenen zurückgewiesen hatte. Wiederum ein Jahr zuvor, im Oktober 2017, hatte die Staatsanwaltschaft Halle die Ermittlungen eingestellt. Per Erlass durch das Justizministerium Sachsen-Anhalts wurde im Dezember 2017 die Generalstaatsanwaltschaft Naumburg angewiesen, die Geschehnisse in dem Fall noch einmal eigenständig zu analysieren. Der entstandene Prüfvermerk fasst über 200 Seiten und stützt die Einstellung des Falls. In einem anderen Prozess hatte 2012 das Landgericht Magdeburg einen Dessauer Beamten wegen fahrlässiger Tötung zu einer Geldstrafe verurteilt. Er war dafür zuständig, Jalloh zu beaufsichtigen.
Zweifel und Ungereimtheiten bleiben
Am 7. Januar 2005 war Oury Jalloh, ein Asylbewerber aus Sierra Leone, in Zelle fünf des Polizeireviers in Dessau-Roßlau im Feuer ums Leben gekommen. Die Todesumstände sind weiter nicht aufgeklärt – insbesondere die Frage, wie der Brand in der Zelle entstehen konnte, obwohl Jalloh mit Händen und Füßen an einer schwer entflammbaren Matratze gefesselt war. Aus juristischer Sicht, im März 2007 begann der erste Prozess, konnte bis zuletzt eine Selbstanzündung des 36-Jährigen nicht ausgeschlossen werden. Mehrere Initiativen zweifeln aber an dieser Darstellung und werfen Staatsanwaltschaft und Polizei Vertuschung vor. Sie sprechen von "Mord". Laut Obduktion hatte Jalloh schwere Verbrennungen.
MDR (André Plaul)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 23. Februar 2023 | 10:00 Uhr