Stickstoffwerk Produktionsstop in Piesteritz: Deshalb wird über AdBlue diskutiert

12. September 2022, 14:16 Uhr

Deutschlandweit sorgen die Stickstoffwerke Piesteritz aus Wittenberg derzeit für Schlagzeilen. Grund dafür ist der Stopp der Produktion – unter anderem von AdBlue. Aber was ist das überhaupt? Wie kam es dazu? Wer ist davon betroffen? All diese und weitere Fragen beantwortet MDR SACHSEN-ANHALT jetzt in diesem FAQ.

Was ist AdBlue eigentlich?

AdBlue ist eine flüssige Harnstofflösung, die in Diesel-Fahrzeugen eingesetzt wird. Sie sorgt mit Hilfe eines speziellen Katalysators dafür, dass weniger Stickoxide ausgestoßen werden. Es geht also um eine Abgasnachbehandlung. Wie der ADAC erklärt, wandelt AdBlue die Schadstoffe "fast vollständig in Wasserdampf und ungefährlichen Stickstoff um."

Wieso wird das Thema gerade diskutiert?

Normalerweise können die betroffenen Fahrzeuge AdBlue einfach in ihren Zusatztanks nachfüllen, wenn die Flüssigkeit leer ist. Das könnte zukünftig schwierig werden, denn AdBlue wird knapper. Die SKW Stickstoffwerke Piesteritz, die 40 Prozent des Bedarfs an AdBlue in Deutschland decken, haben aktuell die Produktion eingestellt.

"Wir laufen trocken", sagte ein Sprecher des Chemieunternehmens SKW Piesteritz in Wittenberg der Nachrichtenagentur Reuters am Mittwoch. "Da wir nichts mehr produzieren, leeren sich unsere Lager." Wegen der drastisch gestiegenen Gaspreise steht die Produktion bei SKW Piesteritz bereits seit mehreren Wochen vollständig still, da sie für das Unternehmen nicht mehr wirtschaftlich ist. Denn Gas ist ein wichtiger Rohstoff in der Produktion, der nicht ersetzt werden kann. Jährlich benötigt die SKW 14 Terrawattstunden Gas. Zudem müsse der Konzern monatlich voraussichtlich 30 Millionen Euro Gasumlage zahlen. Das sei finanziell nicht zu stemmen, so der SKW-Sprecher.

Allerdings wird nicht nur in Piesteritz AdBlue hergestellt, sondern BASF und Yara gehören ebenfalls zu den größten Herstellern von AdBlue in Deutschland. Deshalb hat der ADAC am Donnerstag erklärt, dass er aktuell auf dem Markt keine Knappheit bei AdBlue sehe. Bevor eine flächendeckende Verknappung eintrete, müsse die Industrie auch bei hohen Gaspreisen eine Versorgung mit AdBlue sicherstellen.

Wieso produziert BASF gerade AdBlue und die SKW nicht?

Beim Chemiekonzern BASF läuft nach eigenen Angaben die AdBlue-Produktion weiterhin uneingeschränkt. Eine Unternehmenssprecherin sprach jedoch von einem "herausforderndem Marktumfeld". Doch warum stoppt SKW die Herstellung, während BASF weiter produziert? Das könnte mit den finanziellen Rahmenbedingungen zu tun haben: "BASF ist ein global agierender Konzern", sagte der SKW-Sprecher. "Wenn wir so tiefe Taschen wie BASF hätten, könnten wir womöglich auch produzieren." BASF erwirtschaftete 2021 einen Gewinn vor Steuern und Zinsen von knapp 8 Milliarden Euro. SKW setzte laut dem letzten veröffentlichten Jahresabschluss im Jahr 2020 etwa 500 Millionen Euro um.

Was macht das Unternehmen SKW Piesteritz?

Die SKW Stickstoffwerke Piesteritz sind nach eigenen Angaben Deutschlands größter Ammoniak- und Harnstoffproduzent und stellen auch Stickstoff-Düngemittel her. Außerdem gehören sie mit BASF und Yara zu den größten Herstellern von AdBlue in Deutschland.

