Nachruf Mit Friedrich Schorlemmer verstummt wichtige Stimme des Ostens
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11. September 2024, 13:08 Uhr
Weggefährten reagieren auf den Tod von Friedrich Schorlemmer. Der evangelische Landesbischof Friedrich Kramer nannte ihn bei MDR KULTUR einen "protestantischen freien Geist" sowie "eine scharfe und klare Stimme". Der Politiker Markus Meckel würdigte ihn als "begnadeten Kommunikator des christlichen Glaubens." Berühmt geworden ist der Theologe, Schriftsteller, Bürgerrechtler und Publizist Schorlemmer mit der Aktion "Schwerter zu Pflugscharen". Gestern ist er im Alter von 80 Jahren gestorben. Ein Nachruf.
- Mit der DDR-Friedensaktion "Schwerter zu Pflugscharen" erregte Friedrich Schorlemmer in den 80er-Jahren Aufsehen.
- Bei einer Rede am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz forderte er Reformen in der DDR.
- In den 1990er-Jahren war Schorlemmer eine der gefragtesten Stimmen des Ostens.
Geboren wurde Friedrich Schorlemmer am 16. Mai 1944 in Wittenberge/Prignitz, ganz im Norden Brandenburgs. Er war Sohn eines Pfarrers und studierte dann selbst Theologie in Halle an der Saale. Das Abitur musste er in der Volkshochschule nachholen, denn schon als Jugendlicher hatte er sich geweigert, der FDJ beizutreten. Nun ist er nach Angaben der Kirchenzeitung "Glaube + Heimat" und des Evangelische Pressedienstes im Alter von 80 Jahren in einem Berliner Pflegeheim gestorben.
Friedrich Schorlemmers Kampf gegen die Stasi
Nach acht Jahren als Studierendenpfarrer in Merseburg lehrte er ab 1978 am Evangelischen Predigerseminar der Lutherstadt, war gleichzeitig Pfarrer an der berühmten Schlosskirche. 1980 gründete er in Wittenberg einen Friedenskreis und verteidigte junge Leute, denen Polizei und Stasi verbieten wollten, den Aufnäher "Schwerter zu Pflugscharen" zu tragen.
"Wenn wir umsetzten die Worte in Taten, die Träume in Wirklichkeit, dann können wir auch verzichten auf das geschundene Wort 'Frieden'", sagte Friedrich Schorlemmer beim regionalen Kirchentag in Wittenberg, als ein Schmied tatsächlich ein glühendes Schwert zu einer Pflugschar umformte. Hunderte Menschen jubelten, die meisten Anhänger der christlichen Friedensbewegung in der DDR.
Die konspirativ vorbereitete Aktion im Lutherhof machte den Theologen international bekannt und ihn selber stolz, der Stasi ein Schnippchen geschlagen zu haben.
Dass uns das gelang, obwohl so viel Stasi auf dem Hof war, gehört zu den Vorauswundern des Herbstes.
Schorlemmer forderte Neuerungen
Einer breiten Öffentlichkeit wurde Friedrich Schorlemmer bekannt, als er am 4. November 1989 auf dem Berliner Alexanderplatz vor einer halben Million Menschen sprach. Zusammen mit Künstlern und auch SED-Mitgliedern wie Gregor Gysi prangerte der Wittenberger Pfarrer die verkrusteten Verhältnisse in der DDR an und forderte Reformen. Auf einer provisorischen Bühne stehend sagte er damals:
Lebten wir gestern noch in der stickigen Luft der Stagnation, die atemberaubend war, so erleben wir jetzt Veränderungen, die atemberaubend sind. Der Wehrunterricht wird abgeschafft, der Zivildienst wird eingeführt.
Das waren Forderungen, für die Aktivisten der Friedensbewegung in der DDR viel riskiert hatten. Für Friedrich Schorlemmer war es der erste große Auftritt jenseits schützender Kirchenmauern. Ein "Tag der Befreiung", wie er Jahre später einmal sagte.
Aufklärerisches Engagement
Mit dem Mauerfall endeten auch für Friedrich Schorlemmer die Vorstellungen von einer erneuerten DDR. Er trat aus dem von ihm mitgegründeten "Demokratischen Aufbruch" aus und in die SPD ein. Als prominentes Mitglied wurde er nach der deutschen Vereinigung sogar aufgefordert, für das Amt des Bundespräsidenten zu kandidieren, was er ablehnte.
"Ich kenne mich zu gut, um zu wissen: […] Das hätte mich nur kaputt gemacht. Ich bin dem nicht gewachsen. Und ich will auch nicht in eine Politik hinein, in der ich laufend gucken muss, wie ich meine Anhängerschar um mich herum sammle, gegen die Anderen." Vielmehr wollte er mit seinen Büchern gegen drohendes Unheil anschreiben. Er verstand sich als Aufklärer, war ein begnadeter Redner und Prediger.
In den 90er-Jahren wurde Schorlemmer zu einer der gefragtesten Stimmen des Ostens. Er wurde nicht müde, den Westdeutschen zu erklären, warum sich in den Neuen Bundesländern so viele Menschen gedemütigt fühlten. Für sein Engagement erhielt er den Friedenspreis des Deutschen Buchhandels. Auch nach dem Ende des Kalten Krieges sah der Theologe und Publizist neue Gefahren. Kriege wie den der NATO gegen Jugoslawien, in Afghanistan oder dem Irak lehnte er ab. Er sprach sich auch gegen neoliberal kapitalistisches Denken aus. Und doch gab er nie die Hoffnung auf, dass Umkehr noch gelingen könne, ganz biblisch.
Wenn man nur auf seine wenigen kleinen persönlichen Schritte schaut und resigniert, ist man falsch dran. Man ist Teil einer großen Hoffnungs- und Utopie-Bewegung, dass Gerechtigkeit möglich ist, dass wir in Frieden beisammen wohnen können und dass wir die uns umgebende Natur nicht nur nutzen, sondern auch preisen.
Stark gegen geistliche Verödung
Friedrich Schorlemmer lebte inmitten von Büchern, Zeitschriften, Notizen, Briefen. Sie stapelten sich auf Tischen, dem Boden. Werke der Theologie, Philosophie, Weltliteratur und die eigenen Bände füllten Regale in seinem Arbeitszimmer. Angesichts aktueller Themen wusste er immer daraus zu zitieren: "Weh dem, der Wüsten birgt, sagt Nietzsche. Also die Wüsten wachsen überall. Und ich hoffe immer noch, dass wir keine Ökodiktatur brauchen."
Dabei blieb Schorlemmer immer auch der engagierte Pfarrer. Angesichts der Feiern zum 500. Reformationsjubiläum sagte er 2017 dem MDR in einem Telefoninterview: "Ich denke, wir haben einen Traditionsabbruch zu beklagen, der ganz tief reicht. Und dann kommt dazu, dass es uns nicht gelungen ist, genug Geist in die Kirchen zu bringen, die wir nun mit großem Aufwand landauf, landab wieder renoviert haben. Und was ich beobachte, landauf, landab, das ist eine geistliche Verödung in unserem Land."
Friedrich Schorlemmer – ein Idealist, und, wie er selbst einmal sagte, ein Mensch, der immer gegen den Strom schwimmt.
Quelle: MDR KULTUR (Wolfram Nagel), EPD, Mitteldeutsche Kirchenzeitung "Glaube+Heimat"
redaktionelle Bearbeitung: op, bh
Dieses Thema im Programm: MDR KULTUR - Das Radio | Kulturnachrichten | 10. September 2024 | 12:30 Uhr