Zoologe über exotische Haustiere "Eine Raubkatze ist problematischer als eine Boa Constrictor"

23. Dezember 2021, 16:38 Uhr

In kaum einem anderen Bundesland sind die Regeln für exotische Haustiere so lasch wie in Sachsen-Anhalt. Von der Giftschlange bis zur Raubkatze kann man alles zu Hause halten – wenn denn die Haltungsbedingungen stimmen. MDR Sachsen-Anhalt hat mit dem Zoologen Hendrik Müller von der Universität Halle gesprochen. Im Interview erklärt er, wo die Grenzen liegen und warum auch Riesenschlangen gute Haustiere sein können.

MDR SACHSEN-ANHALT: Herr Müller, vom Goldfisch über die Würgeschlange bis hin zum Affen kann man in Sachsen-Anhalt alle möglichen Tiere halten. Wann sprechen Sie denn aus zoologischer Sicht von einem Haustier?

Hendrik Müller: Ein Haustier, oder besser gesagt ein Heimtier, ist erst einmal jedes Tier, das in den eigenen vier Wänden gehalten wird. Und da ist es nunmal so: Verschiedene Menschen haben verschiedene Vorlieben. Manch einer begeistert sich für ein Meerschweinchen, ein anderer für eine Boa Constrictor.

Jetzt braucht eine Boa Constrictor aber natürlich ganz andere Lebensbedingungen als besagtes Meerschweinchen. Sind Schlangen denn hierzulande grundsätzlich als Haustiere geeignet?

Jedes Tier hat natürlich bestimmte Bedürfnisse, was die Temperatur, die Ernährung oder den Käfig anbelangt – und die müssen klar eingehalten werden. Außerdem muss man auch beachten, dass die Tiere groß werden und dass ab einer bestimmten Größe auch eine gewisse Gefahr von ihnen ausgeht. So eine Würgeschlange ist halt eine sehr muskulöse Kreatur. Man geht davon aus, dass sie ab dreieinhalb, vier Metern auch für einen erwachsenen Mann durchaus eine Gefahr darstellt.

Aber wenn die Rahmenbedingungen stimmen, dann ist auch eine Boa Constrictor ein relativ gutes Haustier. Im Regelfall werden die nur alle zwei, drei Wochen mal gefüttert. Man kann sie also auch zu Hause lassen und ein langes Wochenende wegfahren. Eine Schlange stört das nicht, mit einem Hamster geht das nicht so einfach.

Aus Ihrer Erfahrung heraus: Aus welchen Gründen holen sich Menschen ein exotisches Tier nach Hause?

Manchmal ist das ein bisschen dem Faktor geschuldet, dass so ein Tier halt irgendwie obskur, cool oder gefährlich ist. Das sind wahrscheinlich die falschen Gründe, ein solches Tier zu halten.

Aber es gibt auch genug Leute, die sich wirklich ernsthaft für verschiedene Gruppen von Fischen, Amphibien oder Vögeln interessieren und dann da sehr professionell rangehen. Die die Tiere nachziehen, beobachten und teilweise ihre Ergebnisse auch publizieren. Das kann wirklich einen wichtigen Beitrag zum Verständnis der Biologie dieser Tiere leisten. Und das ist dann natürlich auch wichtig für die Arterhaltung. Bei meiner früheren Arbeit in Jena gab es zum Beispiel Zusammenarbeiten mit Fischhaltern. Im Universitätskontext kann man halt keine 30, 40 Arten halten. Da ist es gut, wenn man auch im Privaten auf einen gewissen Aquarienbestand zurückgreifen kann – und natürlich auf die Erfahrung der Leute, die sowas halten.

Auf der anderen Seite kritisieren ja viele Tierschützer die private Haltung von Exoten. Sie sagen, dass sie in die Natur gehören und nicht ins Wohnzimmer. Können Sie das nachvollziehen?

