FachkräftemangelWie Wittenbergs Mittelstand nach Auszubildenden sucht
Mehrere hundert offene Lehrstellen gibt es noch allein in Anhalt und Wittenberg – die Fachkräfte von morgen fehlen. Die Folgen sind dramatisch: Firmen überaltern, weil sie keinen Nachwuchs finden. Inzwischen kommen auf jeden Jugendlichen zwei Ausbildungsstellen. Einige mittelständische Betriebe haben das Werben um Auszubildende längst aufgegeben, andere haben ihre Bemühungen verstärkt. Wie unterschiedlich sich Firmen und Behörden dem Problem nähern, wird im Landkreis Wittenberg deutlich.
- Viele Ausbildungsplätze bleiben derzeit in Wittenberg und Umgebung unbesetzt. Unter anderem im öffentlichen Dienst.
- Auch im Handwerk sucht man dringend Nachwuchs. Jedoch seien die Bewerber teilweise nicht geeignet, sagt Unternehmer.
- Ein anderer Unternehmer sagt, man müsse den jungen Menschen auch etwas bieten, um sie von sich zu überzeugen.
Die Lücke ist beträchtlich. In der Wittenberger Kreisverwaltung können seit Monaten 60 offene Stellen nicht besetzt werden. Der Arbeitsmarkt ist regelrecht leergefegt, berichtet Wittenbergs Landrat Christian Tylsch (CDU). Deshalb sei es zunehmend wichtig, eigene Fachkräfte auszubilden.
"Als öffentlicher Dienst sind wir immer noch ein gefragter Arbeitgeber, weil wir gut und pünktlich zahlen, besser als viele denken. Außerdem sind wir unglaublich vielfältig: vom Jugendamt über Busverkehr bis zur Abfallentsorgung. Die Vielfalt ist extrem groß und ich denke, das lockt auch", sagt Tylsch.
Das bestätigen Julia und Semir, die eine Ausbildung zur Verwaltungsfachangestellten beziehungsweise zum Fachinformatiker absolvieren. "Der öffentliche Dienst ist immer eine gute Entscheidung. Außerdem fand ich das Arbeitsklima sehr ansprechend", erzählt die junge Frau, während Computerfreak Semir sein Hobby zum Beruf machen will. Vor allem der Aufbau von IT-Netzwerken stößt auf sein Interesse.
Gute Erfahrungen mit Lehrlingen hat auch der Kemberger Bürgermeister Torsten Seelig gemacht. Seit 20 Jahren werde in der kleinen Heidestadt regelmäßig ausgebildet. "Wer sich um den Nachwuchs nicht kümmert, hat schon verloren. Aber man muss auch bereit sein, etwas zu geben. Auszubildende, die bei uns anfangen und ihre Lehre schaffen, erhalten danach auch eine Stelle."
Große Nachwuchssorgen im Handwerk
Während es Verwaltungen meist noch gelingt, ihr Personal durch Azubis zu verjüngen, fällt das Handwerksbetrieben zunehmend schwerer. Davon erzählt der Wartenburger Bauunternehmer Ulrich Rehhahn, der sich auf Hochbau und Kleinkläranlagen spezialisiert hat. An Aufträgen mangelt es ihm nicht. Sein kleines Team ist schlagkräftig und erfahren. Allerdings werden die Mitarbeiter immer älter, da er seit Jahren schon keine Lehrlinge ausbildet.
Das habe mehrere Gründe. Zum einen würden sich keine Bewerber melden. Und diejenigen, die vermittelt werden, entsprächen meist nicht seinen Anforderungen. "Bewerber, die nur wissen wollen, wie viel Geld sie kriegen und für 17 mal sieben den Taschenrechner brauchen, kann ich nicht gebrauchen", sagt Rehhahn.
Dabei ist gerade das Handwerk auf Nachwuchs angewiesen. Zwischenzeitlich meldeten die Handwerkskammern, dass bundesweit 40.000 Azubis fehlen – das entspricht fast der Einwohnerzahl von Halberstadt oder Weißenfels.
Bewerber, die nur wissen wollen, wie viel Geld sie kriegen und für 17 mal sieben den Taschenrechner brauchen, kann ich nicht gebrauchen.
Ulrich Rehhahn, Bauunternehmer aus Wartenburg
Arbeitgeber müssen sich somit eine Menge einfallen lassen, um für Lehrlinge interessant zu werden. Gleichzeitig müssen die Firmen ihre Ansprüche herunterschrauben. "Das Niveau vieler Lehrlinge lässt zu wünschen übrig. Ich weiß nicht, was die in der Schule gemacht haben. Rechnen und Schreiben war meist nicht dabei", sagt Rehhahn.
Dennoch greift der Wittenberger Kreishandwerksmeister Enrico Reinecke, der mit seinem Unternehmen seit mehr als zwei Jahrzehnten im Baugeschäft tätig ist, auf von der Arbeitsagentur vermittelte Schulabgänger zurück. Sie bekämen Nachhilfeunterricht. Die Mitarbeiter der Arbeitsagentur würden sich extrem bemühen. Doch die Zeit gehe von der Lehrzeit weg. Er hoffe deshalb, dass die Lehrlinge nach drei Jahren den Abschluss schaffen und danach im Unternehmen bleiben.
Gute Arbeitsbedingungen als Pull-Faktor
Diese Sorgen macht sich Jens Schäfer, Geschäftsführer der Dachdeckerfirma Albrecht in Kemberg, derzeit nicht. Aktuell sind fünf der 30 Mitarbeiter Lehrlinge. Für seine Azubis ließ er sogar ein leerstehendes Gebäude zur modernen Ausbildungshalle umbauen. Dort könne sich der Nachwuchs austoben.
"Die Halle ist 150 Quadratmeter groß, mit allen möglichen Dachmodellen. Für Flachdach, Satteldach, Klempnerei. Das lohnt sich aber nur, wenn wir mehrere junge Leute ausbilden." Das sei kein Problem gewesen, so Schäfer. Denn wenn die Arbeitsbedingungen passen würden, spreche sich das unter den Jugendlichen schnell herum.
Mehr zum Thema Fachkräftemangel
MDR (André Damm, Sebastian Gall)
Dieses Thema im Programm:MDR SACHSEN-ANHALT – Das Radio wie wir | 01. August 2024 | 07:30 Uhr
Kommentare
{{text}}