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Abiturienten aus Sachsen-Anhalt erzählenWas macht man mit einem Einser-Abi?

22. Juli 2022, 18:14 Uhr

Ein Abi-Zeugnis mit einer 1,0 ist wie ein Ticket für fast jedes Studium. Aber was macht man, wenn man quasi alles machen kann? Nur nach Interessen gehen – oder auch nach Prestige und Gehaltsvorstellungen? Und was gehört eigentlich dazu, einen Einser-Schnitt abzuliefern? Fünf Sachsen-Anhalter, die es geschafft haben, berichten.

von Elisa Sowieja-Stoffregen, MDR SACHSEN-ANHALT

176 Abiturientinnen und Abiturienten in Sachsen-Anhalt haben dieses Jahr den Traum-Durchschnitt von 1,0 geschafft. MDR SACHSEN-ANHALT hat mit fünf von ihnen gesprochen.

Einiges haben sie gemeinsam: Alle sind sehr ehrgeizig. Jeder gibt mindestens einem Lehrer einen Anteil am Erfolg. Und die Fünf schielen bei ihrer Uni-Wahl auf die Nähe zur Heimat. Unterschiedlich hingegen sind ihre Einstellungen zu Prestige-Studiengängen wie Medizin und Jura und ihre Anforderungen an eine Uni.

Maurice Heide: Vom Durchschnitts-Schüler zum Spitzen-Abiturienten

  • Name: Maurice Heide
  • Schule: Dr.-Carl-Hermann-Gymnasium Schönebeck
  • Pläne: Informatikstudium

Vor drei Jahren hatte kaum jemand Maurice Heide als Einser-Abiturienten auf dem Schirm. "Ich glaube, die meisten Lehrer haben mich als Durchschnitts-Schüler abgestempelt", sagt er. Der Schönebecker schrieb in der Regel Zweien und Dreien, weil er – das gibt er offen zu – lange Zeit einfach faul war. Und jetzt ein Abi-Durchschnitt von 1,0. Rein rechnerisch ist es sogar eine 0,77.

Der Wandel kam in der Oberstufe. "Ich habe erst ab der 10. Klasse richtig Hausaufgaben gemacht", erzählt Maurice Heide. Eine wichtige Rolle spielten dabei seine Eltern. Sie sagten ihm immer wieder, dass er eigentlich ein Einser-Schüler ist. Als er irgendwann merkte, dass er sogar die 1,0 schaffen kann, packte ihn sein Ehrgeiz. Und davon hat er jede Menge, er ist nämlich auch Wettkampf-Schwimmer. Genau wie im Sport feilte er an seiner Technik: Der Schüler gewöhnte sich zwei Lerntechniken an, die vorgeben, wann, wie und wie oft er seinen Stoff wiederholen muss, damit er hängen bleibt.

Ich denke, man sollte sich durch einen Abiturschnitt nicht dadurch verleiten lassen, bei der Studienwahl in Sparten zu denken.

Maurice Heide, Einser-Abiturient

Als es an die Studienwahl ging, spielte seine Abschlussnote nur eine Nebenrolle, erzählt Maurice Heide. "Ich denke, man sollte sich durch einen Abiturschnitt nicht dazu verleiten lassen, bei der Studienwahl in Sparten zu denken. Man sollte das studieren, wofür man brennt", sagt er. "Wenn das mit guten Gehaltsaussichten einhergeht, ist das beruhigend, aber nicht ausschlaggebend." So fiel seine Wahl auf einen Studiengang, der an seinem Wunschort zulassungsfrei ist: Informatik.

Beim Studienort sollte es aber eine Exzellenz-Uni sein. Denn Maurice Heide schielt darauf, später seinen Master an einer Elite-Universität im Ausland machen zu können, am liebsten am renommierten "MIT" in den USA. Der Schönebecker wird nach Dresden gehen. Berlin hätte er übrigens auch gut gefunden. "Aber dort sind die Unterkünfte extrem teuer, und für Wohnheime gibt es eine sehr lange Warteliste", erzählt er. Ein paar Türen lassen sich eben selbst mit einem Abitur mit 1,0 nur schwer öffnen.