Bei SKW ist die Produktion von Ammoniak, Harnstoff und Adblue aneinander gekoppelt, wie ein Sprecher des Unternehmens erklärte. Da die Düngemittelproduktion wegen der aktuellen Gaspreise Verluste machen würde, wurde die Produktion abgestellt. Bei AdBlue seien die Preise zuletzt zwar so stark gestiegen, dass dessen Produktion rentabel sei, sagte der Sprecher. Allerdings könne der Kraftstoffzusatz nicht separat hergestellt werden.

Wen trifft der Produktionsstopp der SKW Stickstoffwerke Piesteritz?

Der ADAC formuliert es so: "Wenn der AdBlue-Zusatztank leer ist, geht gar nichts mehr: Das Dieselfahrzeug lässt sich nicht mehr starten." Dementsprechend sind Lkw und Pkw, die AdBlue benötigen, betroffen. Und daran hängen natürlich weitere Unternehmen und Abläufe, wenn beispielsweise Lkw die entsprechende Ladung nicht transportieren können.

Der Bundesverband Gütertransport und Logistik (BGL) warnt deshalb vor massiven Folgen wegen des wachsenden AdBlue-Mangels: "Kein AdBlue bedeutet keine Brummis. Und das bedeutet keine Versorgung für Deutschland", hatte BGL-Hauptgeschäftsführer Dirk Engelhardt der "Bild"-Zeitung (Mittwochausgabe) gesagt und dabei auch auf den Produktionsstillstand bei SKW verwiesen. Bereits in zwei Wochen könne es zu ersten Engpässen im Handel kommen.

Zusätzlich gibt es das Problem, dass bei den Stickstoffwerken in Piesteritz alle Produktionen stillgelegt wurden. Dementsprechend wird dort nicht nur kein AdBlue, sondern auch kein Ammoniak produziert. Darunter wiederum leidet zum Beispiel der Kunststoffproduzent DOMO aus Leuna im Saalekreis. Das Unternehmen sagte MDR SACHSEN-ANHALT, wenn sich die Situation verschlechtere, drohe den Mitarbeitern schlimmstenfalls Kurzarbeit.

Auch das Ministerium für Infrastruktur und Digitales des Landes Sachsen-Anhalt beschäftigt sich mit dem Thema, wie Pressesprecher Peter Mennicke erklärt: "Natürlich haben wir die Situation im Blick und sind im Austausch mit allen, die es betrifft. Aber gerade ist es schwer einzuschätzen, und da beziehe ich mich auf den ADAC, ob es überhaupt eine AdBlue-Knappheit geben wird. Das ist noch nicht belegt." Dementsprechend habe das Ministerium auch noch keine weiteren Schritte eingeleitet, sondern warte die Situation ab.

War diese Problematik vorhersehbar?

Die Diskussion um AdBlue wird unter anderem seit dem Anstieg der Gaspreise und der Gasdrosselung seitens Russlands geführt. Die Stickstoffwerke Piesteritz haben sich seitdem bereits besorgt gezeigt. Was an sich vorhersehbar daran war: Wenn ein Unternehmen wie die SKW einen Rohstoff wie Gas für die Herstellung weiterer Produkte benötigt und dieser Rohstoff knapper wird, dann führt das unweigerlich zu Problemen. Das gilt aber nicht nur für den aktuellen Fall der Stickstoffwerke, sondern generell.

Wann ist mit Auswirkungen zu rechnen und wie sähen sie aus?

Pauschal lässt sich das nicht sagen, da zu viele Akteure und Abläufe davon betroffen sein können. Allerdings wird jetzt schon deutlich, dass beispielsweise Unternehmen, wie der Kunststoffproduzent DOMO aus Leuna, darunter leiden, dass die SKW Piesteritz kein Ammoniak produzieren. Sollten Lkws wirklich nicht mehr fahren können, wie BGL-Hauptgeschäftsführer Dirk Engelhardt befürchtet, dann würden das auch Verbraucherinnen und Verbraucher merken, wenn zum Beispiel die Lebensmittel nicht in die Läden geliefert werden können. Zum aktuellen Zeitpunkt sei dem aber noch nicht so, wie eine Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT bei der Verbraucherzentrale Sachsen-Anhalt zeigt. Dort läge noch keine Verbraucheranfrage vor.