Ich verstehe die grundsätzliche Intention, habe mit dieser pauschalen Ansicht aber meine Bauchschmerzen. Natürlich gibt es Leute, die ihre Tiere falsch halten und das ist grundlegend falsch. In der Masse betrachtet gibt es aber deutlich mehr Leute, die ihr Meerschweinchen, ihren Goldhamster, ihren Vogel, ihre Katze oder ihren Hund falsch halten als es Leute gibt, die ihre Schlange falsch halten. Also rein von der Menge her betrachtet, ist es ein Nischenproblem.

Jetzt gibt es in Sachsen-Anhalt ja kaum Reglementierungen, welche exotischen Tiere man halten darf. Müsste man da aus Ihrer Sicht nachschärfen?

Mit Blick auf die Registrierung der Tiere gibt es sicherlich Nachholbedarf. Jetzt nicht unbedingt für jeden Fisch und jeden Frosch, aber wenn es um gefährliche Tiere geht – um Giftschlangen oder Riesenschlangen zum Beispiel – da ist es natürlich im Interesse des Gemeinwohls, wo die Tiere sind und wie sie gehalten werden.

Aber ein Pauschalverbot von exotischen Heimtieren sehe ich sehr kritisch. Wichtig ist halt, dass die Haltungsbedingungen klar geregelt sind – und dass dagegen vorgegangen werden kann, wenn sie nicht eingehalten werden.

Jetzt gibt es ja aber bis hin zum Löwen alle möglichen Tierarten in Privatbesitz. Wo sehen Sie denn eine Grenze erreicht?

Wenn der Halter selbst zum Beutespektrum des Heimtiers gehört, finde ich das schon kritisch. Und eine Großkatze zu halten, ist aus aus meiner Sicht deutlich problematischer als die Haltung einer Boa Constrictor. Das Gleiche gilt für Affen oder für viele Vögel. Wenn man sich überlegt, was die für einen Bewegungsbedarf haben und wie groß ihre Territorien in der freien Natur sind. Im Gegensatz dazu liegen die meisten Schlangen teilweise tage- oder wochenlang zu einem Bündel zusammengerollt und warten, bis Futter vorbeikommt.

Nun gibt es ja immer wieder Fälle, wo eine solche Schlange ausbüxt und abhaut – erst diesen Sommer ja zum Beispiel der Python in Haldensleben. Wie kann das passieren?

Solche Sachen können halt immer irgendwie passieren. Durch Unaufmerksamkeit, einen Unfall oder natürlich auch durch Fahrlässigkeit – das muss man immer im Einzelfall abwägen. Es gibt Leute, die der Haltung ihrer Tiere relativ wenig Augenmerk schenken und Terrarien haben, die nicht ausbruchssicher sind. Die stehen dann in einem Wohnraum, der vollgestellt ist mit allen möglichen Möbelstücken, die im Falle eines Ausbruchs natürlich gute Versteckmöglichkeiten sind. Dann gibt es aber ebenso gut verantwortungsvolle Halter, die einfach Pech hatten und im falschen Moment abgelenkt waren. Das entschuldigt einen Ausbruch natürlich nicht, erklärt ihn aber zumindest.

Jetzt steht Weihnachten vor der sprichwörtlichen Tür. Was halten Sie von einer Boa Constrictor als Präsent unterm Baum?

Das sehe ich sehr, sehr kritisch – auch bei ganz gewöhnlichen Haustieren. Ein solcher Kauf sollte immer wohl durchdacht sein. Und ein Haustier als Geschenk ist insofern nicht wohl durchdacht, weil es halt den Beschenkten außen vor lässt. Wenn man sich vorher natürlich mit den Kindern oder Eltern zusammensetzt, alles vorbereitet und schon seit Ewigkeiten ein Meerschweinchen haben will – dann gibt’s halt ein Meerschweinchen zu Weihnachten. Aber ein Heimtier als Spontangeschenk finde ich sehr verwerflich. Vor allem natürlich, wenn es in Richtung Boa Constrictor geht.

Die Fragen stellte Daniel Tautz.

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MDR (Daniel Tautz)

Dieses Thema im Programm: MDR SACHSEN-ANHALT HEUTE | 23. Dezember 2021 | 19:00 Uhr

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