Maria Rahmsdorf: Erstmal ein Jahr zum Sortieren

  • Name: Maria Rahmsdorf
  • Schule: Geschwister-Scholl-Gymnasium Gardelegen
  • Pläne: erstmal ein Freiwilliges Ökologisches Jahr

Maria Rahmsdorf nimmt sich ein Jahr Zeit, um das passende Studium zu finden. Bildrechte: Maria Rahmsdorf

Beschweren will sie sich nicht. "Das ist ein Segen, ich kann mit meinem Durchschnitt eigentlich alles machen", sagt Maria Rahmsdorf. Nur ist genau das auch ihr Problem. Denn während andere ein Faible für Sprachen, Naturwissenschaften oder Kunst haben, interessiert sie sich quasi für alles. "Ich war gut in der Schule, weil ich jedes Fach gern gemacht habe", erklärt sie. Hinzu kommt die riesige Auswahl: "Ich habe das Gefühl, ich weiß gar nicht, was man alles studieren kann." Ihre aktuellen Favoriten reichen von Biologie über Umweltrecht bis hin zu Journalismus.

Ich war so mit der Schule beschäftigt, dass ich nicht die Zeit dafür hatte, mich mit dem Thema zu befassen.

Maria Rahmsdorf, Einser-Abiturientin

Bisher konnte sie sich auch kaum um ihre Studienwahl kümmern, sagt sie: "Ich war so mit der Schule beschäftigt, dass ich nicht die Zeit hatte, mich mit dem Thema zu befassen." Denn sie hat viel Energie in ihr Einser-Abi gesteckt. Das lag vor allem an ihrem Perfektionismus – und ein bisschen daran, dass ihre beiden Geschwister auch schon ein 1,0er Abi abgeliefert haben. "Ich wurde zwar nicht direkt verglichen, aber ich glaube, in der Schule gab es schon eine Erwartung, dass ich das auch schaffe", erzählt sie.

Grundsätzlich seien ihre Lehrer aber eine große Hilfe gewesen: "Ich hatte Glück, dass ich mit allen gut klar kam", sagt sie. Maria Rahmsdorf glaubt, für ein Einser-Abi ist das auch nötig: "Wenn man sich auf der persönlichen Ebene gar nicht versteht, weiß ich nicht, wie das klappen soll", sagt sie. "Denn wenn man sich wohlfühlt, traut man sich im Unterricht viel mehr."

Für ihre Studienwahl braucht Maria Rahmsdorf noch mehr Zeit, hat sie beschlossen. Deshalb legt sie jetzt ein Freiwilliges Ökologisches Jahr ein. "Dann kann ich meine Möglichkeiten sortieren", erklärt sie. "Außerdem zwinge ich mich, mal ein bisschen rauszukommen." Allzu weit weg von der Altmark will sie aber nicht, es geht nach Göttingen. Dort kann sie sich auch vorstellen, später zu studieren. "Mir ist es wichtig, dass die Stadt schön ist", sagt die Abiturientin." Und die Uni? "Gut soll sie schon sein, aber eine Elite-Uni ist kein Muss."

Sachsen-Anhalts Abiturienten in Zahlen

  • 4.868 Schülerinnen und Schüler in Sachsen-Anhalt haben in diesem Jahr das Abitur bestanden.
  • 176 Abiturienten erreichten das Bestergebnis von 1,0 – also 3,6 Prozent.
  • Den 1,0er Schnitt schaffen immer mehr Schülerinnen und Schüler. 2021 waren es 3,1 Prozent, im Jahr davor 2,5 Prozent.
  • Knapp jeder Siebente (14,6 Prozent) kann seinen Durchschnitt auf 1 abrunden, landete also bei 1,0 bis 1,4. Auch das sind etwas mehr Absolventen als in den Vorjahren.
  • Gut jeder Dritte (35,9 Prozent) erreichte in diesem Jahr eine 1 vor dem Komma.
  • Der Notendurchschnitt aller Absolventen lag bei 2,2 – so wie im Vorjahr. Davor hielt er sich vier Jahre lang bei 2,3.
  • Durchs Abitur gefallen sind 268 Schülerinnen und Schüler, das sind 5,1 Prozent.