Können Lkw in irgendeiner Form auch schadstofffrei ohne AdBlue fahren?

Nein. Die Lkw, die AdBlue aktuell brauchen, können die Flüssigkeit nicht einfach weglassen, da sie diese aufgrund der technischen Umsetzung benötigen, um überhaupt fahren zu können. Eine weitere Variante wären Elektro-Lkw – einer wird beispielsweise in der Sektkellerei in Freyburg getestet. Allerdings hilft das dem Gesamtproblem aktuell nicht, da nicht jedes Unternehmen bei einer AdBlue-Knappheit andere Lkw kaufen kann.

Und wie geht es für die Stickstoffwerke weiter?

Die SKW Piesteritz hat von der Politik eine Deckelung des Gaspreises gefordert, genau wie eine Ausnahme bei der Gasumlage für Unternehmen, die Gas als Rohstoff einsetzen. "Wenn nichts passiert, müssen wir zum 1. Oktober Kurzarbeit anmelden", so der Sprecher des Unternehmens. SKW Piesteritz beschäftigt 850 Mitarbeiter, den Großteil davon in der Produktion.

Die Bundesregierung hat darauf reagiert und den Stickstoffwerken Piesteritz in Wittenberg Hilfe in Aussicht gestellt. Man habe die Betriebseinstellung mit Besorgnis zur Kenntnis genommen, so ein Regierungssprecher. Wenn nötig würden Maßnahmen ergriffen - es stehe etwa ein "Liquiditätsprogramm" zur Verfügung.

Im Beitrag von MDR um 11 erklärt Alexandra Kruse vom ADAC, wie mit dem Mangel an AdBlue umgegangen werden könnte:

Liquiditätshilfen brächten das Unternehmen aber nicht voran, meinte Christopher Profitlich, Firmensprecher der SKW Piesteritz, auf Anfrage von MDR SACHSEN-ANHALT am Donnerstag. Damit könne man einen Handwerksbetrieb retten, nicht aber ein großes Unternehmen. Denn die avisierte Unterstützung der Bundesregierung treffe das Problem nicht. Wichtiger sei, so Profitlich, die Deckelung des Gaspreises auf ein wirtschaftlich vertretbares Niveau.

Mehr zum Thema SKW Piesteritz & AdBlue

MDR (Johanna Daher, André Damm), Reuters, dpa | Erstmals veröffentlicht am 09.09.2022

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 08. September 2022 | 14:30 Uhr

49 Kommentare

Berggeist am 11.09.2022

Wollen Sie uns ernsthaft weiss machen Putin hat den Preis persönlich so nach oben getrieben? Dann lesen Sie sich bitte durch die Artikel, um erst mal zu verstehen, wie der Gashandel funktioniert und wie die Preise zustande kommen.

hilflos am 11.09.2022

0000 versorgungspflicht hin oder her, wenn die Experten nicht in der Lage sind die Versorgung zu gewährleisten, dann wird es ganz dunkel. Egal, die Landtagswahl in Niedersachsen wird uns beweisen, dass der rot-grünen Regierung noch viel Vertrauen entgegen gebracht wird. Ich hoffe nur, dass man nicht die Umfragen von Forsa usw als Wahlergebnis nimmt, denn in Niedersachsen wird die Krise erst nach dem Ende des Wahlkampfes ankommen

DER Beobachter am 11.09.2022

Brauche ich hier in DD Joghurt aus Meck-Pom, wenn Sachsen-Milch hier trotz Millionen-Zuschüssen via Freistaat, Bund ud EU schon vor der Krise seine Milch und Milchprodukte nahezu am teuersten abzustoßen versucht...?

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