Stadtkirche Wittenberg Urteil zur Schmähplastik: Geschichte soll nicht verdrängt werden
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Um das sogenannte Judensau-Relief an der Stadtkirche Wittenberg gibt es seit Jahren Streit. Mit dem Bundesgerichtshof hat jetzt eine weitere Instanz entschieden, dass es bleiben darf. Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist das wichtig, findet unser Autor. Ein Kommentar.
Das "Judensau"-Relief in Wittenberg ist scheußlich und hat an einer christlichen Kirche nichts zu suchen. Es wurde vor 700 Jahren nur angebracht, um Menschen jüdischen Glaubens zu beleidigen und zu vertreiben. Wir wollen euch nicht in unserer Stadt – so die Botschaft.
Klage vom BGH abgewiesen
Dass die Richter am Bundesgerichtshof in Karlsruhe entschieden, die Skulptur an der Fassade der Wittenberger Stadtkirche zu belassen, ist dennoch richtig. Sie haben einerseits nicht verheimlicht, dass die christlichen Kirchen ein schwieriges Erbe mit sich herumtragen: tief verwurzelten Antijudaismus und Antisemitismus. Auch dieser Teil der Geschichte soll nicht vergessen und verdrängt werden.
Gedenkplatte in Boden eingelassen
Andererseits haben die Richter gewürdigt, wie sich die Wittenberger Stadtkirchengemeinde mit der umstrittenen Plastik auseinandersetzt. Schon zu DDR-Zeiten wurde hier ein Gedenkensemble errichtet. Eine Gedenkplatte, die im Boden eingelassen wurde, eine Infotafel, die historische Zusammenhänge erklärt und es wurde der Baum Israels gepflanzt – eine Zeder.
Für den Kläger Michael Dietrich Düllmann, der einer jüdischen Gemeinde angehört, wird ein Schandmal nicht besser, wenn man es kommentiert. Das stimmt, aber erst eine Auseinandersetzung mit der Vergangenheit führt zum Nachdenken, zum Verstehen und am Ende zu einer kritischen Reflexion. Wittenberg ist kein Ort, an dem Menschen jüdischen Glaubens Angst haben müssen. Eine junge Frau brachte es auf den Punkt: Judenfeindlichkeit verschwindet nicht, weil ein Relief von der Fassade eines Gotteshauses gehackt wird.
Zeugnisse werden zunehmend kritisch gesehen
Dass sich Kläger Düllmann wohl mit mit dem Karlsruher Urteil nicht abfinden und die nächste Instanz – den europäischen Gerichtshof für Menschenrechte in Straßburg – anrufen wird, ist sein gutes Recht. Düllmann fordert weiter die Entfernung des Reliefs. Das ist für ihn nicht verhandelbar.
In der Sache hatte er sich bisher nicht durchsetzen können, aber trotzdem einiges erreicht. Zeugnisse der Vergangenheit an und in Kirchen und anderen öffentlichen Gebäuden werden zunehmend kritischer gesehen. Und es hat sich – auch durch die Gerichtsverfahren – eine Meinung durchgesetzt: Ohne entsprechende Gedenkkultur hat ein Schandmal wie die Judensau an keinem Gotteshaus mehr etwas zu suchen.
Über den Autor André Damm, geboren und aufgewachsen in der Lutherstadt Wittenberg, arbeitet seit 1998 für MDR SACHSEN-ANHALT. Mit Vorliebe widmet er sich Themen aus Politik, Wirtschaft und Kirche. Im Einsatz ist er vor allem in der Region Anhalt und Wittenberg. André Damm hat 1990 bei der Mitteldeutschen Zeitung volontiert, danach an der Universität Leipzig Journalistik und Politikwissenschaften studiert. Der begeisterte Schach-und Tischtennisspieler lebt in Bad Schmiedeberg, tummelt sich viel in der Dübener Heide und natürlich in Wittenberg.
MDR (André Damm, Daniel Salpius)
Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT - Das Radio wie wir | 14. Juni 2022 | 15:30 Uhr
Wahrheit verboten am 16.06.2022
Zwischen dem Relief , seine Entstehung und Bedeutung bis Heute, da liegen etwa 500 Jahre dazwischen.
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Nein, es sind sogar über 700 Jahre. Es ist ja wohlfeil auch von diesem Kläger alles Luther anzuhängen. Aber selbst der Zentralrat der Juden in Dtl. spricht von abrüsten und vom richtigen Umgang damit in Wittenberg.
hinter-dem-Regenbogen am 14.06.2022
# "Für eine kritische Auseinandersetzung mit der Vergangenheit ist das wichtig, findet unser Autor. . . ."
Zwischen dem Relief , seine Entstehung und Bedeutung bis Heute, da liegen etwa 500 Jahre dazwischen.
Mit anderen Worten, da muß aber noch eine ganze Menge Vergangenheit aufgearbeitet werden. Und wer es ehrlich meint, der sollte dabei auch nichts auslassen.
Geschichte erzählt zu bekommen oder nachzuerzählen und Geschichte im Konsenz zu verstehen, sind immer noch Zweierlei.
Peter W. am 14.06.2022
Es ist ja nicht so, dass die Plastiken erst neu angebracht wurden, das wäre auf jeden Fall ein absolutes NoGo.
Hier handelt es sich um historische Beweisstücke, die trotz ihrer abscheulichen ursprünglichen Aussage nicht aus der Öffentlichkeit und damit dem Bewusstsein der Gesellschaft entfernt werden sollten.
Stattdessen gehören solche geschichtlichen Zeugnisse an gleichem Ort umfassend erklärt, z.B. mit Informationstafeln oder Denkmälern. So können sie als Mahnmal für heutige Generationen dienen und das Verständnis und Wissen um die Geschichte fördern.
Eine Entfernung würde hingegen zum Vergessen beitragen und die Gefahr fördern, dass sich Geschichte wiederholt.
Ich verstehe da den Kläger nicht recht, warum er greifbare Beweise des historischen und tatsächlich jahrhundertelang praktizierten Antisemitismus verschwinden lassen will.