Caroline Schering: Das Spitzen-Abi soll sich auszahlen

  • Name: Caroline Schering
  • Schule: Ökumenisches Domgymnasium Magdeburg
  • Pläne: Jurastudium

Caroline Schering hat in ihrer Prüfungszeit oft Geschichts-Yoga gemacht. Das geht ungefähr so: Man schließe die Augen, bringe sich in eine länger zu haltende Yoga-Position und murmele dann Zeittafeln zu Industrialisierung und Nationalsozialismus vor sich her. "Ich habe meine Zeit immer so effektiv wie möglich genutzt", erklärt sie. So konnte sie ein Einser-Abi wuppen und trotzdem noch Sport machen und tanzen gehen.

Dazu kam ein bisschen Glück – zum Beispiel mit den Lehrern. Im Gegensatz zu einigen Freunden landete sie in Kursen mit vielen Möglichkeiten, sich gute Note dazuzuverdienen. Wie einmal in Deutsch, als sie ein Goethe-Gedicht als Yoga-Stunde inszenierte. Auch ihr familiärer Hintergrund spielte ihr in die Karten. Mutter und Vater sind Akademiker. "Ich hatte das Glück, dass mir meine Eltern in der Schule helfen konnten", sagt Caroline Schering. "Mein Papa hat ein großes geschichtliches Wissen. Und meine Mama ist gut im Ausdruck, sie hat oft Aufsätze von mir Korrektur gelesen."

Ich habe zwar keine feste Stellung im Kopf, die ich erreichen will, aber ich möchte schon Karriere machen.

Caroline Schering, Einser-Abiturientin

Wobei ihre Eltern ihr kaum weiterhelfen konnten, war der Druck, unter den sie sich bei der Studienwahl setzte. "Ich möchte schon etwas machen, bei dem sich das Abi auszahlt und das mich fordert", sagt sie. Letztlich hat sie sich entschieden, sich für Jura in Hamburg zu bewerben. "Ich finde es interessant, dass es für Fälle immer verschiedene Rechtsauslegungen gibt. Außerdem kann ich mich ganz gut artikulieren", sagt sie.

Dass Jura mit guten Gehaltsaussichten und Prestige einhergeht, spielte für sie auch eine wichtige Rolle. "Ich habe zwar keine feste Stellung im Kopf, die ich erreichen will, aber ich möchte schon Karriere machen." Auch bei der Wahl des Studienortes hat sie darauf geachtet, dass sich die Arbeit für ihren Einser-Schnitt bezahlt macht, erzählt sie. "Ich habe auf jeden Fall auch auf den Ruf der Uni geguckt. Das war zum Beispiel ein Grund, wieso ich Leipzig für mich ausgeschlossen habe. Im letzten Jahr lag dort der NC bei 3,0. Da war mein Empfinden: Vielleicht könnte ich auch etwas Besseres haben."

Henrike Weber: Prestige findet sie nicht so wichtig

  • Name: Henrike Weber
  • Schule: Philanthropinum Dessau
  • Pläne: Medizinstudium

Henrike Weber hat lange überlegt und sich dann für ein Medizinstudium entschieden. Bildrechte: Henrike Weber

Henrike Weber will ab Herbst das studieren, was für Einser-Abiturienten wohl am typischsten ist: Medizin. So klar wie für viele andere war das für sie allerdings nicht. Ja, sie wollte in den Bereich Gesundheit gehen. Aber mindestens sechs Jahre Studium? "Das hat mich am Anfang abgeschreckt", sagt die Abiturientin.

Also suchte sie erst einmal weiter, ganz pragmatisch nach Ausschlussverfahren: "Von Pharmazie zum Beispiel hat mir die Berufsberatung abgeraten. Da ist das Studium sehr schwer und lohnt sich nicht mit den Berufsaussichten", erklärt sie. Die Endauswahl traf sie erst nach mehreren Praktika.

Ich habe mich nicht gezwungen gefühlt, mir ein hochangesehenes Studium rauszusuchen.

Henrike Weber, Einser-Abiturientin

Für sie entscheidend waren die vielen Möglichkeiten, die sie nach dem Abschluss hat. Weniger wichtig: ein prestigevolles Studium. "Natürlich haben die Berufsaussichten und in geringer Menge das Gehalt noch einen Anreiz gegeben. Aber ich habe mich nicht gezwungen gefühlt, mir ein hoch angesehenes Studium rauszusuchen", erklärt Henrike Weber. "Ich finde, das Wichtigste ist, dass man an seinem Beruf Spaß hat. Wenn man den schon sein ganzes Leben lang ausübt, sollte man das auch genießen können. Deshalb würde ich mir darum eher Sorgen machen."

Dass sie den Einser-Abschluss überhaupt geschafft hat, verdankt sie auch ihren Lehrern, erklärt sie: "Ich hatte vor allem in den Sprachen immer Lehrer, die den Unterricht so gestaltet haben, dass es viel Spaß gemacht hat. Dadurch lernt es sich viel leichter." Besonders begeistert war sie von ihrer Lateinlehrerin. Denn bei der gab's zwischen Satzanalyse und Vokabeltest auch mal ein lateinisches Mittagessen oder eine Schreibstunde mit selbst gegossenen Wachstafeln.

Benita Mayerl: Alles fürs Traumstudium

  • Name: Benita Mayerl
  • Schule: Freies Gymnasium Großkorbetha
  • Pläne: Psychologiestudium

Benita Mayerl hat viel Energie in ihr Abitur investiert, um einen Psychologie-Studienplatz in Leipzig zu ergattern. Bildrechte: Benita Mayerl

Benita Mayerl will nicht Psychologie studieren, weil sie ein Einser-Abitur hat. Sie hat ein Einser-Abitur, weil sie Psychologie studieren will. "Ich glaube, ohne dieses Ziel hätte ich nicht die Kraft und Motivation aufbringen können, ständig gute Noten zu erreichen", sagt sie.

Seit dem Ende der zehnten Klasse stand ihr Wunsch fest. Warum genau dieses Fach? "Es bedient viele meiner Interessen, vor allem die Biopsychologie", erklärt die Abiturientin. Geld und Ansehen hätten für sie keine Rolle gespielt. Auch eine Uni fasste sie damals schon ins Auge: Leipzig. Nicht weit von der Heimat entfernt, und der Ruf ist auch gut. Um mit ihrer Entscheidung sicherzugehen, hatte sie extra eine Leipziger Psychologie-Studentin bei Instagram angeschrieben, um sie auszufragen. Was sie erzählte, klang toll. Es gab nur einen Haken: Der NC dort lag damals bei 1,1, ein Jahr später sogar bei 1,0.

"Es ist schwierig, mit 18 die Entscheidung zu treffen: Wohin geht mein Leben?"

Benita Mayerl, Einser-Abiturientin

Also steckte die Schülerin viel Zeit ins Lernen. In der zwölften Klasse pausierte sie auch mit dem Turniertanzen, für das sie sonst dreimal pro Woche trainierte. "Das Lernen hat mir aber Spaß gemacht", erzählt sie. "Außerdem hatte ich Lehrer, die einem viel Freiraum gegeben haben, zum Beispiel bei Referatsthemen." Dadurch beschäftigte sie sich schon zu Schulzeiten ausgiebig mit Siegmund Freud.

Ob sie wirklich die richtige Wahl getroffen hat, kann sie heute noch nicht wissen, sagt Benita Mayerl. "Es ist schwierig, mit 18 die Entscheidung zu treffen: Wohin geht mein Leben?", erklärt sie. In diesem Punkt macht sie sich aber keinen Druck: "Notfalls kann ich immer noch in eine andere Studienrichtung gehen. Ich weiß auch, dass meine Eltern nichts dagegen hätten."

MDR (Elisa Sowieja-Stoffregen)

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